Sommaruga gegen Axpo-Chef
Der Stromstreit eskaliert

Der Schweiz geht der Saft aus. Energieministerin Simonetta Sommaruga und Axpo-Chef Christoph Brand geben einander gegenseitig die Schuld am drohenden Blackout.
Publiziert: 07.11.2021 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 07.11.2021 um 09:44 Uhr
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Der Schweiz geht der Strom aus.
Foto: Getty Images
Danny Schlumpf

Die Schweiz verabschiedet sich von fossilen Energien: E-Autos ersetzen Benziner, Wärmepumpen lösen Ölheizungen ab. Damit aber steigt auch der Stromverbrauch – während auch noch die Atomkraftwerke nach und nach vom Netz gehen.

Hinzu kommt, dass der Ausbau der Erneuerbaren stockt. Wind- und Solarenergie decken bisher gerade einmal sechs Prozent des Verbrauchs. Künftig muss die Schweiz deshalb im Winter bedeutend mehr Elektrizität importieren als heute.

Doch der Zufluss aus Europa droht zu versiegen. Weil der Bundesrat die Verhandlungen über das Rahmenabkommen abgebrochen hat, will die EU kein Stromabkommen mit der Schweiz abschliessen. Und spätestens ab 2025 reservieren unsere Nachbarn mindestens 70 Prozent ihrer grenzüberschreitenden Kapazitäten für den Elektrizitätshandel innerhalb der EU.

Deshalb muss die Schweiz die einheimische Produktion massiv ausbauen – und zwar, um die Klimaziele zu erreichen, mit grüner Energie.
Die hiesigen Stromversorger von Axpo bis Alpiq investieren zwar kräftig in die Erneuerbaren – bloss tun sie das lieber jenseits der Grenze. In den letzten fünf Jahren hat sich die Jahresproduktion ihrer ausländischen Kraftwerke um 70 Prozent auf 11,5 Terawattstunden (TWh) erhöht. Das entspricht einem Sechstel des jährlichen Verbrauchs der Schweiz.

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Im Fall eines Streits mit Brüssel allerdings ist dieser Saft wertlos. «Er gehört zur Stromkapazität der EU beziehungsweise des jeweiligen Landes», sagt das Departement von Simonetta Sommaruga. «Die Schweizer Unternehmen haben kein Anrecht oder Vorrecht, den Strom in die Schweiz zu importieren.»

Deshalb griff die Energieministerin die Stromunternehmen unlängst frontal an und machte sie für die drohende Energiekrise verantwortlich. Die Reaktion kam postwendend: Die Verantwortung für die Versorgungssicherheit des Landes liege nicht bei den Unternehmen, sagte Axpo-CEO Christoph Brand Ende Oktober in der «Schweiz am Wochenende». Wenn das Land auf einen Versorgungsengpass zusteuert, müsse der Bund Massnahmen ergreifen – nicht etwa die Axpo oder die BKW.

Bund: Die Betreiber sind verantwortlich

Damit eskalierte der Streit – und Sommaruga widerspricht dem Strom-Boss vehement. «Die Energieversorgung in der Schweiz ist primär Sache der Energiewirtschaft», hält ihr Departement Uvek auf Anfrage fest. Exakt so steht es im Artikel 6 des Energiegesetzes.

Dennoch kontert der Axpo-Chef im Gespräch mit SonntagsBlick: «Seit der Teilmarktliberalisierung von 2009 hat die Schweiz ein System von Teilverantwortlichkeiten. In diesem Rahmen hat Axpo keinen Versorgungsauftrag.»

Die Schweiz steuert auf ein Blackout zu – und niemand will die Verantwortung übernehmen. Für Aeneas Wanner, Geschäftsleiter von «Energie Zukunft Schweiz», kommt das nicht überraschend: «Die Verantwortlichkeiten verteilen sich vom Bundesrat und dem Parlament über die Elektrizitätskommission ElCom bis zu den Netzbetreibern, Produzenten und Versorgern.» Sie alle müssten an einem Strang ziehen, sagt Wanner. «Besonders jetzt, weil der Zugang zum EU-Netz in einer Krise erschwert wird.»

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Vorgestern Freitag war die Krise mit Händen zu greifen. An diesem Tag trafen sich über 300 Branchenvertreter am ElCom-Forum in Luzern, um über Versorgungssicherheit zu diskutieren – aber auch die Frage der Verantwortlichkeit. «Hier haben wir eine grössere Baustelle«, sagte Elcom-Präsident Werner Luginbühl. «Die Elcom verlangt vom Bundesrat, jetzt Massnahmen zu ergreifen.» Aber auch die Unternehmen stünden in der Pflicht: «Sie investieren zu viel im Ausland.»

Diesen Vorwurf will Axpo-Chef Brand nicht auf sich sitzen lassen: «Seit 2013 haben wir fast dreimal so viel im Inland investiert wie im Ausland, vor allem in Wasserkraft, Kernkraft und Netzen.»

Warum aber sieht das bei Wind- und Sonnenenergie anders aus? «Im Ausland sind grössere Anlagen mit klimaneutraler Produktion deutlich schneller und wirtschaftlich realisierbar», so Brand. «In der Schweiz können wir praktisch keine neuen Projekte realisieren, weil alle durch Einsprachen blockiert sind. Und gleichzeitig wären sie nicht wirtschaftlich.»

Das sieht auch Nationalrat Roger Nordmann so. «Investitionen sind dringend und können am Markt kaum finanziert werden», sagte der SP-Energiepolitiker am ElCom-Forum in Luzern. «Der Staat muss für die Finanzierung neuer Anlagen mehr Geld fliessen lassen.»

Das allein reiche jedoch nicht, schiebt er im Gespräch mit SonntagsBlick nach: «Die Bewilligungsverfahren dauern viel zu lange, ohne dass damit die Natur besser geschützt wäre.» Viele Wasserkraft-, Biomasse- und Windprojekte würden von Einsprachen abgeklemmt. «Deshalb muss der Gesetzgeber die Bewilligungsverfahren massiv vereinfachen. Dann werden die Energieversorger auch im Inland in grünen Strom investieren.»

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Betreiber: Der Bund ist verantwortlich

Rudolf Rechsteiner, Verwaltungsrat des baselstädtischen Energieversorgers IWB und Autor des Buches «Die Energiewende im Wartesaal», kritisiert den Bund ebenfalls: «Die Anreize für inländische Investitionen sind ungenügend. Die Stromunternehmen müssen ihre Werke wirtschaftlich betreiben. Doch das ist unter den aktuellen Bedingungen in der Schweiz nicht möglich.» Dies zu ändern sei Aufgabe des Bundes: «Er ist bei sich abzeichnendem Strommangel verantwortlich für Gegenmassnahmen, nicht die Energieversorger.»

Womit der Ball erneut im Feld der Politik liegt, denn das Energiegesetz sagt auch: «Bund und Kantone sorgen für die Rahmenbedingungen, die erforderlich sind, damit die Energiewirtschaft diese Aufgabe im Gesamtinteresse erfüllen kann.»

Die Krux dabei: Unternehmen tun dies nur, wenn sie damit satte Gewinne machen. «Ein Unternehmen, das keine Rendite erzielt, ist langfristig nicht überlebensfähig», argumentiert Christoph Brand.

Denn Fakt ist auch: Die Schweizer Stromversorger sind längst zu Renditejägern geworden, deren Manager mit Millionen entlöhnt werden – obwohl hinter ihnen nicht irgendwelche privaten Grossinvestoren stehen, sondern in den allermeisten Fällen Gemeinden und Kantone.

Und die machen Druck. Christoph Brand: «Wir sind gemäss Obligationenrecht zu einer treuen Geschäftsbesorgung verpflichtet, können also nicht einfach Verlust durch unwirtschaftliche Investments zulasten der Kantone und ihrer Bevölkerung riskieren.» Als Eigner der Unternehmen könnten diese sehr wohl auf mehr Investitionen im Inland drängen. Im Zweifel aber entschieden sie sich genau wie private Investoren eben lieber für die Dividenden – und gegen die langfristige Versorgungssicherheit.

Dabei erlaubten die Rahmenbedingungen in der Schweiz bereits heute rentable Investitionen, sagt das Uvek. Und kündigt eine neue Vorlage an, mit der die Verfahren zum Bau neuer Anlagen beschleunigt werden sollen.

Ob das reicht, um ein Blackout abzuwenden? Die Zeit drängt.

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