Grosse Pläne mit wenig Umsetzung. Bundesrätin Simonetta Sommaruga (61) war bis vor zwei Jahren zuständig für das eidgenössische Justizdepartement. Und arbeitete zwei umfassende Aktionspläne gegen Menschenhandel aus. Unter Bundesrätin Karin Keller-Sutter (57) sind die Projekte allerdings versandet, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Laut Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), welche an den Plänen lange mitarbeitete, werde gerade mal die Hälfte der Massnahmen des zweiten Planes umgesetzt.
Die Frage der Unterkunft
«Projekte, an denen über Jahre gearbeitet wurde, lässt das Justizdepartement inzwischen einfach versanden», so Nationalrätin Priska Seiler Graf (52). Zum Beispiel beim Schutz von Menschenhandelsopfer in Asylzentren.
Das FIZ möchte die Unterbringung von Menschenhandelsopfer verbessern. Das Bundesamt für Migration (SEM) spricht von einer «ihren Bedürfnissen angepasste Unterkunft». Also die Bundesasylzentren. Laut dem FIZ genügen diese allerdings nicht. «Wir haben von Opfern von Menschenhandel gehört, dass sie in Bundesasylzentren ab 15 Uhr nichts mehr trinken, damit sie nachts nicht zur Toilette müssen», so die FIZ-Sprecherin. Sie hätten Angst, in den Gängen Männern zu begegnen, die ihren Peinigern ähneln.
Statt in eigenen Zimmern mit Personen in ähnlichen Situationen sind sie oft in Zimmern mit sieben oder acht Frauen oder Kindern untergebracht. «In der Folge schlafen die oft stark traumatisierten Betroffenen nicht oder nur schlecht, sie haben Albträume, kommen überhaupt nicht zur Ruhe», so die Sprecherin weiter.
Zugang zu Beratung
Das FIZ kritisiert weiter, dass der einzige Zugang zu Beratungsstellen auf einem Flyer zu Menschenhandel steht. «Was soll eine potenziell hoch traumatisierte Person mit einem Flyer anfangen, auf dem viele Wörter und Telefonnummern stehen, die sie möglicherweise nicht einmal versteht?», so die FIZ. Die Betroffenen hätten selten die Kraft, selbst Hilfe zu holen.
Nächster Kritikpunkt: Der Schutz der Opfer, wenn sie in das Land zurückgeführt werden, wo sie zuerst registriert wurden. Die ursprüngliche Arbeitsgruppe sah vor, dass das SEM sicherstellt: Die Opfer erhalten vor Ort Hilfe. Das SEM entgegnet, es seien «keine formellen und individuellen Garantien erforderlich».
In Kritik kommt auch das mangelnde Engagement Karin Keller-Sutters. «Bis jetzt sehe ich kein persönliches Engagement der neuen Justizministerin», sagt Lelia Hunziker, Geschäftsleiterin der FIZ zum «Tages-Anzeiger». «Wir haben Karin Keller-Sutter seit 2019 mehrmals an Anlässe eingeladen und um ein öffentliches Statement gebeten – vergeblich.» (lui)