Diese Woche standen eine Hebamme, eine Assistenzärztin und ein Nierenarzt vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland. Der Grund: Ihnen wurde fahrlässige Tötung vorgeworfen. Sie sollen Schuld an dem Tod von Charlotte S.* (†43) sein. Sie hatte Ende September 2015 nach der Geburt ihres vierten Kindes eine überdosierte Insulinspritze erhalten. Kurz darauf fiel sie ins Wachkoma. Nach drei Jahren verstarb sie.
Nun ist das Urteil da: Die Hebamme und der Nierenarzt werden der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen und kriegen je eine bedingte Geldstrafe. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. Die Assistenzärztin wird als einzige freigesprochen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung.
Vieraugen-Prinzip nicht korrekt angewandt
Das Gericht sieht eine Verletzung der Sorgfaltspflicht in der nicht korrekten Anwendung des Vieraugen-Prinzips, wie es in der Begründung heisst. Die Assistenzärztin sei gedanklich andernorts gewesen, was die Hebamme hätte merken müssen. Unter anderem darum wurde die Assistenzärztin auch freigesprochen. Der Richter erklärt: «Für ihre Position war das Vieraugen-Prinzip nicht Pflicht und sie hat gar nicht realisiert, dass die Hebamme das mit ihr durchführen wollte und die Hebamme hat ihrerseits gemerkt, dass die Assistenzärztin es nicht merkt.»
Dass die Hebamme sich bei der Berechnung der Dosis verrechnet hat, gab diese bei der Befragung am Dienstag zu — diesen Fehler wertet der Richter als Sorgfaltspflichtverletzung.
Arzt stellte entscheidende Frage nicht
Der Nierenarzt wurde ebenfalls der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen. Bei ihm begründete das Gericht, dass er zwar vor und nach der Visite mit seinem Verhalten keine Sorgfaltspflicht verletzte — jedoch hätte er bei dem Kontrollbesuch die entscheidende Frage nach dem Blutzuckerwert stellen sollen.
Die Staatsanwaltschaft hatte einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung für alle drei Beschuldigten gefordert.
Fehlendes Fachwissen bei Assistenzärztin
Während die Hebamme am Dienstag vor Gericht ihre Schuld sowie den Rechenfehler eingestanden hatte und sich bei den Angehörigen entschuldigte, zeigten sich die Assistenzärztin und der Nierenarzt zwar auch betroffen — doch sie versuchten, sich aus der Verantwortung zu ziehen.
Der Nierenarzt gab an, lediglich beratend zur Seite gestanden zu sein. Die Assistenzärztin, die damals fünf Jahre Berufserfahrung hatte, spricht von fehlendem Fachwissen ihrerseits.
* Name geändert