«Die Leute kommen noch immer, um zu trauern»
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Blick war am Tatort:In diesem Waldstück wurde Lisa M. gefunden

Erika M. (33) spricht über Mord an Tochter Lisa (†8) in Niederwangen BE
«Ich wollte, dass die Polizei weiss, was wir angefasst haben»

Ein schrecklicher Kindsmord erschütterte 2022 die Schweiz. Die erstinstanzlich zu lebenslanger Haft verurteilte Mutter Erika M. geht nun in Berufung. Am 17. März beginnt die Verhandlung vor dem Berner Obergericht.
Publiziert: 16:38 Uhr
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Aktualisiert: 21:49 Uhr
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Acht Jahre war Lisa M. alt, als sie im Februar 2022 mit einem Stein erschlagen wurde. Als Täterin verurteilt: ihre eigene Mutter Erika M.

Auf einen Blick

  • Erika M. geht in Berufung gegen lebenslange Haftstrafe wegen Kindsmordes
  • Mutter behauptet, Justizopfer zu sein und präsentiert alternative Erklärungen
  • 16 Indizien für Täterschaft
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandra MarschnerRedaktorin News-Desk

Im Könizbergwald in Niederwangen BE ist im Februar 2022 die Leiche von Lisa M.* (†8) gefunden worden. Rund zwei Jahre später – am 13. Juni 2024 – wurde ihre Mutter Erika M.* (33) zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes erstinstanzlich verurteilt. Blick berichtete damals live über den gesamten Prozess aus dem Gericht.

Nun erklärt sich Erika M. als Justizopfer und geht in Berufung. Die Verhandlung ist für den 17. März angesetzt. Das Berner Obergericht als zweite Instanz hat die Urteilsverkündung für den 24. März angesetzt.

Das Regionalgericht Bern-Mittelland war überzeugt: Erika M. hat ihre Tochter heimtückisch ermordet. Es folgte damit der Anklage, die der Mutter vorwarf, die Achtjährige in der Abenddämmerung zu einer gemeinsam gebauten Baumhütte gelockt und dort mit einem Stein erschlagen zu haben. Das Motiv: Sie sei mit dem Muttersein überfordert gewesen und ihre Tochter habe Liebesbeziehungen erschwert.

Im Doku-Podcast «Elena» der «Zeit» wird der Fall neu beleuchtet. Erika M. kommt selbst zu Wort und kämpft gegen das Urteil. Blick beleuchtet die wichtigsten Aussagen.

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Der Stein als Tatwaffe

Als Tatwaffe wurde ein acht Kilogramm schwerer Stein ermittelt. An diesem fanden sich Blut und Haare von Lisa M. sowie Kontaktspuren von Erika M.

Auffällig: Bevor der Stein überhaupt als Tatwaffe diskutiert wurde, erklärte die Verurteilte mehrfach und ohne Aufforderung von sich aus, dass der Stein viel zu schwer für sie gewesen sei, um ihn aufzuheben. Sie betonte immer wieder, dass sie den Stein viele Male herumgeschoben habe, weil dieser Teil des kreativen Spiels in der Baumhütte gewesen sei. «Ich wollte alles sagen, was wir hatten. Auch was wir dekoriert haben. Ich wollte einfach, dass die Polizei weiss, was wir dort angefasst haben, und dass sie alle Infos haben», sagt Erika M. im Podcast. Diese Aussagen wurden vor Gericht als taktisch aufgefasst.

Schliesslich war auch die zweite Aussage widersprüchlich: Erika M. behauptete, beim vorherigen Spielen mehrmals Spuren auf dem Stein hinterlassen zu haben. Der Richter verdeutlichte jedoch: «Die Spuren wurden nur an einer Seite gefunden. Entweder haftet DNA nicht gut an diesem Stein oder die Angeklagte lügt.»

Im Podcast betont Erika M. nun, dass sie diese Aussagen nur getätigt hatte, um zu helfen. Weiter führt sie eine Kopfverletzung ihrer Tochter an, die sie sich eine Woche vor der Tat zugezogen hatte. Vor Gericht hatte sie sich zur Ursache dieser Verletzung in Widersprüche verstrickt. Wie sie nun im Podcast erklärt, habe ihre Tochter selbst Widersprüchliches dazu erzählt.

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Die Zeugenbeobachtung

Als Hauptzeuge der Anklage fungierte ein damals zwölfjähriger Nachbarsjunge. Er gab an, Erika M. zum Tatzeitpunkt zusammen mit ihrer Tochter gesehen zu haben, wie sie auf den Könizbergwald nahe ihrer Wohnung zuliefen.

Die Verteidigung stellte während des Gerichtsprozesses die Glaubwürdigkeit des Zeugen infrage. Er lüge, um Aufmerksamkeit zu erhalten, und komme selbst als möglicher Täter infrage. Dieser Theorie glaubte das Gericht nicht.

Im «Zeit»-Podcast erklärt Erika M. jedoch, dass sie einen klaren Beweis dafür sehe, dass der Zeuge gelogen habe. Der Weg, den Lisa M. am Tattag zum Wald wählte, wurde in den Ermittlungen durch einen Spürhund ermittelt. Laut Zeugenaussage befand sich Lisa M. jedoch mit ihrer Mutter auf einem anderen Weg.

Handydaten

Ein rund einstündiger Tatzeitraum wurde bestimmt. Erika M. gab an, dass ihre Tochter sich um etwa 16.30 Uhr aufgemacht hatte, um eine Freundin zum Spielen zu besuchen. Sie selbst sei die ganze Zeit in der Wohnung geblieben, um sich zu entspannen und Musik zu hören. Im Tatzeitfenster ergaben die Auswertungen der Handydaten von Erika M., dass zwar Musik gelaufen sei, jedoch keine Aktivitäten am Handy aufgezeichnet wurden. Kurz vor und nach dem Tatzeitraum gab es hingegen viele Aktivitäten. Das Handy hätte somit auch, in der Wohnung zurückgelassen, weiterhin Musik abspielen können.

Erika M. wurde vor Gericht dazu befragt, wie oft sie bei der Baumhütte war. Sie verstrickte sich in widersprüchliche Aussagen, mehrfach dort gewesen zu sein. Handydaten bewiesen jedoch, dass sie vor der Tatnacht, als sie die Leiche ihrer Tochter fand, nur einmal dort gewesen sei: als die Hütte gebaut wurde.

Im Podcast gibt Erika M. an, sich bei diesen Aussagen unter Druck gesetzt gefühlt zu haben. «Das ist mein grösstes Problem, mich nervt es, dass ich, wenn ich sage ich weiss es nicht, gezwungen werde, eine Zahl zu nennen, und dann nagelt man mich aber darauf fest. Ah, Sie haben es so gesagt und jetzt so gesagt. Weil ich vorher gesagt habe, ich weiss es nicht mehr.»

Vor Gericht wurde ihr eine Lüge zugesprochen. Weitere Indizien aus ihren Handydaten, wie eine Google-Suche der 33-Jährigen vier Tage vor der Tat, wann es dunkel werde, beschreibt sie als explizit gegen sich interpretiert. Sie gibt an, dies öfters gesucht zu haben, da sie mit ihrer Tochter abgesprochen hatte, bei Anbruch der Dunkelheit wieder heimzukommen. Laut Handydaten liegt jedoch nur dieses Suchergebnis vor.

Die Klassenlehrerin von Lisa M. kommt im Podcast ebenso zu Wort. Sie legt dar, dass wenige Tage vor der Tat eine Sternbeobachtung mit den Schülern geplant gewesen sei. Wegen Bewölkung sei diese jedoch ausgefallen. Erika M. habe der Lehrerin sogar noch geschrieben, wie schade der Ausfall sei. Möglicherweise beziehe sich die Google-Suche, so die Lehrerin, auf einen Plan von Erika M., mit ihrer Tochter die Sterne anzuschauen.

Reaktion der Mutter

Als weiteres Indiz wurde die Reaktion der Mutter auf den Fund der Leiche von der Anklage herangezogen. Als Erika M. ihre Tochter fand, fühlte sie nur den Puls. Sie reanimierte ihre Tochter nicht, was ihr immer wieder vorgeworfen wurde. Im Podcast erklärt sie, dass sie dafür zu sehr unter Schock gestanden habe.

Weiter schien auffällig, dass die Mutter ihre Tochter nicht berührte oder in den Arm nahm. Erika M. gab an, dass sie keine Spuren hinterlassen wollte. Dieser Umstand sticht heraus: Sie schien vom ersten Moment an von einem Gewaltverbrechen auszugehen.

Im Podcast kritisiert Erika M. den Umgang der Polizei mit ihr. Sie habe sich von Beginn an wie eine Verbrecherin behandelt gefühlt. In den Akten sei unter anderem erfasst worden, dass sie der Leiche ihrer Tochter bewusst nicht nahegekommen sei, sondern 15 bis 20 Meter von ihr entfernt auf Hilfe gewartet habe. Erika M. bestreitet dies, sie habe sich nicht mehr als einen Meter von ihrer Tochter entfernt. «Ich bin nur ein paar Schritte von Lisa weggegangen, weil ich dem Rettungsdienst mit meiner Handytaschenlampe den Weg leuchten wollte», erzählt sie im Podcast.

Während des Prozesses legte die Staatsanwältin 16 Indizien für Erika M. als Täterin vor. Bei vielen Weiteren gibt die Verurteilte an, dass sie explizit gegen sie interpretiert worden seien, und präsentierte nun alternative Erklärungen. Ihr Anwalt fordert, dass der Todeszeitpunkt ganz genau bestimmt werden solle. Zudem seien noch DNA-Spuren an Lisa M. nicht gänzlich untersucht worden. Im Wald hätten sich zudem ein nicht weiter untersuchtes Nastuch und eine Corona-Maske befunden.

*Name geändert.

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