Eigentlich war die Mindeststrafe für Raser im Parlament schon gefallen. Nachdem sich Strassenopfer öffentlich gegen eine Verwässerung der Raser-Strafnorm starkgemacht haben und die Stiftung Roadcross mit dem Referendum drohte, hat die nationalrätliche Verkehrskommission nun aber doch ein Einsehen. Schon in der Herbstsession soll das Parlament auf den Entscheid zurückkommen und einen Kompromiss absegnen.
Die Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis für Raser soll bleiben. Es soll aber Ausnahmen geben: einerseits für Personen, die keinen Eintrag im Strafregister haben wegen Verletzung der Verkehrsregeln, und andererseits, wenn man «aus achtenswerten Gründen» viel zu schnell gefahren ist. Damit könne Raserdelikten «nach wie vor mit der nötigen Härte begegnet», den Gerichten gleichzeitig aber auch «mehr Ermessensspielraum» verschafft werden, hält die Kommission in ihrer Mitteilung fest.
Zürcher Staatsanwalt warnt
Allerdings, nicht alle mögen in den Jubelchor einstimmen. «Eine Mehrheit der Raser müsste auch bei dieser Variante nicht mehr zwingend mit einer Mindeststrafe rechnen, da die meisten Raser gar nicht wegen eines Verkehrsdelikts vorbestraft sind», warnt Michael Huwiler (53), Leiter Strassenverkehr der Staatsanwaltschaft Zürich. Das weiss er aufgrund eigener Erfahrung, denn bei ihm geht jeder Raserfall des Kantons Zürich über den Schreibtisch.
Das Problem: «Es sind häufig Junglenker, die sich wegen Raserdelikten zu verantworten haben, und diese sind noch gar nicht vorbestraft», so Huwiler. Täter sind vor allem junge Männer, die hochmotorisierte Autos leasen oder mieten, stellte die Staatsanwaltschaft kürzlich auch an einer Medienkonferenz fest.
Der Kanton Zürich hat sich schon im Vorfeld gegen die Lockerung des Raser-Artikels ausgesprochen. «Wir halten weiterhin an dieser Position fest», betont Huwiler. Nicht ohne Grund: So hat der Kanton alleine im letzten Jahr fast 140 Raserdelikte verzeichnet. Die Zahl hat seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich zugenommen.
«Neuland» im Strafrecht
Huwiler weist noch auf einen weiteren Punkt hin, der gegen eine Änderung der heutigen Regelung spricht: «Dass eine Vorstrafe entscheidet, ob eine Mindeststrafe zur Anwendung kommt, ist im Strafrecht Neuland», gibt er zu bedenken. Normalerweise habe eine Vorstrafe Einfluss darauf, ob eine Strafe auf Bewährung ausgesetzt werde oder nicht.
Bereits heute würden Freiheitsstrafen bei Rasern in den meisten Fällen sowieso bedingt – also als Bewährungsstrafe von bis zu 24 Monaten – gefällt, weiss Huwiler. «Raser, die ‹nur› zu schnell gefahren sind, müssen praktisch nie ins Gefängnis.»
Keine Freude bei Regazzi
Keine Freude am Kompromiss hat auch Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi (60). Nur aus völlig anderen Gründen als Huwiler: Der Tessiner hatte die Aufweichung bereits 2015 mit einem Vorstoss angeregt. «Das ist kein Freipass für Raser, sondern eine Rückkehr zur Vernunft», erklärte er in der Sommersession gegenüber Blick.
Dass die Verkehrskommission nun zurückkrebst, mag Regazzi nicht weiter kommentieren. Seine Meinung sei bekannt, schreibt er per SMS aus den Bergen.