Saudische Soldaten trainierten an Ruag-Simulator
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Kampfeinsatz im Jemen:Saudi-Offiziere übten an Schweizer Ruag-Simulator

Ausbildung zum Töten
Saudische Soldaten trainierten an Ruag-Simulator

Bei Schulungen lernten saudische Offiziere an einem Simulator des Schweizer Rüstungskonzerns Ruag den Umgang mit einem Artillerie-System. Wenig später wurde es im Jemen-Krieg eingesetzt.
Publiziert: 07.02.2021 um 00:53 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2021 um 23:21 Uhr
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Das Artillerie-System des Typs Caesar ist von tödlicher Effizienz. Die Saudis setzen die Kanonen im Jemen-Krieg ein.
Foto: zvg
Fabian Eberhard

Wenn es um den Jemen geht, sprechen die Vereinten ­Nationen seit Jahren im tragischen Superlativ. In dem Land auf der Arabischen Halbinsel ereigne sich die «schlimmste humani­täre Krise der Welt». Seit 2015 starben mehr als 200 000 Menschen an den Folgen eines Bürgerkriegs. Zwei Millionen Kinder hungern, 80 Prozent der Bevölkerung sind auf ­humanitäre Hilfe angewiesen.

Mitverantwortlich für diese Katastrophe ist Saudi-Arabien. Kämpfer des Wüstenstaates heizen den Konflikt an. Sie töten dort nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten. Und Recherchen zeigen jetzt: Sie wurden für ihren Einsatz geschult – an einem Simulationssystem des Schweizer Rüstungskonzerns Ruag.

SonntagsBlick liegen Videoaufnahmen der Trainings vor

Wer verstehen will, wie Riad von Schweizer Know-how profitiert, muss nach Frankreich blicken. 2017 – vermutlich auch in den darauf­folgenden Jahren – organisierte das staatliche französische Unternehmen DCI dort umfassende Trainings für mehrere Dutzend Kader der saudischen Nationalgarde (Sang).

An Simulatoren übten die Offiziere Kampfeinsätze mit selbstfahrenden Haubitzen des Typs Caesar, eines Artilleriesystems von tödlicher Effizienz, das auch im Jemen-Krieg zum Einsatz kommt. Die Geschütze können von einem Geländelastwagen sechs Projektile pro Minute abfeuern. Ihre Reichweite: 42 Kilometer. Die Sprengkraft: verheerend.

SonntagsBlick liegen Videoaufnahmen von einem der Trainings im Jahr 2017 vor, die das niederländische Recherchebüro Lighthouse Reports bereits analysiert und verifiziert hat. Die Aufnahmen entstanden in der französischen Militärschule in Draguignan und sind Teil eines Image-Films von DCI.

Simulator ermöglicht «sehr realistische Schlachtfeld-Umgebung»

Um den Schülern aus Saudi-Ara­bien ein möglichst realistisches Kampferlebnis zu garantieren, benutzten die Organisatoren von DCI das hoch spezialisierte Simula­tionssystem Sota, hergestellt von Ruag, einer Tochterfirma des bundeseigenen Schweizer Rüstungskonzerns. Die Ruag räumt ein, dass man 2014 ein solches System an DCI geliefert habe.

In Firmendokumenten preist die Ruag das System an: «Mit dem ­Simulator taucht der Auszubil­dende in eine sehr realistische Schlachtfeld-Umgebung ein.» Eine virtuelle Vorbereitung auf den Krieg.

Mit dem Sota-System können in mehreren Landschaften – Stadt, Wüste, Berg – verschiedene Wetterszenarien durchgespielt werden: Nebel, Regen, Schnee und Wind. Als Referenz gibt die Ruag in den Dokumenten unter anderen die saudischen Sang-Truppen an.

Virtuelle Schulung in Frankreich, tödlicher Ernst in Saudi-Arabien

Riad setzt seit langem auf Sota-Simulatoren. Bereits die Vorgängerfirma von Ruag France, Gavap, lieferte bis 2012 mehrere solcher Systeme an die Nationalgarde des saudischen Königs, gleichzeitig aber auch an Frankreich. 2013 übernahm die Ruag Gavap.

Schon vor der Übernahme jedoch pflegte man laut eigenen Angaben eine «strategische Partnerschaft im Bereich der Virtual- und Live-Simulationen». Mehr noch: Wie Sprecher Clemens Gähwiler bestätigt, bietet die Ruag bis heute den Unterhalt aller Soto-Anlagen an.

In Saudi-Arabien wird aus den virtuellen Schulungen in Frankreich tödlicher Ernst. Spätestens seit 2018 kommen die Caesar-Haubitzen im Jemen-Krieg zum Einsatz. So geht es aus einem internen Bericht des französischen Militärgeheimdienstes hervor, den das Recherche-Start-up Disclose in Zusammenarbeit mit dem TV-Sender Arte publik machte.

Demnach unterstützen Caesar-Geschütze, die Frankreich an Saudi-Arabien geliefert hat, die saudischen Truppen bei ihrem Vormarsch im Jemen. 48 der mobilen Kanonen stehen an der Grenze zwischen Saudi-Arabien und dem Bürgerkriegsland. Eingesetzt werden sie unter anderem von der Nationalgarde.

In seiner Analyse schätzt der ­französische Militärgeheimdienst das Risiko für die Zivilbevölkerung als hoch ein: «potenziell von Artilleriebeschuss betroffene Bevöl­kerung: 436 370 Personen».

Offensichtlich, dass Schweizer Konzerne vom Krieg profitieren

Die unabhängige jemenitische NGO Mwatana for Human Rights stellte kürzlich fest, dass nahe der Grenze zu Saudi-Arabien – also dort, wo die Caesar-Geschütze stehen – in den Jahren 2018 bis 2020 zahl­reiche Zivilisten durch Artilleriefeuer getötet wurden. Zeitpunkt und Art des Beschusses sowie festgestellte Schäden deuten nach Angaben der NGO auf eine Beteiligung von Caesar-Haubitzen hin.

Zu der Vermutung, dass saudische Soldaten bei ihren Angriffen im ­Jemen auf Ruag-Know-how zurückgreifen, will sich Clemens Gähwiler, der Sprecher des Konzerns, nicht äussern. Er sagt einzig: «Wer neben der französischen Armee auf den ­Simulatoren trainiert, kann nur der Besitzer der Anlage beantworten.» Doch DCI schweigt.

Rechtlich hat die Ruag nichts zu befürchten. Alles lief juristisch korrekt. Jonas Kampus, Sekretär der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), findet die Vorgänge dennoch ungeheuerlich: «Die Machenschaften der Ruag France sind ein Skandal. An den Händen der Verantwortlichen klebt das Blut ermordeter Zivilistinnen und Zivilisten!»

Es werde immer offensichtlicher, wie stark Schweizer Konzerne am Geschäft mit dem Tod im Jemen profitierten. «Bundesrat und Par­lament müssen endlich ihre völkerrechtliche Verantwortung über­nehmen und jegliche militärische Zusammenarbeit mit dem saudischen Regime verbieten.»

Saudische Soldaten feuerten bereits mit Sturmgewehren aus Schaffhausen

Zwar untersagt die Schweizer ­Regierung seit Beginn des Jemen-Kriegs Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien. Ausgenommen sind Ersatzteile für Flugabwehrsysteme, wie die Schweiz sie ab den 1980er-Jahren an Riad geliefert hat.

Schweizer Waffen sind im Konflikt auf der Arabischen Halbinsel trotzdem im Einsatz. 2018 machte SonntagsBlick publik, dass saudische Soldaten im Grenzgebiet zum Jemen mit SIG-Sturmgewehren aus Schaffhauser Produktion feuerten. Sie stammten aus einer Lieferung an die saudische Marine im Jahr 2006. Auch die war rechtlich korrekt – und vom Bund bewilligt.

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