Michael Geissbühler (77) ärgert sich. Das Strassenverkehrsamt Bern hat ihm den Führerschein entzogen. Der Hobbyathlet aus Herrenschwanden BE lebt mit einer Schlafapnoe, kurzen Atempausen im Schlaf. Mit 75 musste er sich einer obligatorischen Fahreignungsabklärung unterziehen. Er fällt durch. «Nie hat die Schlafapnoe jemanden interessiert», sagt er zu Blick. «Jetzt plötzlich soll ich brandgefährlich sein», beschwert sich Geissbühler.
Wie ihm ergeht es vielen. Schweizweit müssen immer mehr Senioren ihren Führerschein abgeben. Selbst wenn man einberechnet, dass es mehr ältere Menschen gibt, wird heute prozentual gesehen fast doppelt so vielen Personen ab 75 das Billett entzogen wie noch vor 15 Jahren.
Die Fahreignungsabklärung müssen Menschen ab 75 alle zwei Jahre wiederholen. Bis 2019 waren die Tests schon ab 70 obligatorisch. Wie viele Senioren durchfallen, ist unklar. Doch die Statistik deutet darauf hin, dass der Test ein häufiger Grund ist, weshalb ältere Menschen das Billett abgeben müssen: So verliert die Hälfte der über 75-Jährigen ihren Führerschein wegen Krankheit oder Gebrechen – also aus Gründen, die normalerweise von einem Arzt angebracht werden.
In den Altersgruppen unter 75, wo Autofahrer keine Abklärung durchlaufen müssen, ist der Anteil viel kleiner: unter 10 Prozent bei den unter 70-Jährigen und rund 19 Prozent bei den 70- bis 74-Jährigen.
Reglos in dunklem Raum wach bleiben
Michael Geissbühler hat zwei Jahre lang gekämpft, seinen Führerschein nicht abgeben zu müssen. Ohne Erfolg.
Angefangen hat es mit der obligatorischen Untersuchung bei seiner Hausärztin. Wegen der Schlafapnoe bestätigt sie ihm die Fahrtüchtigkeit nicht, verweist ihn ans Inselspital. Dort muss Geissbühler unterschiedliche Tests bestehen.
Wie etwa den Multiplen Wachbleibetest (MWT). Der hat es in sich: Viermal 40 Minuten soll er reglos in einem dunklen Raum sitzen – ohne sich zu bewegen oder Geräusche zu machen. Das Ziel: wach bleiben. Zwar schafft er alle Durchgänge. Doch die Sensoren registrieren zehn sogenannte Microsleeps – kurze Sekundenschlafphasen.
Das Strassenverkehrsamt Bern entzieht ihm deshalb vorübergehend den Führerschein. Die knapp 1000 Franken Testkosten muss Geissbühler selber berappen.
Aussagekraft umstritten
Wie viel der MWT über die Fahrfähigkeit aussagt, ist umstritten. Experten kritisieren, dass die Bedingungen während des Tests ganz anders sind als beim Autofahren. Wie häufig Personen durchfallen – dazu gibt es keine Zahlen.
Geissbühlers Fazit: «Der Test ist völliger Chabis!» Ihn stört auch, dass er während des Tests mehrfach betonte, er fühle sich müde und würde als Autofahrer sofort eine Pause machen. «Doch meine Aussagen zählten nicht.»
Immerhin: In ihrem Entscheid verweist das Strassenverkehrsamt auf eine weitere Untersuchung, erst danach sei der Entzug definitiv. «Ich dachte, ich habe noch mal eine Chance», sagt Geissbühler.
1000 Franken für nichts
Die Konzentrations- und Reaktionstests dieser zweiten Untersuchung besteht er mit Bravour. Dennoch lehnt der Verkehrsmediziner in seinem Bericht ans Strassenverkehrsamt die Fahreignung ab. Seine Begründung: Das Ergebnis des vorherigen MWTs. Heisst: Der Führerscheinentzug ist definitiv.
Frustriert sagt Geissbühler: «Hauptsache, ich musste noch einmal über 1000 Stutz für Tests hinblättern, deren Ergebnis gar keine Rolle mehr gespielt haben.»
Kristina Keller, Leiterin Verkehrsmedizin an der Universität Zürich, kennt die Kritik am MWT. «Es kommt immer wieder die Frage auf, inwiefern dieser Test zur Abklärung der Fahreignung noch aktuell ist», sagt sie zu Blick.
«Merken oft nicht, dass sie einschlafen»
Mit ihrem Team sucht sie entsprechend nach alternativen Testmethoden – wie etwa in einem Fahrsimulator. Dabei muss die Testperson auf einer langen und eintönigen Strecke im Dunklen einem Fahrzeug folgen und – wenn nötig – auf Unerwartetes reagieren. «Einige Personen schlafen bei dieser Fahrt tatsächlich ein. Und oft merken sie das überhaupt nicht. Umso erschreckender ist es für sie, wenn es zum Unfall kommt.»
Michael Geissbühler sieht ein, was auf dem Spiel steht. Er betont aber: «Es gibt junge Fahrer, die viel riskanter unterwegs sind.»
Geissbühler hofft, dass die Strassenverkehrsämter ihre aktuelle Praxis überdenken. Wegen des Billettentzugs musste er die regelmässigen Besuche bei seinen Enkeln einstellen: «Früher habe ich mehrmals pro Woche für sie zu Mittag gekocht. Doch mit dem ÖV brauche ich viel länger. Das lohnt sich nicht mehr.»