Der Entscheid löste einen Sturm der Entrüstung aus: Die SVP verweigert ihrem eigenen Bundesrichter Yves Donzallaz (58) die Stimme. Der Walliser muss zwar nicht um seinen Job zittern, wenn das Parlament am Donnerstag die 38 Bundesrichterinnen und Bundesrichter für die nächsten sechs Jahre wählt. Doch mit der Empfehlung, Donzallaz nicht wiederzuwählen, setzt die SVP aus Sicht anderer Parteien etwas Grundsätzlicheres aufs Spiel: die Unabhängigkeit der Justiz.
Die SP hat wegen der Affäre die Verschiebung der Richterwahlen gefordert. Die Gerichtskommission des Parlaments soll erst prüfen, ob die obersten Gesetzeshüter des Landes wirklich unabhängig sind. Der Antrag der SP dürfte chancenlos sein – er zeigt aber, wie es derzeit im Parlament rumort.
«Ein Richter ist kein Parteivertreter!»
Auch bei Richtern ist die Besorgnis gross. BLICK hat mit amtierenden und ehemaligen Bundesrichtern gesprochen. Für sie steht fest: Der jüngste Vorfall ist beispiellos. Er gefährdet den Schweizer Rechtsstaat.
«Es geht nicht an, dass ein Richter für ein Urteil bei den Wiederwahlen abgestraft wird», sagt Andreas Zünd (63, SP), Richter am Bundesgericht. «Ein Richter ist nach der Wahl kein Parteivertreter mehr!»
Das sehen allerdings nicht alle so. «Die Druckversuche der Politik gegenüber Bundesrichterinnen und Bundesrichtern haben klar zugenommen», stellt Julia Hänni (43, CVP), Bundesrichterin und frühere Rechtsprofessorin, fest. «Umso unerschrockener gilt es, einzig der Verfassung verpflichtet zu sein.» Sie selbst habe nie erlebt, dass man sie vonseiten der Partei beeinflussen wollte. «Im Gegenteil: Die CVP erwartet, dass ich das sofort melden würde.»
Druckversuche seien «SVP-Problem»
Ein anderes rechtsstaatliches Verständnis besteht bei der SVP. Sie hat Richter Donzallaz nach missliebigen Urteilen nicht nur heftig kritisiert, sondern auch schon mehrfach nach Bern zitiert. Die Druckversuche gegenüber der Justiz seien ein «spezifisches Problem der SVP», so Donzallaz in einem «NZZ»-Interview. Gegenüber BLICK zog er eine Gesprächszusage wieder zurück.
Andere SVP-Richter waren ebenfalls nicht bereit zu einem Gespräch. In einem gemeinsamen Statement halten sie bloss fest, dass die richterliche Unabhängigkeit sehr wichtig sei. Und: «In unserer Tätigkeit am Bundesgericht empfinden wir uns in keiner Weise beeinträchtigt.»
Muss das Gesetz geändert werden?
Doch es geht nicht nur darum, dass Richter sich in ihrer Entscheidung frei fühlen. Denn die Gewaltenteilung betrifft nicht nur sie. «Die Unabhängigkeit ist kein Privileg der Richter, sondern der Personen, über die gerichtet wird», sagt Richter Zünd. Sie haben ein Recht darauf, dass ein Richter nach dem Gesetzes- und nicht dem Parteibuch urteilt.
Auch Ex-Bundesrichter Niccolò Raselli (76, SP) ist alarmiert: «Wir wollen in der Schweiz keine polnischen Verhältnisse haben!» Mit einem Empörungsschrei sei es nicht getan. «Jetzt müssen Nägel mit Köpfen gemacht und das Gesetz geändert werden», verlangt er.
Die Justiz-Initiative macht hierfür einen Vorschlag: Richter sollen künftig per Los gewählt und nicht mehr von einer Partei aufgestellt werden. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Das heutige System habe sich bewährt, findet er.
Nicht nur Raselli ist überzeugt, dass die SVP-Attacke auf ihren eigenen Bundesrichter nun das Gegenteil gezeigt hat. Auch Hänni stellt fest: «Das heutige System ist anfällig für Angriffe der Politik auf die Justiz.»
Einmalige Amtszeit statt Wiederwahl
Eine Richterwahl per Los hält alt Bundesrichter Raselli zwar für eine Schnapsidee: Zufall statt Verantwortung, das sei nicht die Lösung. Ernsthaft zur Debatte steht aber ein Gegenvorschlag zur Initiative. Dabei geht es vor allem um die umstrittene Wiederwahl der Richter alle sechs Jahre. «Aus meiner Sicht spricht einiges dafür, dass Bundesrichter nur für eine, aber dafür für eine längere Amtszeit gewählt werden», sagt Hänni.
Zünd gibt allerdings zu bedenken: «Auch das beste Wahlsystem garantiert die Unabhängigkeit der Justiz noch nicht.» Dafür müsse auch die Politik die Unabhängigkeit respektieren.