Yves Donzallaz schrieb ein Buch mit 4418 Seiten – angeblich in der Freizeit
Wie soll das gehen, Herr Bundesrichter?

Yves Donzallaz ist der vielseitigste Richter der Schweiz. Der Bundesrichter hat ein Buch mit 4418 Seiten geschrieben. Jetzt will er Präsident des Bundesgerichts werden. Dagegen gibt es Widerstand.
Publiziert: 13.11.2022 um 01:12 Uhr
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Aktualisiert: 13.11.2022 um 15:11 Uhr
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Bundesrichter Yves Donzallaz, porträtiert im Bundesgericht Lausanne am 22. Februar 2015.
Foto: Keystone
Dren Eshrefi

Bis vor zwei Jahren war der Name Yves Donzallaz nur in Juristenkreisen bekannt. Dann geriet der Bundesrichter ins Visier der SVP. 2020 wollte ihn die Partei von seinem Posten entfernen, weil sie ihm nicht verzieh, dass er sich 2019 für die Herausgabe von Tausenden UBS-Kundendaten an die französische Justiz ausgesprochen hatte. Die Pointe: Donzallaz war selbst SVP-Mitglied.

Die anderen Fraktionen im Bundeshaus aber hielten ihm die Stange, er wurde – wie es für Bundesrichter alle sechs Jahre vorgeschrieben ist – vom Parlament im Amt bestätigt.

Inzwischen ist der Unterwalliser aus der SVP ausgetreten. Und nun steht für den 61-Jährigen ein weiterer Karrieresprung an: In der kommenden Wintersession soll das Parlament Donzallaz zum neuen Präsidenten des Bundesgerichts küren. Das gefällt in Lausanne allerdings nicht allen.

Seine Kandidatur löst Misstrauen aus

SonntagsBlick weiss: Als die 38 Richterinnen und Richter darüber zu befinden hatten, ob sie die Kandidatur von Yves Donzallaz unterstützten, sprachen sich 15 gegen ihn aus, nur 20 waren für ihn, drei nahmen an der Abstimmung nicht teil oder enthielten sich der Stimme.

Woher rührt dieses Misstrauen? Als Mitglied der dreiköpfigen Verwaltungskommission des Bundesgerichts war Donzallaz an einer Untersuchung über das Arbeitsklima am Bundesstrafgericht in Bellinzona beteiligt, in der es um Vorwürfe wie Mobbing und Sexismus ging. In ihrem Bericht kamen Donzallaz und die beiden Mitverfasser zum Schluss, dass es dafür keine belastbaren Beweise gibt.

Für diesen Bericht wurde die Verwaltungskommission ihrerseits von der Geschäftsprüfungskommission des Parlaments heftig gerügt: «Für die GPK ist die Schlussfolgerung der Verwaltungskommission nicht nachvollziehbar, dass es keine Hinweise auf sexuelle Übergriffe irgendwelcher Art, weder physische noch psychische sexuelle Belästigungen gebe.» Oder, einfach ausgedrückt: Die drei Bundesrichter hätten die berechtigten Vorwürfe nicht ernst genug genommen.

War Donzallaz zu wenig sensibel? Oder eventuell mit dem Kopf nicht ganz bei der Sache? Denn es gibt einen weiteren Punkt, der in den heiligen Hallen des obersten Gerichts für Gesprächsstoff sorgt. Richter Donzallaz hat 2021 eine Abhandlung zum schweizerisch-europäischen Medizinrecht publiziert.

Urteile nicht selbstverfasst?

Seine Studie «Traité de droit médical» hat es, auf gut Deutsch gesagt, mächtig in sich. Und zwar vor allem deswegen, weil es sich dabei um drei Bände mit insgesamt 4418 Seiten handelt. In Lausanne staunt man über Donzallaz’ Schaffenskraft und fragt sich: Wie bewerkstelligte der Kollege dies neben seinem Vollzeitpensum als Bundesrichter?

Oder war er dafür etwa auch in seiner Arbeitszeit tätig? Ist es sogar denkbar, dass er sich bei seinen Urteilen allzu sehr auf andere verliess – indem er am Ende einfach seine Unterschrift unter die von den Gerichtsschreiberinnen und -schreibern verfassten Urteile setzte?

Yves Donzallaz war für ein Gespräch mit SonntagsBlick nicht abkömmlich, beantwortete Fragen aber schriftlich. Zu dem Vorwurf, er habe sein Opus während der Arbeitszeit verfasst, teilt er mit: «Niemand hat mir gegenüber jemals diesen Vorwurf erhoben und er ist sachlich falsch. Ich habe an der Abhandlung während fast zehn (!) Jahren in meiner freien Zeit, an Feierabenden, meinen Wochenenden und in meinen Ferien gearbeitet. Das schliesst nicht aus, dass ich für die Abhandlung auch mal an meinem Arbeitsplatz in Lausanne tätig war. Dies geschah immer und ausnahmslos in Beachtung meiner richterlichen Aufgaben und Pflichten.»

Und was erwidert Donzallaz auf den Vorwurf, er habe Urteile nicht selber verfasst? «Meine Zusammenarbeit mit den Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreibern und meine Mitarbeit bei den zirkulierenden Fällen entspricht dem, was am Gericht üblich ist. Das bedeutet insbesondere, dass nicht jede Richterin, jeder Richter den Entwurf für jedes Urteil persönlich verfasst.»

Wie steht Donzallaz schliesslich dazu, dass immerhin 15 Richterinnen und Richter gegen ihn als neuen Präsidenten des Bundesgerichts stimmten? «Ich habe nicht das geringste Problem mit meinen Kolleginnen und Kollegen; dass eine Minderheit von ihnen in der geheim durchgeführten Abstimmung möglicherweise nicht für mich gestimmt hat, ist ihr gutes Recht.»

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