Wie unabhängig sind die Schweizer Richter? Nicht unabhängig genug, findet Adrian Gasser (78), der Kopf hinter der Justiz-Initiative. Er stört sich daran, dass Bundesrichter faktisch Mitglieder einer Partei sein müssen, damit sie eine Chance haben, gewählt zu werden. Auch dass sie sich regelmässig zur Wiederwahl stellen müssen, ist ihm ein Dorn im Auge.
Gasser ist damit nicht alleine. Ein ehemaliger Oberrichter aus dem Kanton Zürich, der anonym bleiben möchte, hält das System ebenfalls für reformbedürftig – nicht nur auf Stufe Bundesgericht, auf welche die Initiative abzielt, sondern über alle Instanzen hinweg. Er bemängelt, dass bei Ausschreibungen für Richterstellen festgehalten wird, welche Partei einen Anspruch auf den betreffenden Posten hat. Damit will die Politik sicherstellen, dass die Orientierung der Richter jene der Bevölkerung widerspiegelt.
Problematische Vorselektion?
Das Resultat sei aber, «dass die Auswahl der Kandidaten von vornherein eingeschränkt wird», so der Ex-Oberrichter: «Wenn man parteilos oder in der falschen Partei ist, hat man keine Chance.»
Innerhalb der Parteien finde nämlich bereits eine Vorselektion statt, die ebenfalls problematisch sei: Ausgewählt werde in vielen Fällen, wer am besten vernetzt sei – und nicht etwa, wer sich für das Amt am besten eigne. Am offensichtlichsten sei das, erzählt der Gewährsmann, wenn das Parlament ehemalige Kantonsräte zu Richtern wähle. «Dass diese Personen stets die besten Kandidaten sind, wage ich zu bezweifeln.»
Lanciert wurde die Justiz-Initiative von einem Unternehmer: Adrian Gasser hat selbst schon manchen Kampf vor Gericht ausgefochten. Er verlangt, dass künftig eine vom Bundesrat bestimmte Fachkommission bestimmen soll, wer als Kandidat für das Amt des Bundesrichters geeignet ist. Bei mehreren passenden Kandidaturen würde das Los darüber entscheiden, wer die Stelle bekommt. Heute obliegt die Wahl von Bundesrichtern der Gerichtskommission des Parlaments. Die Initiative will zudem die Wiederwahl von Bundesrichtern abschaffen. Und sie sollen bis fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters im Amt bleiben dürfen.
Lanciert wurde die Justiz-Initiative von einem Unternehmer: Adrian Gasser hat selbst schon manchen Kampf vor Gericht ausgefochten. Er verlangt, dass künftig eine vom Bundesrat bestimmte Fachkommission bestimmen soll, wer als Kandidat für das Amt des Bundesrichters geeignet ist. Bei mehreren passenden Kandidaturen würde das Los darüber entscheiden, wer die Stelle bekommt. Heute obliegt die Wahl von Bundesrichtern der Gerichtskommission des Parlaments. Die Initiative will zudem die Wiederwahl von Bundesrichtern abschaffen. Und sie sollen bis fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters im Amt bleiben dürfen.
Auch die periodische Wiederwahl durch das Parlament würde der Jurist am liebsten abschaffen. Sie mache Richter vom Wohlwollen ihrer Partei abhängig.
Subtiler Druck durch Parteien
«Natürlich sagen die Politiker uns nicht, wie man im Fall X zu urteilen hat. So primitiv, wie die SVP-Politiker im Fall von Bundesrichter Yves Donzallaz vorgingen, sind nur wenige.» In der Regel, meint der frühere Oberrichter, erfolge der Druck subtiler. «So wird einem zu verstehen gegeben, wie wichtig es sei, dass das Gedankengut der Partei in die Rechtsprechung einfliesse.»
Die Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter kritisiert die Wiederwahl in einer Stellungnahme ebenfalls: Sie erhöhe das Risiko, dass Druck auf die Rechtsprechung ausgeübt werde. Auch den faktischen Ausschluss von parteilosen Kandidaten sieht die Richtervereinigung kritisch.
Fachkommission soll Kandidaten nominieren
Angesichts dieser Mängel hatte der Verband vorgeschlagen, auf die Justiz-Initiative mit einen indirekten Gegenvorschlag zu reagieren – ohne Erfolg. Die Initiative, die eine Wiederwahl von Bundesrichtern komplett abschaffen möchte, lehnt die Richtervereinigung ab. Laut Patrick Guidon (45), ihrem Präsidenten, stört man sich an der vorgesehenen Fachkommission und am Losverfahren.
Die Initiative verlangt, dass in Zukunft nicht länger die parlamentarische Gerichtskommission die Kandidaten fürs Bundesgericht auswählt. Dies soll stattdessen eine Fachkommission übernehmen, die vom Bundesrat bestimmt würde.
Kritische Stimmen
Stehen für eine Stelle mehrere qualifizierte Kandidaten zur Verfügung, würde in einem zweiten Schritt das Los entscheiden. Die Initianten wollen damit verhindern, dass die Bestimmung der Richter durch Parteien oder Lobbys beeinflusst wird.
Beide Bestimmungen vermögen Guidon nicht zu überzeugen: «Die Fachkommission hätte sehr viel Macht, wäre demokratisch aber schwach legitimiert und kaum derart breit aufgestellt wie die Gerichtskommission.»
Dieser Umstand sei gravierend, weil die Fachkommission allein entscheide, wie viele Kandidaten sie zur Auslosung zulasse: «Sind es sehr wenige, entscheidet die Kommission faktisch selber, wer die Stelle erhält. Sind es sehr viele, erhält sie derjenige, der Glück hat – aber nicht zwangsläufig die beste Person.» Gegner des heutigen Systems glauben, dass schon heute oft nicht die oder der am ehesten Geeignete zum Zuge kommt.
Richter sollten unabhängig Urteile fällen
Auch Patrick Guidon ist der Meinung, dass Verbesserungen nötig sind – ebenso wie Ständerat Andrea Caroni (41). Der FDP-Politiker verweist auf das Engagement der Gerichtskommission, zum Auswahlverfahren künftig häufiger Fachexperten beizuziehen. «Wir verbessern unsere Verfahren laufend», sagt er. «Aber man sollte das System nicht gleich kaputtmachen, wie es die Initiative täte.»
Caroni lehnt die Initiative aus ähnlichen Gründen ab wie Guidon. «Die Frage ist doch, ob die Richter im heutigen System unabhängig gute Urteile fällen», meint Caroni. Seine Antwort darauf ist ein dezidiertes Ja.