Das Parlament will Kuscheljustiz – jedenfalls, wenn es um Raser geht. Vor zwei Wochen hat der Ständerat entschieden, den Raser-Artikel im Strafgesetz massiv abzuschwächen. Und das einen Tag, bevor der Kosovare Ardian C. (22) wegen eines Raser-Unfalls in Zürich vier Jahre Haft und einen Landesverweis kassierte. Am 5. Oktober 2019 war er in Dietikon ZH mit einem geliehenen, zwei Tonnen schweren BMW in einen kleinen Ford gerast. Die Insassen, Lisa B. (42) und ihre damals vierjährige Tochter, werden schwer verletzt und leiden noch heute unter den Folgen.
Ardian C. hatte gemäss Steuergerät des BMW kurz vor dem Unfall 86 Prozent der 600 PS abgerufen. Das ist fast Vollgas. Doch geht es nach dem Parlament, soll, wer so massiv zu schnell fährt, künftig nicht mehr automatisch eine bedingte Haftstrafe von einem Jahr kassieren, sondern auch mit einer Busse bestraft werden können. Und auch der Fahrausweis soll nur noch für 12 statt 24 Monate entzogen werden.
Politik am Volk vorbei
Noch ist das Ganze nicht in trockenen Tüchern. Doch weil der Nationalrat zu diesen Aufweichungen schon Ja gesagt hat und der Ständerat gar einstimmig dafür votierte, ist das Ergebnis der Schlussabstimmung bereits absehbar.
Klar ist auch schon jetzt: Damit politisiert das Parlament am Volk vorbei! 62 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer lehnen Geldstrafen für Raser nämlich ab. Das ergibt eine repräsentative Umfrage bei 17'988 Stimmberechtigten, die das Meinungsforschungsinstitut Sotomo im Auftrag von Blick durchgeführt hat.
Je älter, desto strenger
Weder nach Geschlecht noch Bildungsgrad oder Sprachregion (Deutschschweiz und Romandie) gibt es grosse Unterschiede. Auch nach politischer Haltung sind die Differenzen gering. Zwar sagen Wählerinnen und Wähler der Grünen mit 84 Prozent am deutlichsten Nein zum Parlamentsentscheid, doch selbst bei den Bürgerlichen ist eine knappe Mehrheit dagegen.
Auffällig: Je älter die Befragten sind, desto mehr lehnen sie sich gegen die Politik auf. Befürwortet die Hälfte der 18- bis 35-Jährigen die Lockerung, sind bei den über 55-Jährigen 74 Prozent klar und weitere 9 Prozent eher dagegen.
Unschuldige Raser gibt es nicht
Dass mit dem Raser-Artikel auch «Unschuldige», die aus Versehen oder wegen eines dringenden Notfalls wie etwa einsetzender Wehen der Frau oder Freundin zu schnell fahren – das glaubt nur etwa jeder dritte Befragte. Die grosse Mehrheit ist überzeugt: Wer rast, tut das mutwillig.
Konsequenterweise wird auch die Verkürzung des Fahrausweisentzugs auf zwölf Monate abgelehnt, und zwar noch deutlicher als die Abschaffung der automatischen Haftstrafe. 66 Prozent wollen das nicht. Und auch hier sind die Älteren entschiedener dagegen (86 Prozent).
Doch so gross wie es scheint, ist der Generationenkonflikt nicht: Der Frage, ob es eine PS-Beschränkung für Junglenker geben sollte, unterstützen die Älteren mit 91 Prozent zwar fast einhellig. Doch auch 59 Prozent der 18- bis 35-Jährigen sind dafür.
Roadcross-Initiative hätte eine Mehrheit
Die Bevölkerung ist mit ihrem Widerstand gegen das Parlament nicht allein: Die Stiftung Roadcross, die sich für mehr Sicherheit im Strassenverkehr einsetzt und beispielsweise Unfallopfer berät, überlegt, ob sie das Referendum gegen die Aufweichung ergreifen oder gar eine Art Durchsetzungs-Initiative lancieren soll, um den ursprünglichen Raser-Artikel wieder einzuführen.
Stand heute hätte diese eine Mehrheit: 64 Prozent der Befragten geben an, dass sie bei einer solchen Initiative Ja stimmen würden. Bei den Frauen sind es 72, bei den Älteren gar 84 Prozent. Einschränkend ist zu sagen, dass Initiativen im Lauf der Kampagne zumeist an Zustimmung verlieren.
Doch klar ist: Die Bevölkerung sieht im Raser-Artikel eine wirksame Abschreckung. 69 Prozent sind der Ansicht, dass dieser dazu führt, dass es weniger Geschwindigkeitsexzesse auf Schweizer Strassen gibt. Eine Einsicht, die sich im Parlament – noch – nicht durchgesetzt hat.