So erlebte Mutter Tiffany den Drogen-Tod ihrer Tochter
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Berner Schülerin verstorben:So erlebte Mutter Tiffany den Drogen-Tod ihrer Tochter

Berner Schülerin starb an Sevre-Long-Überdosis
Ihr Vater fand Kate (†16) tot im Bett

Sie wollte Chirurgin werden und immer allen helfen. Doch für Kate (†16) selbst kam jede Hilfe zu spät. Die Schülerin starb nach der Einnahme von rezeptpflichtigen Medikamenten. Nun wollen ihre Eltern verhindern, dass sich die Tragödie wiederholt, und warnen.
Publiziert: 16.02.2022 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 17.02.2022 um 09:23 Uhr
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Sie wollte Chirurgin werden – jetzt ist Kate T. tot.
Foto: Zvg
Luisa Ita

Als ihr Vater am 11. September 2021 in seiner Wohnung in Bern ankam, lag sein einziges Kind Kate T.* (†16) leblos im Bett. «Ich konnte nichts mehr für sie tun, sie war schon tot», sagt Ivan T.* (47) zu Blick. Er weint, als er sich an den schrecklichen Moment zurückerinnert. «Seither bin ich halb lebendig, halb tot. Ich kann es einfach immer noch nicht glauben.»

Die anschliessende Obduktion ergab, dass die Schülerin an Drogen gestorben war: Gemäss Bericht haben die Rechtsmediziner bei ihr das rezeptpflichtige Medikament Sevre-Long in toxischer Konzentration festgestellt. Das Schmerzmittel enthält Morphin und wird normalerweise – ähnlich wie Methadon – von Fachpersonen als Substitut an Opioid-Abhängige abgegeben. Auch Spuren des Psychopharmakons Xanax wurden bei der 16-Jährigen gefunden.

Sie war ein talentiertes Mädchen

«Ich hätte mir nie erträumt, dass Kate Drogen nimmt», sagt Mutter Tiffany Williams (41) zu Blick. Mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit wollen die Eltern die Bevölkerung dafür sensibilisieren, genau hinzuschauen und zu hinterfragen. «Ich mache mir grosse Vorwürfe und fühle mich schuldig», so die gebürtige Amerikanerin. «Uns hätte auffallen sollen, dass mit Kate etwas nicht stimmt. Jetzt fühlt es sich an, als wäre es nicht richtig, dass ich noch lebe und sie tot ist. Es ist einfach nicht fair.»

Die grosse Herausforderung bei der Erziehung der gemeinsamen Tochter: Die Eltern von Kate sind wahre Weltenbummler. Nach der Trennung zog Vater Ivan von Rom in die Schweiz, wo der Sportlehrer mit bulgarischen Wurzeln bei einer internationalen Schule in Bern eine Anstellung fand. Die gemeinsame Tochter lebte bei ihm und besuchte die Schule, an der ihr Vater unterrichtete. Die Mutter hatte unterdessen ein neues Leben in Frankreich angefangen, zunächst auf dem Festland und später auf der Insel Korsika. Wegen Covid konnte die Teenagerin ihre Mutter in der Zeit vor ihrem Tod aber nur noch selten besuchen.

«Wir sind mit Kate schon immer viel gereist», erinnert sich die 41-Jährige, die mit einem neuen Partner noch Kates Halbschwester (7) grosszieht. «Sie hat fünf Sprachen fliessend gesprochen: Englisch, Französisch, Bulgarisch, Deutsch und Italienisch.» Ihre Tochter sei unglaublich talentiert gewesen, bis ins Teenager-Alter habe sie wettkampfmässig Ballett und rhythmische Sportgymnastik gemacht. «Das hat sie dann aber aufgegeben, weil ihr durch das viele Training nicht genügend Zeit für die Schule blieb», erklärt die Mutter weiter. «Sie war auch sehr gut in der Schule und wollte später Chirurgin werden.» Kate sei eine «sprudelnde» Persönlichkeit gewesen, fröhlich und aufgestellt. «Und sie wollte immer allen helfen. Sie hatte zum Beispiel viele wohltätige Ideen, die sie umsetzen wollte», so die Trauernde. «Sie hat sich immer gegen Rassismus und Sexismus gestellt und sich für Rechte von Frauen und Homosexuellen ausgesprochen.»

Wegen Freundeskreis auf die schiefe Bahn geraten?

Dementsprechend gross war der Schock, als sie das Telefon mit der Nachricht von Kates Tod erhalten habe. «Ich habe geschrien und bin zusammengebrochen», sagt Tiffany Williams. Sofort sei sie in die Schweiz gereist. Beide Elternteile hätten nichts davon geahnt, dass das Mädchen offenbar auf die schiefe Bahn geraten war. Vater Ivan T. zu Blick: «Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht bemerkt habe, dass sie Drogen nahm.» Zwar habe er schon bemerkt, dass sich ihr Freundeskreis verändert hatte – doch man habe ihm jeweils versichert, es handle sich bei den neuen Freunden um «good kids». Einen Suizid schliessen beide Eltern definitiv aus, die Überdosis müsse ein Unfall gewesen sein.

Nach Kates Tod meldete sich allerdings eine Schulkollegin bei den Eltern: Die Mitschülerin berichtete, sie habe sich etwa eine Woche vor der Tragödie an eine psychologische Betreuerin der Schule gewandt. Blick liegt das E-Mail vor, darin steht: «Ich sorge mich um meine Freundin Kate. Sie isst nicht genug und ich glaube, sie braucht Hilfe.» Sie und ihre Gspänli hätten beobachtet, dass Kate Gewicht verloren habe und nicht gesund aussehe.

Die Eltern wollen wachrütteln

«Warum wurde ich von der Schule nicht kontaktiert?», fragt sich der Vater wütend. «Ich kann es kaum glauben, dass diese psychologische Betreuerin nicht auf mich zugekommen ist und mich informiert hat. Ich habe ja sogar an dieser Schule gearbeitet!» Nach Kates Tod habe die kontaktierte Lehrperson ihm ins Gesicht gelogen und abgestritten, informiert worden zu sein. Daher habe er es nicht mehr verkraftet, dort zu arbeiten. Er habe gekündigt und sei in die USA gezogen. «In Bern haben alle gewusst, was passiert war. Und ich habe mich unendlich dafür geschämt, dass wir alle ihr nicht helfen konnten – darum musste ich weg.» Die Bildungsinstitution wollte auf Anfrage nicht Stellung zum Drama nehmen.

Doch die Erziehungsberechtigten machen nicht nur sich selbst und der Schule Vorwürfe: Auch dass die Jugendliche überhaupt an die rezeptpflichtigen Medikamente gelangt ist, macht sie sprachlos. «Diese Medikamente werden an Drogenabgabestellen ausgegeben, aber die Süchtigen verkaufen die dann einfach weiter, wie ich gehört habe», sagt die Mutter fassungslos. «Ich gehe davon aus, dass Kate die Pillen von ihren neuen ‹Freunden› bekommen hat und gar nicht genau wusste, was sie da einnimmt.»

Sie fordert strengere Drogenkontrollen durch die Polizei, etwa auf der Grossen Schanze in Bern, wo Kate gemäss ihrer Mutter überhaupt erst mit Drogen in Kontakt gekommen sei. Zudem will sie härtere Strafen und strengere Gesetze für den Drogenhandel – und möchte Teenie-Eltern dazu wachrütteln, bei ihren Kindern genau hinzuschauen: «So etwas darf nie wieder passieren!»

Ihre Asche soll am Strand verstreut werden

Derzeit sind gemäss Kantonspolizei Bern die Ermittlungen zum Fall immer noch im Gange. «Sie haben auch noch ihr Telefon», bestätigt Tiffany Williams. Die Beerdigung von Kate stehe noch aus, meint die Mutter traurig. «Es ging alles sehr schnell und kam so unerwartet, daher haben wir sie jetzt mal kremieren lassen und werden ihre Asche irgendwann auf Korsika am Meer verstreuen. Sie hat es dort geliebt.» Ihre quirlige Kate werden die Eltern nie vergessen – und sich ihren Tod wohl nie ganz verzeihen.

* Namen bekannt

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