Es war ein herber Rückschlag im Kampf der Schweiz gegen den Klimawandel – und ein Schock für Umweltministerin Simonetta Sommaruga (61). Mit 51,6 Prozent Nein-Stimmen hat das Stimmvolk am Sonntag das neue CO₂-Gesetz abgelehnt. Damit sind die Ziele des Pariser Klimaabkommens kaum mehr zu erreichen. Bis 2030 soll der Treibhausgas-Ausstoss im Vergleich zu 1990 halbiert werden.
Wie gross der Handlungsbedarf tatsächlich ist, darauf deutet eine am Donnerstag veröffentlichte Auswertung der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) hin. Zwar kommt die Schweiz auf einen beachtlichen Anteil an Strom aus Wasserkraft. Wichtig ist nun aber, dass unser Land Anlagen zur Produktion von erneuerbarem Strom zubaut. Und hier hat Wasserkraft nicht mehr so viel Potenzial.
Wind statt Atom, Solar statt Öl
Bei Wind- und Sonnenstrom ist das Potenzial aber riesig. Doch gerade hier kommt unser Land kaum vom Fleck. Einerseits gilt es, den schrittweisen Ausstieg aus der Atomkraft zu kompensieren. Andererseits braucht es für den Ausstieg aus der fossilen Energie mehr erneuerbaren Strom, denn CO₂-Gesetz hin oder her: Benzin- und Dieselautos werden zunehmend durch Elektrofahrzeuge ersetzt und auch Öl- und Gasheizungen verschwinden, weil Wärmepumpen sie ablösen.
Aber eben: Dafür braucht es mehr Strom aus erneuerbarer Produktion. Doch bei der Förderung dieser Energien droht die Schweiz den Anschluss zu verlieren: «Im europäischen Vergleich hinkt die Schweiz immer noch den meisten Ländern hinterher, was die Pro-Kopf-Produktion von Solar- und Windstrom angeht», bilanziert die SES. Es brauche dringend bessere Investitionsbedingungen für die einheimische Stromproduktion.
Auf Platz 24 von 29
Konkret hat die SES in einer Kurzstudie die Pro-Kopf-Produktion von Sonnen- und Windenergie in der Schweiz und den 27 EU-Staaten sowie in Grossbritannien verglichen. Das Ergebnis: Die Schweiz landet auf Platz 24 – knapp vor Tschechien, Ungarn, Slowenien, der Slowakei und Lettland.
Nur gerade 4,7 Prozent des Stromverbrauchs würden hierzulande mit Photovoltaik und Windkraft erzeugt. In Dänemark zum Beispiel seien es 54 Prozent. Im Vergleich mit den neun umliegenden Ländern landet die Schweiz auf dem vorletzten Platz.
An der Spitze der Liste stehen seit Jahren nordeuropäische Länder: Dänemark, Deutschland und Schweden produzieren alle ein Vielfaches an Windenergie im Vergleich zur Schweiz. Neu hat Irland Deutschland aus den Top 3 verdrängt.
Betrachtet man ausschliesslich die Photovoltaik, liegt die Schweiz immerhin auf Rang 8. Geschlagen wird sie hier von Deutschland, Malta, Italien, Belgien, Spanien, Griechenland und den Niederlanden, also teilweise auch von nördlicheren und flacheren Ländern mit weniger Sonneneinstrahlung.
Bund soll Ausbauziele klar erhöhen
Gestützt auf diesen Ergebnissen fordert die SES die Politik zum Handeln auf. Nur so seien die Klimaziele zu erreichen und die Versorgungssicherheit zu stärken.
Die nächste Chance dazu eröffnet sich bald: Noch im Juni will der Bundesrat seine Botschaft zum neuen Energiegesetz präsentieren. «Im Gesetz müssen insbesondere die Ausbauziele klar erhöht werden, so dass diese im Einklang mit den Klimazielen sind», kommentiert Felix Nipkow von der SES.
Der Energie-Stiftung schwebt eine Steigerung bis 2035 um das 12- bis 17-Fache gegenüber der heutigen Produktion vor. Heute würden pro Kopf rund 311 Kilowattstunden (kWh) aus Solar- und Windkraft produziert. Bis 2035 müssen es 4000 bis 5000 kWh sein – vorab aus Photovoltaik. Zum Vergleich: Deutschland produziert heute pro Kopf gut 2200 kWh aus Solar- und Windkraft.
Nationalrat will Förderlücke schliessen
Einen ersten Schritt in diese Richtung hat der Nationalrat soeben getan. Er will neue Windenergie-, Kleinwasserkraft-, Biogas-, Geothermie- und Photovoltaikanlagen ab 2023 mit einmaligen Investitionsbeiträgen fördern. Er hat dazu am Mittwoch eine entsprechende Vorlage gutgeheissen.
Die erneuerbaren Energien wurden bisher hauptsächlich mit der kostenorientierten Einspeisevergütung (KEV) unterstützt. Diese läuft Ende 2022 aus. Mit seinem Entscheid will der Nationalrat verhindern, dass danach eine Lücke bei den Förderinstrumenten entsteht. (dba)