Ein ungewöhnlicher Gerichtsprozess ging gestern in Uster ZH zu Ende. Weil er seinem Opfer im September 2020 an dessen Arbeitsort mit einem sogenannten Bowie Messer je einen Stich in den Hals und ins Bein zugefügt hatte, wurde ein 22-Jähriger letzte Woche vom Bezirksgericht Uster verurteilt. Das Messer hatte eine 20 cm lange Klinge und verfehlte die Hauptschlagader des Opfers nur um Haaresbreite.
Über den Ablauf des Angriffs gibt es zwei Versionen. Diejenige des Opfers lautet, dass er direkt vom Angeklagten angegriffen worden war. Dieser hingegen behauptete, dass er mit dem Messer lediglich durch einen Türspalt herumgefuchtelt und das Opfer so getroffen habe.
Die erste Version überzeugte das Gericht anscheinend mehr. Für das Opfer hat der Messerangriff fatale Folgen. Er sei schwer angeschlagen, habe Alpträume und Angstzustände. Die Messerattacke habe sein Leben verändert und ihn komplett aus der Bahn geworfen, äusserte sich das Opfer vor Gericht.
Täter und Opfer waren keine Unbekannten
Was aber klar ist: Der Angriff passierte nicht zufällig. Denn einen Tag vor dem Messerangriff waren sich die Männer schon einmal begegnet. In einem Club in Zürich kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den beiden, wobei das spätere Opfer den Messerangreifer schliesslich geohrfeigt haben soll.
Wie der «Anzeiger von Uster» berichtet, wollte dieser die Schmach offenbar nicht auf sich sitzen lassen. «Er fühlte sich wie ein Hund. Da er seinem Gegner körperlich unterlegen war, musste er sich bewaffnen, um nicht wieder unter die Räder zu kommen», versuchte der Verteidiger die Aktion des Täters zu rechtfertigen. Er habe den Ohrfeiger nicht töten wollen, sondern ihm lediglich «ein wenig ins Bein stechen» wollen.
Nach dem Opfer klagt auch der Täter
Nach der Beendigung des Beweisverfahrens entschied sich der Messerangreifer, sein Opfer wegen der Ohrfeige zu verklagen. So mussten nicht nur Täter und Opfer ihre Rollen wechseln, sondern auch Verteidiger und Anwälte.
Obwohl das Opfer wegen der Ohrfeige eine Busse von 500 Franken zahlen muss, traf es den Täter wesentlich härter. Das Gericht verurteilte ihn wegen vorsätzlicher Tötung und mehrfacher Zuwiderhandlung gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und 75 Tagessätze zu 10 Franken. Er kommt aber trotzdem mit einem blauen Auge davon, denn die Freiheitsstrafe wurde zugunsten einer stationären therapeutischen Massnahme aufgeschoben, die er bereits angetreten hat.
Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, können beide Seiten noch Berufung einlegen.