Weniger Öl und Gas, mehr einheimische Erneuerbare: bis hierhin herrscht in der Politik Einigkeit, wenn es um die künftige Schweizer Energieproduktion geht. Die Frage, was höher zu gewichten ist – Naturschutz oder saubere Energie –, spaltet die Politik. Das zeigt sich aktuell bei der Wasserkraft.
Das Gesetz sieht für viele Kraftwerke künftig schärfere Vorschriften vor in Bezug auf das Restwasser. Das ist jene Wassermenge, die nicht durch die Anlage fliesst, sondern im Bach bleibt, damit Insekten und Fische nicht plötzlich auf dem Trockenen landen.
Die Bergkantone wehren sich gegen diese Bestimmung. Diese hätte einen Verlust von zwei bis vier Terawattstunden zur Folge – kein vernachlässigbarer Betrag bei einem Total von 40 Terawattstunden pro Jahr, welche die Wasserkraft produziert. Zur «NZZ am Sonntag» sagte der Bündner Mario Cavigelli (56), Präsident der Konferenz der kantonalen Energiedirektoren: «Wir müssen bei den Restwassersanierungen unbedingt über die Bücher.»
Vierthöchste Zahl ausgestorbener Fischarten
Diese Aussage hat wiederum die Wissenschaft aufgeschreckt. In einem kürzlich veröffentlichten Blogbeitrag meldet sich Florian Altermatt (43) zu Wort, Professor für Aquatische Ökologie an der Universität Zürich. Zusammen mit zwei weiteren Professoren weist er darauf hin, dass die Berechnungen für die nötige Menge an Restwasser auf «wissenschaftlichen Grundlagen» basiere. Heute sei diese vielerorts zu tief, sagt Altermatt: «Schon heute hat die Schweiz von allen Ländern die vierthöchste Zahl an ausgestorbenen Fischarten.» Werde die Restwassermenge nicht erhöht, drohe ein weiterer Verlust der Biodiversität. «Viele Insekten und Fische werden sterben, gerade angesichts der stetig steigenden Temperaturen.»
Der Biologe weist darauf hin, dass das Parlament bereits 1991 höhere Restwassermengen beschlossen hatte. Allerdings schob der Gesetzgeber den Zeitpunkt der Umsetzung weit in die Zukunft hinaus: Die strengeren Vorschriften gelten erst beim Ablauf der Nutzungsbewilligung eines Kraftwerks.
Ausbau kommt kaum voran
Nun, da die Anwendung des Gesetzes näher rückt – 60 Prozent der Konzessionen laufen zwischen 2035 und 2050 aus – wächst in den Bergkantonen die Opposition. Zumal die Schweiz gleichzeitig über eine Erhöhung der einheimischen Stromproduktion diskutiert, auch vor dem Hintergrund der Pariser Klimaziele.
Forscher Florian Altermatt wehrt sich dagegen, den Klimawandel dem Verlust der Biodiversität gegenüberzustellen. «Wir dürfen die beiden Krisen nicht gegeneinander ausspielen», sagt er. «Wir müssen die Energiewende so schaffen, dass es genügend Restwasser in den Bächen hat. Eine Umsetzung der bestehenden Gewässerschutz-Gesetzgebung ist daher wichtig.»
Ob diese Argumentation in der Politik auf Gehör stösst, ist offen. Denn der Ausbau von bestehenden Wasserkraftwerken – der nötig wäre, um die drohende Stromlücke zu schliessen – kommt ebenfalls kaum voran.
Kommt die Fristverlängerung?
Angesichts dessen sagt Roberto Schmidt (59), Präsident der Konferenz der Gebirgskantone: Es mache wenig Sinn, die bestehende Produktion der Wasserkraft zu reduzieren, «um dieses Minus dann durch neue Wasserkraftanlagen kompensieren zu müssen». Das sei ein «Nullsummenspiel».
Am Ende könnte es darauf hinauslaufen, dass die ständerätliche Umweltkommission, die sich derzeit mit dem Thema befasst, die Frist für die Umsetzung des Gesetzes verlängert. Und den Schutz der Forellen, Äschen und Flohkrebse damit einmal mehr in die Zukunft verschiebt.