Fünf Männer drücken am Montag die Anklagebank des Regionalgerichts Bern-Mittelland: Der Hauptangeklagte Yegor U.* (36) erscheint in Begleitung der Polizei mit Jogginghose und in Fussfesseln – sie klirren laut, als er durch den Gerichtssaal an seinen Platz geht. «Mir geht es sehr, sehr schlecht», sagt der ukrainische Kampfsportler bei seiner Befragung durch den Richter. Er sitzt in vorzeitigem Strafvollzug. «Seit dreieinhalb Jahren befinde ich mich wie in einer Konservendose und lebe unter sehr schlechten Bedingungen. Mir tun die Augen weh, und ich habe vergessen, wie der Himmel aussieht.» Ausserdem sei seine Familie noch in der Ukraine, das sei eine belastende Situation.
Yegor U. gilt in der Anklageschrift der Berner Staatsanwaltschaft als Haupttäter im Fall des brutalen Bijouterie-Raubes vom 27. Dezember 2017: Die vier Mitbeschuldigten Simon P.* (28), Ali G.* (25), Lavdrim S.* (30) und Guxim Z.* (31) sollen ihn dafür extra in die Schweiz geordert haben. Sie selbst etwa gaben die Fahrer oder Organisatoren und sind alle wieder auf freiem Fuss. Der ganzen Bande wird qualifizierter Raub beziehungsweise Gehilfenschaft vorgeworfen.
Juwelier wurde lebensbedrohlich verletzt
«Es war nicht so, dass ich jemanden gesucht habe, der einen Raubüberfall machen kommt. Ich habe jemanden gesucht, der einen Einbruch bei Nacht macht», erklärt Lavdrim S. (30) die angebliche Ursprungsidee dem Gericht. Er habe aufgrund seiner Arbeitslosigkeit finanzielle Probleme gehabt und sei auf diesen «Blödsinn» gekommen.
Nach ein paar minder bis gar nicht erfolgreichen Diebestouren, etwa bei einem Paketdienst, folgte nach Weihnachten dann der grosse Coup auf ein Berner Pfandleih- und Bijouteriegeschäft. Der Juwelier – ein damals 76-jähriger Mann – wurde gemäss Anklage mit massiven Tritten und Schlägen von Yegor U. ruhig gestellt, obschon dieser «wehrlos war und keine körperliche Gegenwehr leistete».
Mit Kehrichtsack und Klebeband gefesselt
Danach soll der Kriminaltourist, der auch in seinem Heimatland an einem Raub mit Todesfolge beteiligt gewesen sein soll, das reglose Opfer in einen Nebenraum geschleift haben. Dort habe er den Schwerverletzten mit Kehrichtsack und Klebeband gefesselt. Mit 17 Kilo Goldschmuck und Uhren im Wert von 600'000 Franken machte er sich schliesslich aus dem Staub. Besonders dreist: Der Ukrainer hatte sogar noch dem Opfer dessen Schmuck abgenommen.
Der schwer verletzte Juwelier wurde erst einen Tag später aufgefunden, er befand sich gemäss Staatsanwaltschaft in Lebensgefahr. Die Rede ist von mehreren Knochenbrüchen im Gesicht, einem schweren Schädel-Hirn-Trauma mit mehrfachen Hirnblutungen und multiplen sowie schweren Hirnverletzungen, auch ein schweres Gehörtrauma habe er erlitten. Der Berner trug bleibende Schäden wie Sprachstörungen und Beeinträchtigungen im Denken davon – und wurde unerwartet zum Pflegefall. Unterdessen ist er verstorben – es bleibt unklar, ob die Folgen des Brutalo-Raubes dabei eine Rolle gespielt haben.
«Das war der grösste Mist, den ich je gemacht habe»
Seine Taten gibt der Mann zwar zu, viel dazu sagen will er am Montag aber nicht mehr. Er spricht russisch, eine Dolmetscherin übersetzt seine Aussagen: «Ich habe das alles schon mehrfach ausgesagt und kann mich sowieso nicht mehr wirklich erinnern, das ist lange her.» Der Familie des Überfallopfers habe er einen Brief geschickt und um Verzeihung gebeten.
Sein einstiger Komplize Simon P. zeigt ebenfalls Reue. Der 28-Jährige sagt: «Das war der grösste Mist, den ich je gemacht habe.» Dass das Opfer derart übel zugerichtet worden sei, habe er erst aus der Zeitung erfahren.
Corona-Kredite ergaunert
Dem Berner werden nebst der Mittäterschaft auch Betrugsdelikte vorgeworfen. So soll er etwa während der Corona-Pandemie drei Solidaritätskredite bei verschiedenen Banken in der Höhe von insgesamt 150'000 Franken ergaunert haben. Er bestreitet den Vorwurf jedoch. Zugegeben hat er wiederum, dass er privat Schulden in sechsstelliger Höhe am Hals habe. Zuvor wurde er auch schon für diverse andere Delikte, etwa im Strassenverkehr, verurteilt. Seit gut einem Monat habe er nun aber wieder eine Anstellung gefunden und wolle sein Leben in den Griff kriegen, sagte er aus.
Der Prozess wird sich voraussichtlich noch einige Tage hinstrecken, das Urteil wird am 23. Mai erwartet. Es gilt die Unschuldsvermutung.
* Namen geändert