Das Licht auf der anderen Seite der dicken Glasscheibe geht an, und der verurteilte Straftäter Peter Hans Kneubühl (78) marschiert in Begleitung des Gefängnisdirektors in die Besucherkabine des Regionalgefängnisses in Thun BE. Er trägt einen dunkelblauen Pullover und eine braune Hose. Kneubühl nimmt seine Maske ab und lächelt zur Begrüssung freundlich. Das Interview findet wegen Corona in einem durch eine Glasscheibe getrennten Raum statt.
Für das Gespräch mit Blick opfert der Rentner die eine Stunde, die ihm pro Woche für Besuch zusteht. Ansonsten sitzt er auf eigenen Wunsch 23 Stunden täglich in der Zelle, nur eine Stunde will er zum Spazieren raus. Dieses Leben unter U-Haft-Bedingungen hat sich Kneubühl selbst ausgesucht: Er hat sich gegen jegliche Umplatzierung beispielsweise in den Strafvollzug vehement gewehrt – sogar mit Hungerstreiks.
Blick: Herr Kneubühl, Sie sitzen freiwillig im strengsten Haftregime der Schweiz. Warum?
Peter Hans Kneubühl: Hier lässt man mich in Ruhe und ich habe viel Zeit, um für meine Verteidigung zu schreiben. Ich habe schon 5000 Seiten zusammen und fühle mich in Thun wohl. Freigesprochen und entlassen werden, das wäre natürlich schon etwas anderes. Aber bis jetzt habe ich alle Prozesse verloren und muss jetzt einfach damit leben. Ich kämpfe aber weiter, die Urteile akzeptiere ich nicht.
Sie könnten ja mit den Behörden kooperieren, auch wenn Sie insgeheim anderer Meinung sind. Dafür würden Sie vielleicht mit einem offenen Strafvollzug belohnt.
Ich will keine Kompromisse eingehen, darum ist das keine Option. Und wo soll man den Lebensabend denn sonst verbringen! Das Altwerden ist doch für alle Leute eine Katastrophe. Ob man jetzt im Altersheim sitzt, im Spital oder alleine in einer Wohnung. Ich weiss nicht, wie viel Zeit mir bleibt, und ich versuche, einfach im Hier und Jetzt zu leben.
Kann man das wirklich ein Leben nennen?
Doch, das ist ein Leben, auf jeden Fall. Es ist gut. Für die elementaren Sachen ist gesorgt. Man hat ein Bett und etwas zu essen. Es hat auch viele interessante Leute hier.
Vermissen Sie es, mit Freunden irgendwo einen Kaffee trinken zu gehen?
Von meinen Freunden musste ich mich sowieso schon vor langer Zeit lösen. Es ging nicht anders. Die politischen Verfolgungen haben 1992 begonnen. Als ich bemerkt habe, dass ich überwacht werde, habe ich die Kontakte abgebrochen. Ich wollte nicht, dass sie da mit hineingezogen werden.
Was fehlt Ihnen dann von dem Leben in der Freiheit?
Eigentlich nichts. Ich habe das Gefühl, dass die Freiheit sowieso verschwunden ist – mit all diesen Satelliten, Drohnen und Überwachungskameras. Wenn ich einen Tag in Freiheit hätte, würde ich mich einer Umweltschutzorganisation anschliessen, die gegen die Klimaveränderung kämpft. Und ich würde für mich vielleicht etwas Gutes kochen und dazu eine Flasche Wein öffnen.
Sind Sie wirklich so ein kalter Mensch, wie Sie zu sein vorgeben – oder brauchen Sie auch Liebe und andere Menschen?
Ich brauche schon Liebe. Aber wenn man älter wird, spielt das eine kleinere Rolle. Als ich zwischen 20 und 40 Jahre alt war, war das noch viel wichtiger. Das war eine gute Zeit. Da haben wir in der Gruppe gelebt und zusammen etwas aufgebaut. Liebe, Freundschaft und Sexualität haben damals eine grosse Rolle gespielt. Dann ging das in die Brüche und heute ist es anders.
Wann hat Sie zum letzten Mal jemand in den Arm genommen?
Gewisse Sachen verliert man und muss dann die Prioritäten anders setzen. Ich kann mich schon an meine letzte Umarmung erinnern, aber jetzt hat halt ein neues Leben angefangen. Ich vermisse das schon, verstehen Sie. Aber das hängt alles mit dem Alter zusammen. Ich wäre lieber jünger. Ich vermisse es, jung zu sein. Ich wäre gerne wieder 30 oder höchstens 40 Jahre alt. Das war eine gute Zeit. Aber das ist einfach nicht so, daran kann man nichts ändern.
Würden Sie etwas anders machen, wenn Sie nochmals 30 Jahre alt wären?
Ich würde alles noch einmal genau gleich machen. Ich bereue eigentlich nichts.
Hat Ihnen mal eine Frau das Herz gebrochen?
Ja (lacht). Natürlich. Ich muss meinem Herzen Sorge tragen, damit es niemand bricht. Aber ich war mal wahnsinnig verliebt. Das ist dann auseinandergegangen, und es war eine Katastrophe. Manchmal denke ich noch an sie. Kontakt haben wir aber keinen mehr. Jetzt bin ich 78 und frage mich manchmal, was aus ihr geworden ist. Sie ist jetzt ebenfalls 78 Jahre alt und wohl eine uralte Grossmutter in einem Altersheim, vermutlich überhaupt nicht mehr attraktiv. Es ist besser, wenn man das nicht weiss. Dann hat man einfach diese Erinnerungen an die Jugend, als man schwer verliebt war. Jetzt ist das Leben anders. Aber nicht alle sehen das so, manche bleiben bis zum Lebensende Freunde. Wichtig ist einfach, dass man das einmal erlebt hat. Das gibt einem Stärke und Mut. Auf einmal ist die Welt ganz anders, aber man behält diese Kraft von früher, die man damals getankt hat.
Zehren Sie immer noch davon?
Ja.
Vorhin haben Sie gesagt, Ihnen bleibe nicht mehr viel Zeit. Denken Sie oft an den Tod?
Ja, ich denke oft daran. Ich habe keine Freude am Tod und überhaupt keine Lust zu sterben. Das wird noch eine Zeit lang so bleiben, nehme ich an. Bei vielen Leuten ist es ja so, dass sie krank werden und dann der Tod besser ist als das Leben.
Der Fall von Amok-Rentner Peter Hans Kneubühl sorgte 2010 landesweit für Schlagzeilen. Am 8. September verbarrikadierte sich der damals 67-Jährige in seinem Haus in Biel BE. Der Grund: die bevorstehende Zwangsversteigerung seines Elternhauses. Ein Polizei-Grossaufgebot rückte an, der Senior schoss auf die Beamten und traf einen Polizisten am Kopf. Dieser überlebte schwer verletzt. Nachts gelang dem Ingenieur die Flucht.
Es begann eine zehntägige Katz-und-Maus-Jagd: Am 17. September konnte er schliesslich dank Hinweisen aus der Bevölkerung gefasst werden. Vor Gericht wurde klar, in welcher wahnhaften Welt sich Kneubühl damals schon seit vielen Jahren befand: Der studierte Physiker und Mathe-Lehrer war davon überzeugt, dass ihn die Polizei seit Anfang der 90er-Jahre umbringen wolle, dass er von den Behörden verfolgt werde und dass es der Staat auf ihn abgesehen habe.
Anfang 2021 ging es vor Gericht um seine Verwahrung. Während der Verteidiger die Haftentlassung forderte, warnte der Anwalt der bernischen Bewährungs- und Vollzugsdienste, dass Kneubühl nicht therapierbar sei und von ihm eine grosse Gefahr für schwerste Gewaltdelikte ausgehe. Schliesslich bestätigte das Obergericht das erstinstanzliche Urteil und ordnete die Verwahrung an. Das liess der Querulant aber nicht auf sich sitzen und zog vor Bundesgericht. Dieses Urteil steht laut Kneubühl bis heute aus.
Der Fall von Amok-Rentner Peter Hans Kneubühl sorgte 2010 landesweit für Schlagzeilen. Am 8. September verbarrikadierte sich der damals 67-Jährige in seinem Haus in Biel BE. Der Grund: die bevorstehende Zwangsversteigerung seines Elternhauses. Ein Polizei-Grossaufgebot rückte an, der Senior schoss auf die Beamten und traf einen Polizisten am Kopf. Dieser überlebte schwer verletzt. Nachts gelang dem Ingenieur die Flucht.
Es begann eine zehntägige Katz-und-Maus-Jagd: Am 17. September konnte er schliesslich dank Hinweisen aus der Bevölkerung gefasst werden. Vor Gericht wurde klar, in welcher wahnhaften Welt sich Kneubühl damals schon seit vielen Jahren befand: Der studierte Physiker und Mathe-Lehrer war davon überzeugt, dass ihn die Polizei seit Anfang der 90er-Jahre umbringen wolle, dass er von den Behörden verfolgt werde und dass es der Staat auf ihn abgesehen habe.
Anfang 2021 ging es vor Gericht um seine Verwahrung. Während der Verteidiger die Haftentlassung forderte, warnte der Anwalt der bernischen Bewährungs- und Vollzugsdienste, dass Kneubühl nicht therapierbar sei und von ihm eine grosse Gefahr für schwerste Gewaltdelikte ausgehe. Schliesslich bestätigte das Obergericht das erstinstanzliche Urteil und ordnete die Verwahrung an. Das liess der Querulant aber nicht auf sich sitzen und zog vor Bundesgericht. Dieses Urteil steht laut Kneubühl bis heute aus.
Sie haben Ihre Freunde verstossen. Werden sie trotzdem an Ihre Beerdigung kommen?
Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Aber wenn ich im Sarg liege, spielt es auch keine Rolle mehr, ob jemand kommt oder nicht.
Macht Sie das traurig?
Ich denke, dass unsere ganze Welt traurig ist.
Hand aufs Herz: Wenn Sie nachts alleine in Ihrer dunklen Zelle hocken, weinen Sie da nie?
Manchmal weine ich schon, wenn kurz Erinnerungen hochkommen. Aber das passiert ja allen Menschen. Ich habe Gefängniskollegen, die die ganze Zeit heulen und verzweifeln. Das hat aber keinen Sinn.
Dennoch wirken Sie eher gefühlskalt. Oder täuscht das?
Man muss die Gefühle ausschalten, wenn die Leute Lügen über einen verbreiten und versuchen, einen in der Psychiatrie zu versorgen. Sonst wird man wahnsinnig.
Danke für das offene Gespräch.
Ich bin froh, wenn mein Fall die Medien immer noch interessiert. Das macht der Justiz mehr Druck, sich darum zu kümmern.