«Wir können die Kernkraft nicht abstellen»
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«Es fehlt uns sehr viel Strom»:Darum will Martullo-Blocher ein neues AKW

Martullo-Blocher fordert neues AKW
«Wir können uns nicht erlauben, die Kernkraft abzustellen»

SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher sieht die Schweiz in eine Stromlücke rasseln. Auf Importe aus der EU könnten wir uns auch nicht mehr verlassen, sagt sie im Interview. Ihre Lösung: Atomkraft – ja, bitte.
Publiziert: 22.07.2021 um 00:58 Uhr
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Aktualisiert: 22.07.2021 um 13:21 Uhr
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Magdalena Martullo-Blocher fordert im Blick, die bestehenden AKW länger laufen zu lassen – und später ein neues zu bauen.
Foto: Thomas Meier
Interview: Sermîn Faki

Die Sonne scheint über dem Zürichsee, Dunstwolken verdecken die sonst so grandiose Aussicht auf die Alpen vom Sitz der Ems-Chemie in Herrliberg ZH. Dort empfängt Konzernchefin Magdalena Martullo-Blocher (51) Blick zum Interview. Nach den Unwettern der letzten Tage will die SVP-Nationalrätin über Klimapolitik reden. Und hat einen brisanten Vorschlag.

Frau Martullo, seit Wochen leidet die Schweiz unter heftigen Niederschlägen, Hochwassern und Erdrutschen. Ende letzter Woche spitzte sich die Situation zu. Für Sie ein Anzeichen des Klimawandels?
Magdalena Martullo-Blocher:
Solche starken Wetterausschläge kommen leider immer wieder vor. Gerade in Graubünden sind wir es gewohnt, dass sich die Natur laufend verändert. Die Schweiz hat sich in den letzten hundert Jahren gut auf Unwetter vorbereitet – wir messen, alarmieren und evakuieren. Mit den Wasserkraftwerken regeln wir die grossen Wassermengen. Unser Milizsystem und der Föderalismus bewähren sich hier – das ist in Deutschland anders.

Martullo-Blocher will ein neues AKW für die Schweiz
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Atomkraft – ja, bitte:Martullo-Blocher will ein neues AKW für die Schweiz

Experten sagen, dass uns solche Extremereignisse künftig häufiger treffen werden – wegen des Klimawandels. Die Politik will das Risiko reduzieren. Die Schweiz soll bis 2050 klimaneutral werden. Energieministerin Simonetta Sommaruga möchte weg vom Öl, mehr erneuerbare Energien und Strom sparen. Ein guter Plan?
Der weltweite CO2-Ausstoss kann nur massgeblich reduziert werden, wenn China und die USA ihre Energiepolitik ändern. Die Schweiz trägt ja kaum etwas zum globalen Ausstoss bei. CO2 einzusparen, ist aber immer gut. Bei der Ems-Chemie sind wir schon lange führend in diesem Bereich und, wohl als erster Industriekonzern der Schweiz, bereits CO2-frei. In der Schweiz wird der Strom heute fast ausschliesslich durch Wasser- und Kernkraftwerke produziert und ist CO2-frei. Mit dem Ausstieg aus der Kernkraft wird uns ein Drittel des Stroms fehlen. Wir sollen mehr mit Wärmepumpen heizen und E-Autos fahren, Zuwanderung und Digitalisierung lassen den Stromverbrauch steigen. Doch woher kommt dann der Strom?

Bündner Zürcherin

Magdalena Martullo-Blocher (52) war nach dem Wirtschaftsstudium an der HSG Produktmanagerin bei Johnson & Johnson, später Marketingleiterin bei Rivella. 2001 trat sie in die Ems-Gruppe ihres Vaters Christoph Blocher (81) ein. Als dieser 2003 in den Bundesrat gewählt wurde, übernahm sie hochschwanger die Leitung des Chemiekonzerns. 2015 wurde die Zürcherin für die SVP Graubünden in den Nationalrat gewählt. Martullo-Blocher lebt mit ihrem Mann Roberto Martullo (60) und den drei gemeinsamen Kindern in Meilen ZH.

Magdalena Martullo-Blocher
Thomas Meier

Magdalena Martullo-Blocher (52) war nach dem Wirtschaftsstudium an der HSG Produktmanagerin bei Johnson & Johnson, später Marketingleiterin bei Rivella. 2001 trat sie in die Ems-Gruppe ihres Vaters Christoph Blocher (81) ein. Als dieser 2003 in den Bundesrat gewählt wurde, übernahm sie hochschwanger die Leitung des Chemiekonzerns. 2015 wurde die Zürcherin für die SVP Graubünden in den Nationalrat gewählt. Martullo-Blocher lebt mit ihrem Mann Roberto Martullo (60) und den drei gemeinsamen Kindern in Meilen ZH.

Aus mehr Photovoltaik zum Beispiel.
Es ist geplant, 15-mal so viele Solarzellen wie heute zu installieren. Falls das überhaupt möglich ist, produzieren diese aber fast nur im Sommer.
Wir brauchen den Strom aber im Winter!

Fürs Winterhalbjahr soll die Wasserkraft ausgebaut werden und als Reserve dienen.
Selbst wenn man alle denkbaren Wasserkraftprojekte bauen würde, wäre diese Strommenge nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Der links-grüne Landschaftsschutz blockiert zudem das einzige geplante Wasserkraftwerk seit Jahren!

Dieses Problem können Sie ja der SP-Energieministerin überlassen.
Genau, sie muss zeigen, wie sie diesen Ausbau gegen Links-Grün realisiert! Aber selbst wenn, wird das nicht reichen. Das weiss inzwischen auch der Bundesrat. Daher rechnet er im Winter mit bis zu 40 Prozent Strom aus Europa. Das ist völlig unrealistisch!

Wieso das?
Weil die EU noch viel grössere Stromprobleme hat als wir. Die Hälfte des europäischen Stroms wird aus Gas und Kohle hergestellt. Davon will die EU nun weg – wie sie den Strom dann herstellen wird, steht aber in den Sternen. Dass die EU dann noch im Winter, wenn sowieso alle mehr Strom brauchen, die Schweiz beliefert, ist völlig illusorisch. Wir müssen uns selbst organisieren.

Und wie soll das gehen?
Wir können es uns nicht erlauben, die Kernkraft abzustellen und ein Drittel unserer Stromproduktion zu verlieren. Frau Sommaruga muss jetzt die Verantwortung übernehmen, die Stromlücke aufzeigen und lösen. Sie muss mit den AKW-Betreibern die sichere und effiziente Verlängerung der bisherigen Kernkraftwerke ausarbeiten. Eine Verlängerung um zehn Jahre wäre laut Experten möglich.

Bund ist im Gespräch mit Betreibern

Die Schweizer AKW dürfen so lange am Netz bleiben, wie sie sicher sind. Das hat die Bevölkerung 2017 beschlossen. In seinen Energie-Szenarien rechnet der Bund mit einer Laufzeit von 50 Jahren. Wie die «NZZ am Sonntag» kürzlich berichtete, laufen aber Gespräche mit den Betreibern darüber, wie deren Planungen aussehen.

Dies auch vor dem Hintergrund, dass man die Kraftwerke zehn Jahre länger laufen lasse könnte, um den Übergang zu einer Versorgung mit erneuerbaren Energien sanfter zu gestalten. Doch das würde weitere Sicherheitsnachweise und Investitionen bedeuten. Die Gespräche mit den AKW-Betreibern, so bestätigte das Bundesamt für Energie, drehten sich um diese Themen.

Dass die vier verbleibenden AKW wirklich nach 50 Jahren vom Netz gehen müssen, glaubt ohnehin niemand: Beznau I und II müssten dann nämlich schon jetzt zurückgebaut werden. Doch sie produzieren noch immer Strom. Geht es nach Eigentümerin Axpo, soll das auch noch zehn Jahre so bleiben. Erst dann will der Konzern die beiden Meiler abschalten. Sermîn Faki

Das AKW Beznau produziert auch über 50 Jahre nach seiner Inbetriebnahme noch Strom.
Keystone

Die Schweizer AKW dürfen so lange am Netz bleiben, wie sie sicher sind. Das hat die Bevölkerung 2017 beschlossen. In seinen Energie-Szenarien rechnet der Bund mit einer Laufzeit von 50 Jahren. Wie die «NZZ am Sonntag» kürzlich berichtete, laufen aber Gespräche mit den Betreibern darüber, wie deren Planungen aussehen.

Dies auch vor dem Hintergrund, dass man die Kraftwerke zehn Jahre länger laufen lasse könnte, um den Übergang zu einer Versorgung mit erneuerbaren Energien sanfter zu gestalten. Doch das würde weitere Sicherheitsnachweise und Investitionen bedeuten. Die Gespräche mit den AKW-Betreibern, so bestätigte das Bundesamt für Energie, drehten sich um diese Themen.

Dass die vier verbleibenden AKW wirklich nach 50 Jahren vom Netz gehen müssen, glaubt ohnehin niemand: Beznau I und II müssten dann nämlich schon jetzt zurückgebaut werden. Doch sie produzieren noch immer Strom. Geht es nach Eigentümerin Axpo, soll das auch noch zehn Jahre so bleiben. Erst dann will der Konzern die beiden Meiler abschalten. Sermîn Faki

Es gibt gar keine fixen Laufzeiten! Die Schweizer AKW dürfen so lange produzieren, wie sie sicher sind.
Bei der Konzession geht man von einer Laufzeit von 50 Jahren aus. Das letzte Kernkraftwerk würde 2035 vom Netz gehen. Das ist in der Stromherstellung morgen! Die Betreiber haben sich entsprechend eingestellt: Sie planen die Investitionen, den Unterhalt, die Rückbaukosten für diese Zeit. Der Bund muss die Verlängerung an die Hand nehmen und bewilligen. Diese wird etwas kosten. Im Vergleich zu den Stromausfällen, die sonst die ganze Schweiz lahmlegen, ist das jedoch wenig. Zusätzlich muss Frau Sommaruga mit der EU verhandeln, dann sieht man schnell, ob die EU Strom liefern kann. Als Rückfallposition muss sie wohl oder übel ein Gaskraftwerk vorbereiten.

Mit einem Gaskraftwerk wollen Sie doch wieder in fossile Energie investieren.
Nein, das möchte ich nicht, aber leider gibt es nichts anderes. Entweder importieren wir CO2-Strom aus Europa oder bauen selber. Längerfristig kommen dann neue Technologien wie Geothermie, Wasserstoff, aber auch Kernkraft wieder in Betracht.

Ein neues AKW? Und was ist mit dem Volksentscheid, schrittweise aus der Kernkraft auszusteigen? Die SVP fordert doch immer, Volksentscheide zu respektieren.
Beim Energiegesetz versprach man dem Volk die volle Stromversorgung. Damit hat man dem Volk falsche Hoffnungen gemacht. Wir von der SVP wiesen darauf hin, dass dann nur noch der Importstrom bleibt und alles sehr teuer wird. Ich glaube nicht, dass das Volk eine grosse Stromlücke, eine mangelnde Versorgung wie in Entwicklungsländern oder wieder ins Mittelalter zurückfallen möchte. Bundesrätin Sommaruga muss dies nun an die Hand nehmen!

Dass es eine Stromlücke geben wird, das behaupten Sie!
Schon ab nächstem Jahr werden wir beim Strom Nettoimporteur sein! Frau Sommaruga verschliesst die Augen. Doch sie steht in der Pflicht, eine sichere und günstige Stromversorgung sicherzustellen. Bereits heute sind wir beim Industriestrom das drittteuerste Land Europas!

Zurück zu alten Technologien? Sie leiten ein innovatives Unternehmen. Müsste man nicht auf neue Technologien setzen? Ihr Parteikollege Christian Imark bevorzugt Wasserstoff.
Neue Technologien bringen neue Lösungen. Leider braucht die Wasserstoff-Technologie selber enorm viel Strom – Strom, den wir in nächster Zeit nicht haben!

Stattdessen wollen Sie Atomstrom. Sind Sie wirklich dafür, Plutonium und Uran zu kaufen und Atommüll anzuhäufen, für den wir nach wie vor keine Lösung haben?
Vielleicht ist das gar nicht nötig, und man kann mit dem Material arbeiten, das schon im Einsatz ist. Das muss man jetzt genau anschauen. Ja, die Frage der lokalen Entsorgung ist ungelöst. Hier laufen Sondierprojekte. Offenbar sind die Skandinavier bereit, Endlager zu übernehmen.

Asien setzt auf Atomstrom

In Europa hat es Kernkraft schwer: Neben der Schweiz steigt auch Deutschland aus. Und selbst das AKW-Land Frankreich will seine Atomstromproduktion zumindest drosseln.

Anders in Asien: Allein in China sind derzeit 44 neue Kernkraftwerke geplant. Russland folgt mit 24 AKW-Projekten, Indien lässt 14 Anlagen errichten. Auch Japan will viele der Meiler, die nach der Katastrophe von Fukushima heruntergefahren wurden, wieder in Betrieb nehmen. Um vom Öl wegzukommen, setzt auch der Nahe Osten auf Kernkraft: Vor knapp einem Jahr ging in Saudi-Arabien ein AKW ans Netz.

Angesichts des Klimawandels bekommt die CO2-neutrale Atomstromproduktion auch in Europa wieder Zuspruch. So will Grossbritannien bis 2035 ganze 15 Mini-AKW ans Netz nehmen, die mittelgrosse Städte versorgen sollen. Allerdings: Noch hat Hersteller Rolls-Royce keine Gesuche eingereicht. US-Präsident Joe Biden (78) ist ebenfalls Fan der Mini-Reaktoren, die unter anderem vom Unternehmen Terrapower von Microsoft-Gründer Bill Gates (65) entwickelt werden.

Auch hier ist die Klimafreundlichkeit das Hauptargument. Doch wie viel neue AKW dem Klima wirklich bringen, steht in den Sternen. Der Bau der Meiler dauert viele Jahre. Wie in Finnland, wo der 2005 begonnene Bau des AKW Olkiluoto-3 noch immer nicht abgeschlossen ist. Nächstes Jahr aber soll das Kraftwerk nach zig Verzögerungen endlich ans Netz gehen. Aus den ursprünglich geplanten Kosten von drei Milliarden Euro sind ganze zehn Milliarden geworden. (sf)

In der Nähe der chinesischen Stadt Taishan entsteht ein AKW.
AFP

In Europa hat es Kernkraft schwer: Neben der Schweiz steigt auch Deutschland aus. Und selbst das AKW-Land Frankreich will seine Atomstromproduktion zumindest drosseln.

Anders in Asien: Allein in China sind derzeit 44 neue Kernkraftwerke geplant. Russland folgt mit 24 AKW-Projekten, Indien lässt 14 Anlagen errichten. Auch Japan will viele der Meiler, die nach der Katastrophe von Fukushima heruntergefahren wurden, wieder in Betrieb nehmen. Um vom Öl wegzukommen, setzt auch der Nahe Osten auf Kernkraft: Vor knapp einem Jahr ging in Saudi-Arabien ein AKW ans Netz.

Angesichts des Klimawandels bekommt die CO2-neutrale Atomstromproduktion auch in Europa wieder Zuspruch. So will Grossbritannien bis 2035 ganze 15 Mini-AKW ans Netz nehmen, die mittelgrosse Städte versorgen sollen. Allerdings: Noch hat Hersteller Rolls-Royce keine Gesuche eingereicht. US-Präsident Joe Biden (78) ist ebenfalls Fan der Mini-Reaktoren, die unter anderem vom Unternehmen Terrapower von Microsoft-Gründer Bill Gates (65) entwickelt werden.

Auch hier ist die Klimafreundlichkeit das Hauptargument. Doch wie viel neue AKW dem Klima wirklich bringen, steht in den Sternen. Der Bau der Meiler dauert viele Jahre. Wie in Finnland, wo der 2005 begonnene Bau des AKW Olkiluoto-3 noch immer nicht abgeschlossen ist. Nächstes Jahr aber soll das Kraftwerk nach zig Verzögerungen endlich ans Netz gehen. Aus den ursprünglich geplanten Kosten von drei Milliarden Euro sind ganze zehn Milliarden geworden. (sf)

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