Jedes Jahr bleibt die Air Zermatt auf über 100'000 Franken Kosten sitzen, die gerettete Bergsteiger einfach nicht bezahlen. Oftmals sind es Touristen, die das Unternehmen um die Zeche für die Rettungsflüge prellen. Doch nicht nur in der Luft drücken sich Feriengäste ums Bezahlen. Auch auf der Strasse passiert das.
Wer in der Schweiz beim Falschparkieren oder Zu-schnell-Fahren erwischt wird, muss eine Busse zahlen: Diese Regel gilt aber offenbar nicht für ausländische Touristen. Wie vergangene Woche bekannt wurde, gingen deswegen im vergangenen Jahr allein der Gemeinde Interlaken BE 400'000 Franken Bussgelder durch die Lappen. Laut der Berner Regierung besteht kein Handlungsbedarf – vor Ort sieht man das anders.
Inkasso-Kosten höher als Busse
Das Problem: Ein Grossteil der Bussen wird von Mietwagen-Benutzern verursacht, die im Nicht-EU-Ausland wohnen. Während Bussen dank eines Abkommens im Schengenraum ohne grosse Probleme eingefordert werden können, gestaltet sich das in der restlichen Welt schwieriger. Interlakens Gemeindepräsident Philippe Ritschard (64) sagt zu Blick: «Die Inkasso-Kosten wären höher als das Bussgeld, und ein Erfolg wäre nicht mal garantiert.»
Die Mietwagen-Firmen sind dabei fein raus. Sie sind in der Schweiz nur dazu verpflichtet, die Adressen der Gebüssten herauszurücken. Um das Eintreiben der Bussen müssen sie sich nicht kümmern.
Zwar liegen die Einnahmen durch Parkgebühren und Bussen in Interlaken mit jährlich rund 1,5 bis zwei Millionen Franken deutlich über den 400'000 Franken Verlust – dennoch ist das für den Gemeindepräsidenten kein Betrag, den er ignorieren kann oder will. «Ganz klar: Hier muss etwas passieren», sagt Ritschard. Und nicht nur in Interlaken, sondern in der gesamten Schweiz. «Jede touristische Gemeinde kämpft mit dem gleichen Problem. Bei grossen Städte wie Bern, Luzern und Zürich geht es wohl um zehnmal mehr Geld.»
Ritschard fordert deshalb eine Lösung auf nationaler Ebene: «Die Politik muss Mietwagen-Firmen in die Pflicht nehmen.» Da diese üblicherweise bereits die Kreditkartendaten sowie ein Schadendepot von ihren Kunden haben, wäre das die einfachste Lösung. «Mietwagen-Firmen sollen unsere Forderungen entweder direkt ihren Kunden verrechnen oder aber selbst für die Bussen haften.»
Genervte Einwohner
Wie brisant das Thema ist, merkt man auf Interlakens Strassen. So sagt etwa Michael (36): «Das ist nicht fair. Jeder sollte gleich behandelt werden.» Thomas (48) pachtet ein Restaurant direkt neben einer Interlakner Attraktion und hat immer wieder mit ausländischen Touristen zu kämpfen. Vor allem mit solchen, die ihren Mietwagen auf seinem Gäste-Parkplatz abstellen, ohne beim ihm einzukehren. «Wir mussten ein richterliches Parkverbot anschaffen.»
Anna (64) findet dagegen: «Es bringt nichts, über Touristen zu schimpfen. Das ist ein administratives Problem, das die Politik lösen muss.» Ähnlich sieht das Bar-Inhaber Andreas (68): «Jeder kann mal falsch parkieren oder zu schnell fahren. Aber wie kann es sein, dass unsere Gemeinde kein funktionierendes System hat, die Bussen zu kassieren?»
Diese Frage stellt sich auch Stefan (30): «Es kann doch nicht so schwer sein, dass die Bussen noch am selben Tag bei den Mietwagen-Firmen sind und dort direkt auf die Rechnung genommen werden?» Zudem kritisiert er, dass ausländische Touristen oft gar nicht erst gebüsst würden. «Touristen dürfen nicht schikaniert werden – wir Schweizer schon.»
Das bestätigt Karl (55): «Mit einer AI-Nummer darf man in Interlaken alles.» Mit AI-Nummer meint er Mietwagen, die sehr häufig ein Nummernschild aus Appenzell Innerrhoden haben. Nur halb im Scherz fügt er hinzu: «Ich zahle hier ab jetzt auch keine Bussen mehr.»
Gemeindepräsident dementiert Sonderbehandlung
Eine Busse nicht zu bezahlen, das ist laut Gemeindepräsident Ritschard keine gute Idee: «Das kann sehr schnell sehr teuer werden.» Dennoch könne er die Frustration verstehen. «Darum müssen wir dafür sorgen, dass jeder, der eine Busse kriegt, diese auch bezahlen muss. Ob Einheimischer oder Tourist.»
Doch auch die Bussensteller wie die Gemeinde Interlaken müssten ihren Teil zur Lösung beitragen, so Ritschard. «Wir müssen daran arbeiten, dass unsere Bussen möglichst schnell bei den Mietwagenfirmen ankommen. Im besten Fall noch bevor der Wagen zurückgegeben und abgerechnet wird.»
Die meisten Mietwagen-Firmen wollen sich auf eine Anfrage nicht äussern. Europcar schreibt aber, dass Kunden direkt von der Firma über etwaige Bussen informiert werden. Auch mit der von Gemeindepräsident Ritschard vorgeschlagenen Lösung rennt man hier offene Türen ein: «Es kann vorkommen, dass wir die für die Miete eingesetzte Kreditkarte belasten, wenn der Kunde die Busse nicht begleicht.»