Horst Baumanns (77) Traum von einem ruhigen Lebensabend in den Walliser Bergen liegt begraben unter Geröll. Nachdem der Senior in seine Eigentumswohnung in Savièse VS gezügelt war, donnerte ein Hangrutsch ins Gebäude. Die Erde türmte sich an der Fassade auf und verschüttete das Parterre des Mehrfamilienhauses. Das alles ist fünf Jahre her – aber es könnte auch gestern gewesen sein. Denn die Erdmassen sind heute noch da, wo sie 2018 zu liegen kamen, das Haus steht leer, vermodert langsam. Baumann sagt: «Ich bin ruiniert, weil sich niemand für den Schaden verantwortlich fühlt.»
Dass es den Senior überhaupt in Wallis verschlug, war Zufall. «Meine Karriere begann ich als Matrose in Hamburg», erzählt der Deutsche. Er kam in der halben Welt herum, liess sich zum Schiffbauingenieur ausbilden. Und arbeitete vor der Pensionierung in Bern, wo sein früherer Arbeitgeber eine Filiale hat. «Die Berge haben mir so gefallen, dass ich auch als Rentner geblieben bin.»
Haus verschimmelt und verfällt seit fünf Jahren
Die 2½-Zimmer-Wohnung in einem 2014 errichteten Bau hoch über Sitten VS, schien perfekt für ihn. «Ich bezahlte dafür etwa 370'000 Franken», so Baumann, einen grossen Teil seines Ersparten. Etwas mehr als drei Jahre geniesst er die Waliser Sonne, bis zum 4. Januar 2018.
Nach starken Regenfällen lösen sich Hunderte Kubikmeter Erde und Geröll. Das Mehrfamilienhaus mit der Wohnung von Horst Baumann wird auf der ganzen Breite getroffen. Die betonierte Terrasse der Villa oberhalb, auch sie ist bis heute unbewohnbar, ragt nach dem Rutsch wie ein Sprungbrett über den Abgrund. «Ich war gerade nicht zu Hause, aber einige andere Bewohner. Zum Glück wurde niemand verletzt», sagt Baumann.
Seit der Hang kam, scheint die Zeit stehen geblieben. Nicht einmal die eingedrückten Fenster wurden freigeräumt oder abgedichtet, ein Teil der Hecke des Nachbars oberhalb lugt zwischen zertrümmertem Glas hervor. Eine dicke Erdschicht bedeckt das Parterre. In Baumanns Wohnung im ersten Stock sieht es nur wenig besser aus, wie Bilder zeigen: Die Wände sind grossflächig mit Schimmel bedeckt, alles ist seit Jahren feucht. Wie konnte es so weit kommen?
Verfahren laufen noch immer
Schon 2020 berichtete «Le Nouvelliste» vom kuriosen Fall. Das Problem war schon damals: Die Versicherungen sperrten sich, die nötigen Arbeiten zu bezahlen, solange nicht klar ist, wer juristisch für den Hangrutsch verantwortlich ist. Es geht wohl um einen Millionenbetrag! Involviert sind neben den fünf Wohnungsbesitzern unter anderem auch die Besitzer der Villa oberhalb, der Architekt, Generalunternehmer und deren Versicherungen. Es laufen zivil-, aber auch strafrechtliche Verfahren, im Raum steht Baupfusch. Corona führte zu weiteren Verzögerungen. Auf Blick-Anfrage heisst es von der zuständigen Staatsanwaltschaft, die Untersuchungen seien noch hängig. Und die involvierten Versicherungen wollen sich zu pendenten Fällen nicht äussern. Der Anwalt der Wohnungsbesitzer erklärt: Aktuell laufen Gespräche mit den Versicherungen zur Bildung eines Versicherungspools, damit die Arbeiten endlich beginnen können. «Aber das ist nur ein Projekt, es ist noch nicht definitiv», so Guillaume Grand, der Anwalt der Wohnungsbesitzer.
Für Baumann sind die Konsequenzen katastrophal. «Es ist wie bei einer schweren Krankheit. Man denkt jeden Tag daran», sagt er. Als sich abzeichnete, dass eine Rückkehr in seine Eigentumswohnung noch länger dauern könnte, suchte er sich eine Mietwohnung. «Das heisst, ich muss zusätzlich zur Hypothek auch eine Miete bezahlen.»
Senior ist finanziell ruiniert
Für die Wohnung, auch wenn sie nicht einmal betreten werden darf, hat er weiterhin Kosten wie Steuern. «Bald ist mein Erspartes aufgebraucht», so Baumann. Die finanzielle Situation ist so prekär, dass er sich sogar um Sozialhilfe bemühte. «Aber als Immobilienbesitzer ist das natürlich unmöglich. Nur, welchen Wert hat so eine Wohnung?»
Paul Rochat (69) besitzt mit seiner Ehefrau die Wohnung oberhalb von Baumann. Der ehemalige Vermögensverwalter hat den Glauben an eine schnelle Lösung verloren – und wird wohl auch nicht zurückkehren, wenn die Wohnungen eines Tages wieder bewohnt werden können. «Die Situation hier ist unverständlich. Wir wurden aus unseren Wohnungen geholt und einfach alleine gelassen», sagt er. Und: «Entweder die Arbeiten sollen endlich beginnen, oder dann soll man die Eigentümer entschädigen.» Die aktuelle Situation sei auch aus der Perspektive der Versicherungen schlecht – weil die Schäden am Gebäude immer grösser werden.
Für Horst Baumann wird die Bergluft währenddessen immer dünner. «Findet sich nicht bald eine Lösung, muss ich wohl hier wegziehen», sagt er. Der Traum vom Walliser Lebensabend könnte für ihn bald ausgeträumt sein.