Auf einen Blick
- Regelmässige Fahrtüchtigkeitsprüfungen für Senioren werden kritisch hinterfragt
- Experten betonen Wichtigkeit der Selbsteinschätzung bei der Fahrtauglichkeit
- Junglenker verursachen 15,5 Prozent der schweren Unfälle, Senioren 11,8 Prozent
Fragt man Autofahrer (und Autofahrerinnen) jeden Alters, wie sie ihre eigenen Fähigkeiten hinter dem Steuer einschätzen, kommt von den allermeisten die Antwort: überdurchschnittlich! Schlechte Fahrer sind – auf jeden Fall durch die eigene Frontscheibe gesehen – die anderen. Zwischen den Generationen ist das nicht anders.
Der Artikel rund um Michael Geissbühler, der seinen Fahrausweis wegen einer Fahrtauglichkeitsprüfung verlor, hat für viele Reaktionen gesorgt. Junge haben kommentiert: Senioren hinter dem Steuer sind ein Risiko. Viele Ältere entgegneten: Am gefährlichsten sind unerfahrene Neulenker, die sich und ihre PS-Boliden überschätzen. Doch: Welche Generation fährt am sichersten – und warum ist das so?
Ein Blick in die Statistik belegt: Junglenker und Senioren sind beides Risikogruppen. Speziell bei den Unfällen mit Toten und Schwerverletzten spielen Junglenker laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) im Jahr 2023 eine grössere Rolle. Sie sind insgesamt für 15,5 Prozent der Schwerverletzten und getöteten Personen im Strassenverkehr verantwortlich. Bei den über 65-Jährigen sind es 11,8 Prozent. Nicht mit eingerechnet ist hier: Jüngere dürften im Schnitt einiges mehr an Kilometern abspulen als Senioren.
Trotz regelmässiger Prüfung - kaum Besserung
Seit 2019 müssen Menschen ab 75 Jahren alle zwei Jahre zur Fahrtüchtigkeitsprüfung. Zu messbar gesunkenen Unfallzahlen hat das jedoch nicht geführt. «Man darf nicht alle älteren Menschen über einen Kamm scheren», sagt Neuro- und Verkehrspsychologe Gianclaudio Casutt (48).
Casutt ist kein Anhänger der obligatorischen Tests: «Das führt zu einer falschen Sicherheit. Gewisse Senioren glauben nach dem Test, sie seien noch fit genug zum Fahren, weil sie von einem Arzt grünes Licht erhalten haben und nicht, weil sie sich tatsächlich noch selbst bereit dazu fühlen.» Das Element der Selbsteinschätzung sinkt bei dieser Gruppe. Der Senior verlasse sich häufig auf die Expertise der Fachperson.
Während sich viele Junglenker selbst überschätzen, spielen bei Senioren andere Faktoren eine Rolle: «Einer der wichtigsten Aspekte ist die kognitive Leistungsfähigkeit. Mit zunehmendem Alter nimmt die geistige Flexibilität grundsätzlich ab, was die Fähigkeit zu reagieren und Verkehrssituationen richtig einzuschätzen, beeinflussen kann.» Reaktionsgeschwindigkeit, Wahrnehmung und Entscheidungsfindung seien ab einem gewissen Alter beeinträchtigt, man müsse aber immer die Einzelperson begutachten. Diese Schwächen würden ab diesem Alter durch eine vorsichtigere Fahrweise kompensiert.
Junglenker und Senioren sind ein Risiko - Vergleich schwierig
Der Vergleich zwischen Junglenkern und Senioren sei allerdings nicht einfach, wie der Experte sagt: «Im Unterschied zu den Älteren, fahren Junge gerne etwas zu schnell oder tippen Nachrichten ins Smartphone, während Senioren in unvorhersehbaren Situationen eher überfordert sind und dadurch unabsichtlich unfallkritische Fehler machen.» Eines sei jedoch klar erkennbar: Die mittlere Altersgruppe fahre in der Regel sichererer.
Beim Vergleich zwischen Jung und Alt, verrät ein Blick über die nördliche Grenze, nach Deutschland, einiges mehr: Bei den Unfällen sind Junglenker zwischen 18 und 24 Jahren jeweils zu 70 Prozent für Unfälle verantwortlich, bei denen sie involviert waren, bei Betagten ab 75 Jahren sind es über 75 Prozent.
Junglenker für die meisten schweren Unfälle verantwortlich
Für die meisten Toten und Schwerverletzten in der Schweiz sind aber auch weiterhin die Junglenker verantwortlich. Im Jahr 2010 waren es in der Schweiz über 660, während die über 75-Jährigen für 165 Tote und Schwerverletzte verantwortlich waren - gut fünfmal weniger, als bei den Jungen.
Es gilt auch zusätzlich festzuhalten: «Ältere Menschen fahren seltener und sind verletzlicher. Ein Unfall führt eher zu einer schweren Verletzung, als dies bei einem jungen Lenker der Fall wäre», wie Casutt erklärt.
Aus seiner Sicht wäre eine Kombination aus beiden Ansätzen - Selbstverantwortung und Kontrolle - ideal, sagt der Experte: «Ein Ansatz, den ich für sinnvoll halte, ist, die Fahrer auf ihren Zustand selbst aufmerksam zu machen. Sie sollten dazu angeregt werden, ihre eigenen Fähigkeiten zu hinterfragen und kritisch zu prüfen.» Wenn jemand merke, dass er Schwierigkeiten hat, das Auto sicher zu steuern, sollte er bereit sein, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen: «Das ist für alle sicherer, und es kann auch helfen, die Unabhängigkeit im Alter zu wahren.»