Am 28. November stimmt die Schweiz über die Justiz-Initiative ab. Eines kann man jetzt schon sagen: Gegen das Covid-Gesetz und die Pflege-Initiative wird es das eher abstrakte Volksbegehren im Abstimmungskampf schwer haben.
Dabei stellt die Justiz-Initiative ein paar wichtige Eigenheiten des Schweizer Rechtssystems in Frage – und eine Annahme hätte grosse Konsequenzen. Blick erklärt, worum es dabei geht.
Was will die Justiz-Initiative?
Pointiert gesagt: Künftig soll das Los entscheiden, wer Bundesrichterin oder Bundesrichter wird. Etwas konkreter: Wird eine Stelle am Bundesgericht frei, soll eine vom Bundesrat eingesetzte Fachkommission die persönliche Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber prüfen und eine Vorauswahl treffen. Bleiben mehr als eine Bewerberin übrig, entscheidet das Los, wer die Stelle bekommt. Und noch etwas sieht die Initiative vor: Wer einmal Bundesrichter ist, soll das bis zum 70. Lebensjahr bleiben. Nur bei schweren Verletzungen der Amtspflicht oder Krankheit soll das Parlament den Richter abberufen können.
Wie werden Bundesrichter heute bestimmt?
Heute wählt das Parlament die Bundesrichterinnen und Bundesrichter. Die Wahlen finden alle sechs Jahre statt. Das Parlament achtet dabei nicht nur auf Geschlecht und Sprache, sondern auch auf eine angemessene Vertretung der politischen Parteien, den sogenannten Parteienproporz. Das heisst: Die 38 Richterstellen werden analog zur Wählerstärke der Parteien besetzt. Die SVP hat am meisten Richter zugute, die GLP am wenigsten. Dass Bundesrichterstellen nach Parteibuch vergeben werden, steht zwar nirgendwo geschrieben – wird aber seit Jahrzehnten so gemacht
Was ist daran so schlimm?
Die Initianten kritisieren im Wesentlichen drei Dinge:
- Parteilose, die vielleicht besser qualifiziert sind, haben keine Chance auf ein Bundesrichteramt. In der Tat wurde 1943 der letzte parteilose Bundesrichter gewählt. Die Berücksichtigung der Parteizugehörigkeit entspricht auch nicht mehr der gesellschaftlichen Realität. Nur noch knapp zehn Prozent der Bevölkerung fühlen sich einer Partei zugehörig.
- Die Richter müssen bei den Parteien einen Teil ihres Lohns abgeben. Die sogenannte Mandatssteuer beträgt bei den Grünen 15'000 Franken im Jahr, bei der SP 13'000 und bei der Mitte noch immerhin 6000 Franken. FDP und SVP machen nicht transparent, wie viel sie verlangen. Doch aus Sicht der Initianten hat das einen schalen Nachgeschmack – nämlich den, dass Richter ihre Stelle kaufen müssen. Damit werde die Gewaltentrennung verletzt, weil die Richter, die über die Einhaltung und Auslegung der Gesetze wachen, zum verlängerten Arm jener würden, die die Gesetze gemacht haben. Mit dieser Einschätzung ist das Komitee nicht allein. Die Anti-Korruptionsorganisation des Europarats (Greco) hat die Schweiz wegen der Mandatssteuer schon gerüffelt. Auch die Richter verlangen eine Abschaffung.
- Durch die Wahl auf Zeit seien die Bundesrichterinnen und Bundesrichter immer von der Partei abhängig. Wer querschlägt, laufe Gefahr, nicht wiedergewählt zu werden. Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Druck nicht, wie der Fall von SVP-Bundesrichter Yves Donzallaz zeigt: Weil der bei einigen Urteilen nicht auf Parteilinie war, empfahl ihn die SVP nicht zur Wiederwahl. Allerdings: Das führte bei den anderen Parteien zu einer Solidarisierung, so dass Donzallaz dennoch erneut gewählt wurde. Laut den Initianten der Justiz-Initiative zeigt das Beispiel aber, dass diese permanente Bedrohung die richterliche Unabhängigkeit einschränke, was die Qualität der Urteile negativ beeinflussen könne.
Losverfahren – gibt es das schon?
Das gab es einmal. Im antiken Griechenland wurden nicht nur die obersten Richter, sondern auch viele andere Posten durchs Los vergeben. Auch die Schweizer Demokratie kennt das Losverfahren – wenn auch nur als absoluten Notfall: So entscheidet das Los, falls im Rahmen der Nationalratswahlen bei gleicher Parteistimmenzahl mehrere Parteilisten gleichen Anspruch auf einen Sitz haben und mehrere Kandidierende der verschiedenen relevanten Listen die gleiche Stimmenzahl aufweisen. Auch wenn zwei Kandidierende auf einer Parteiliste die gleiche Stimmenzahl erhalten haben, bestimmt das Los, wer ins Parlament einzieht.
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Urteilen Richter politisch?
Welchen Einfluss die Parteizugehörigkeit eines Richters auf dessen Urteile hat, ist seit Jahren umstritten. Durch Studien belegt ist, dass sie einen Einfluss auf Asylurteile beim Bundesverwaltungsgericht hat. Im Vergleich zu SVP- und FDP-Richtern und -Richterinnen würden SP-Richter und -Richterinnen Asylbeschwerden etwa doppelt so häufig gutheissen. In anderen Fragen, etwa beim Sozialversicherungsrecht oder Ausländerrecht, gebe es zwar auch mildere und strengere Richter – doch das hänge nicht mehr mit dem Parteibuch zusammen.
Wer steht hinter der Initiative?
Die Justiz-Initiative wurde 2019 mit 130'100 gültigen Unterschriften eingereicht. Kopf hinter dem Volksbegehren ist der Zuger Unternehmer Adrian Gasser. Flankiert wird er von einer bunten Schar: So ist etwa der SP-nahe Politologe Nenad Stojanovic ebenso Mitglied im Initiatitivkomitee wie auch Karin Stadelmann, Vizepräsidentin der Luzerner Mitte-Partei.
Was sagen Bundesrat und Parlament?
Beide lehnen die Initiative ab. Der Nationalrat empfahl sie mit 191 zu 1 Stimme bei 4 Enthaltungen zur Ablehnung, der Ständerat gar einstimmig. Alle Parteien finden, das System habe sich bewährt. Die Wahl durch das Parlament verschaffe den Richterinnen und Richtern demokratische Legitimität und sorge auch für Transparenz. Der Parteienproporz sorge dafür, dass die Werthaltungen und Einstellungen am Bundesgericht mit jenen der Bevölkerung übereinstimmen. Die Richter per Los zu wählen, wäre hingegen schädlich für die Demokratie. Gewählt würden nicht die fähigsten Personen, sondern die mit dem meisten Glück.