Es ist ein trüber Dienstagmorgen, als Martin Sonderegger (63) in Belp BE eine bundeseigene PC-12 besteigt. Seine wichtigsten Mitarbeiter in der Kampfjet-Beschaffung hat der Schweizer Rüstungschef dabei: Programmleiter Air2030 Peter Winter (53), Projektleiter Darko Savic (43) und Cheftestpilot Bernhard Berset (58), der den Pilatus-Flieger auch gleich selber steuert.
Es ist ein kurzer Flug. Schon nach 50 Minuten landet die Propellermaschine auf dem italienischen Luftwaffenstützpunkt Cameri, eine Autostunde westlich von Mailand (I).
Dort empfängt Dreisternegeneral Luciano Portolano (61) die Delegation des Bundesamts für Rüstung (Armasuisse). Seine Laufbahn als Kommandant internationaler Truppen führte ihn in den Irak, den Libanon und nach Afghanistan. Seit kurzem ist er der Rüstungschef Italiens. Portolanos Mission heute: seinem Gegenüber aus der Schweiz aufzuzeigen, dass die F-35A auch in Italien gebaut werden können.
USA oder Italien – die Qual der Wahl
Was viele nicht wissen: Der US-Kampfjet des Herstellers Lockheed Martin wird nicht nur im texanischen Fort Worth gebaut, sondern auch hier, in Cameri, nicht weit von der Schweizer Grenze!
Und das kam so: Auch Italien hat F-35A bestellt, 90 Stück, und investierte ab 2013 Hunderte Millionen Euro in ein Flugzeugwerk. Heute stellt der staatliche Rüstungskonzern Leonardo im Auftrag von Lockheed Martin in der einen Halle Flügel für die weltweite Produktion her, in der anderen erfolgt die Endmontage von Kampfjets für den europäischen Markt.
«Wir liefern denselben Jet gleich schnell, zu gleichen Preisen und in derselben Qualität», wirbt Pietro Alighieri, der italienische F-35A-Programmdirektor. «Jedes Land kann wählen, ob es seine Jets in den USA oder bei uns fertigen lassen will.»
«Made in Italy» ist «einfacher, günstiger und nachhaltiger»
Auch für die Schweiz wäre das interessant, sagt Rüstungschef Sonderegger: «Es ist einfacher, günstiger und nachhaltiger, wenn wir unsere Flieger hier testen und übernehmen können – nur schon, weil wir sie nicht über den Atlantik fliegen müssten.» Das eidgenössische Test- und Abnahmepersonal könnte einfach den Zug nehmen, statt immer wieder in die USA zu fliegen.
Lediglich die ersten acht von 36 Schweizer F-35A sollen aus Texas kommen, damit die Schweizer Pilotenausbildner direkt beim Hersteller geschult werden können. Später fliegen die Jets in Begleitung eines Luftbetankungsflugzeugs in die Schweiz. Alle übrigen sollen made in Italy sein – Produktionsslots von 2027 bis 2029 kommen dafür infrage.
So würde der US-Jet doch noch beinahe europäisch. Dass sich die Schweiz gegen den Eurofighter oder die französische Rafale entschieden hat, also gegen ein EU-Produkt, ist einer der zentralen Kritikpunkte der Volksinitiative gegen die F-35A. Andere lauten: Der Flieger weise technische Mängel auf, und die Einsatzfähigkeit sei fragwürdig.
Warum die Schweiz die F-35A wählte
Rüstungschef Sonderegger reagiert betroffen, wenn die Seriosität der Evaluation infrage gestellt wird. «Unsere Leute haben die vier Jets unvoreingenommen geprüft. Das Resultat ist eindeutig: Die F-35A ist mit Abstand der Jet mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis über den gesamten Lebensweg.»
Chefpilot Berset erklärt, warum: «Die F-35A gehört einer neuen Generation von Jets an, sie ist technologisch gesehen 20 Jahre moderner als die Mitbewerber, eine Gamechangerin in der Luftverteidigung, kaum sichtbar für Radare, mit Sensoren ausgestattet, die dem Piloten ein komplettes Bild der Lage zusammenstellen.»
Doch wie kann es sein, dass der modernste Jet gleichzeitig der günstigste ist? Sonderegger lässt keinen Zweifel: «Wegen der Massenproduktion. 14 Länder haben bereits über 3000 F-35A bestellt. Grosse Stückzahlen machen einen Jet und auch dessen Weiterentwicklung wirtschaftlicher und günstiger.»
Warum die F-35A die günstigste Wahl ist
Italiens F-35A-Programmdirektor Alighieri präzisiert: Bis heute sind weltweit 3404 Jets abgeliefert oder bestellt. In Italien soll er bis 2030, in den USA bis 2048 gebaut werden, der Unterhalt ist bis 2081 sichergestellt. Bestellt haben neben USA und Australien auch europäische Länder: Italien, Grossbritannien, Polen, Finnland, Norwegen, Belgien, Holland. Spanien, Griechenland und Deutschland sind interessiert.
Ist der Rüstungschef wirklich überzeugt, dass der Preis eingehalten wird? «Zu 100 Prozent sicher! Wir haben Fixpreise im Vertrag inklusive zehn Jahre Unterhalt. Dazu kommt: Wir machen mit der US-Regierung seit 40 Jahren Rüstungsgeschäfte und haben nicht ein einziges Mal eine Kostenüberschreitung erlebt.»
Und was sagt er zur Kritik, die F-35A sei lauter als die heutige F/A-18? «Ja, sie ist drei Dezibel lauter. Doch diese Differenz hört man nicht.» Zudem sei die Frequenz für das subjektive Lärmempfinden genauso wichtig wie der gemessene Lärm: Ein hochfrequenter Zweitakt-Töff könne störender tönen als eine sonore Harley.
Texas produziert 150 Jets pro Jahr, Italien 15
Wir gehen durch die Sicherheitsschleusen ins geheime Innere der Fabrik – fotografieren verboten. Erst in die Tragflächenproduktion, dann in die Endmontage, wo jeder Jet, je nach Konfiguration, innert zwei bis sechs Monaten zusammengebaut wird.
1000 Angestellte arbeiten hier in zwei Schichten. Ruhig und konzentriert erledigt jeder seine Handgriffe an Vorder-, Mittel- und Endteil des Rumpfs, an Flügeln und Fahrgestell. Es wird geschraubt und gebohrt und verlegt und verarbeitet. An jedem Jet – oder was bereits davon zu sehen ist – arbeiten mal Menschen, mal Fertigungsroboter.
Am Mittwoch legte der Bundesrat die Armeebotschaft 2022 vor. Darin beantragt er dem Parlament auch einen Kredit über sechs Milliarden Franken, um 55 alte Jets der Typen F/A-18 und Tiger durch 36 Kampfflugzeuge vom Typ F-35A zu ersetzen. Im September 2020 haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger diese Beschaffung mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,1 Prozent abgesegnet. Nachdem der US-Jet als bester und günstigster aus der Evaluation hervorging, lancierten die Gesellschaft Schweiz ohne Armee (GSoA), SP und Grüne die Volksinitiative «Stop F-35». Sie haben noch bis März 2023 Zeit, um 100’000 Unterschriften für eine Volksabstimmung im nächsten Jahr oder 2024 einzureichen. Bei einem Nein könnte die erste Schweizer F-35A im Jahr 2025 fliegen. Bei einem Ja werden die F/A-18 bis 2030 ausgemustert. Und die Schweiz hätte keine Kampfjets mehr.
Am Mittwoch legte der Bundesrat die Armeebotschaft 2022 vor. Darin beantragt er dem Parlament auch einen Kredit über sechs Milliarden Franken, um 55 alte Jets der Typen F/A-18 und Tiger durch 36 Kampfflugzeuge vom Typ F-35A zu ersetzen. Im September 2020 haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger diese Beschaffung mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,1 Prozent abgesegnet. Nachdem der US-Jet als bester und günstigster aus der Evaluation hervorging, lancierten die Gesellschaft Schweiz ohne Armee (GSoA), SP und Grüne die Volksinitiative «Stop F-35». Sie haben noch bis März 2023 Zeit, um 100’000 Unterschriften für eine Volksabstimmung im nächsten Jahr oder 2024 einzureichen. Bei einem Nein könnte die erste Schweizer F-35A im Jahr 2025 fliegen. Bei einem Ja werden die F/A-18 bis 2030 ausgemustert. Und die Schweiz hätte keine Kampfjets mehr.
Roboter sind es auch, die in der zweitletzten Halle die Farbe auftragen. Was und wie sie das genau tun, ist Teil des Geheimnisses, mit dem die Jets für Radaranlagen praktisch unsichtbar sind. In der letzten Halle, die heute besichtigt wird, hängen die fertigen Jets an Vorrichtungen, um ihre Unsichtbarkeit zu testen. Wenn auch diese Qualitätskontrolle durchgestanden ist, geht es zum ersten Probeflug.
Rüstungschef Sonderegger, der im Januar auch das US-Hauptwerk in Fort Worth, Dallas, besucht hat, zeigt sich beeindruckt von der italienischen Variante. «Wir haben hier einen offenen und transparenten Einblick in die Produktion erhalten.» In Cameri sehe es ganz ähnlich aus wie dort, nur in kleinerem Massstab: Texas kann rund 150 Jets pro Jahr produzieren, Italien 15.
Volksinitiative «Stop F-35A» als Damoklesschwert
Die Kaufverträge liegen zur Unterschrift bereit, nur die Volksinitiative «Stop F-35A» hängt noch wie ein Damoklesschwert über dem definitiven Entscheid. Armasuisse verhandelt unterdessen mit dem Hersteller darüber, dass die Offerte über 2023 hinaus gültig bleibt. In der Schweiz wird derweil geklärt, welche Schweizer Firmen mit der Fertigung von Komponenten beauftragt werden, zudem läuft die Planung für Neu- und Umbauten von Immobilien in Payerne VD, Meiringen BE und Emmen LU.
Zum Schluss der Begegnung tauschen die Beteiligten Geschenke aus – vom italienischen General gibt es Ehrenmedaillen, der Schweizer Rüstungschef revanchiert sich mit Victorinox-Sackmessern. Dann startet die PC-12 wieder in Richtung Bern. Martin Sonderegger sagt nachdenklich: «Wenn die Initiative durchkommt, dann verliert die Schweiz Ende 2030 die Fähigkeit zur Luftverteidigung für Generationen. Einen anderen Flieger gibt es dann nicht.»