Verbandsstoff, Schutzmasken, Infusionen oder Röntgengeräte: All diese Medizinprodukte könnten in der Schweiz knapp werden. Ein Horroszenario – gerade in einer Pandemie!
Grund dafür ist das fehlende Rahmenabkommen mit der EU. Im vergangenen Mai hatte der Bundesrat die jahrelangen Verhandlungen ergebnislos abgebrochen. Das hat Konsequenzen: Um Verbandsstoff, Infusionen, Röntgengeräte und viele ärztliche Instrumente in EU-Länder zu exportieren, müssen neuerdings zusätzlich Auflagen erfüllt werden. Zwischenzeitlich kann es sogar zu Versorgungsengpässen kommen.
Patienten müssten auf Operationen verzichten
Die neuen Hürden treffen EU-Unternehmen, die Waren in die Schweiz liefern. Und sie gelten genauso für Schweizer Firmen, die in die EU liefern. Nach einer Übergangsfrist werden etwa separate Etiketten für die Schweiz verlangt.
Der Medizintechnikverband Swiss Medtech zeigt sich äusserst besorgt. «Es besteht die Gefahr, dass das Gesundheitswesen die benötigten Produkte im Medtech-Bereich nicht mehr erhalten wird», sagt Verbandspräsident Beat Vonlanthen gegenüber dem deutschen TV-Sender SWR. So könnten «letztlich die Patientinnen und Patienten auf Operationen verzichten müssen, weil die Produkte nicht mehr zur Verfügung stehen».
Das Unschöne daran: Das Problem ist hausgemacht. Wegen des Verhandlungsabbruchs hat nicht nur die Schweizer Medtech-Branche ihren privilegierten Zugang zum EU-Markt verloren, der Bundesrat hat gleichzeitig den Spiess auch umgedreht. Er verlangt nun von ausländischen Firmen, dass sie ihre Produkte mit einem Schweizer Bevollmächtigten und dem Importeur anschreiben.
Dieser Zusatzaufwand seien zu hoch, klagt die Branche. Für viele Unternehmen stelle sich die Frage, ob sich Lieferungen in die Schweiz überhaupt noch lohnen würden. Beispiel Inkontinenz-Windeln: Der Bedarf in der Schweiz liegt wöchentlich bei rund 8,75 Millionen Stück. Dies wiederum bedeute 116'000 Zusatzetiketten pro Tag. Bei neun Sekunden Arbeitsaufwand für jedes Produkt müssen für die Etikettierung allein 36 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden.
«Das ist ein Skandal»
Es sind Probleme mit Ansage. Die Medtech-Branche hatte schon lange vor einem Scheitern des Rahmenabkommens gewarnt. «Das ist für uns ein Skandal, und wir wollen, dass man diese Hürden jetzt in der Schweiz abbaut», betont Vonlanthen.
Ansonsten könnten die Folgen gravierend sein. Gemäss einer Branchenumfrage könnte wegen des gescheiterten Rahmenabkommens mit der EU in der Schweiz mittelfristig jedes achte Medizinprodukt fehlen. Die Spitäler müssten dann für insgesamt 360'000 Produkte nach Alternativen suchen. Aus heutiger Sicht sollen Versorgungsengpässe unausweichlich erscheinen. (dba)