Seit 2022 kann man in der Schweiz sein Geschlecht auf offiziellen Dokumenten ganz einfach ändern lassen. Ein Gang aufs Zivilstandesamt reicht, um sich etwa als Frau zum Mann umtragen zu lassen. Das Ganze kostet 75 Franken.
Mehrere Politiker befürchteten im Voraus, dass die neue Regelung missbraucht wird: «So kann man etwa relativ einfach den Militärdienst umgehen und muss auch keine Ersatzabgabe zahlen», befürchtete SVP-Ständerat Werner Salzmann (60). Er hatte sich bei einem Geschlechtswechsel vergeblich strengere Überprüfungen durch ein Gericht gewünscht.
«Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein junger Mann einfach wegen der Militärdienstpflicht im Zivilstandsregister als Frau eintragen lässt», sagte schon die damalige Justizministerin Karin Keller-Sutter (59) während der Debatte vor über drei Jahren.
Mehr zur Geschlechtsänderung
Einzelfälle bekannt
Die «SonntagsZeitung» hatte kürzlich von einem Mann berichtet, der sich vor dem Militär drücken wollte, und dafür lediglich auf dem Papier das Geschlecht zur Frau gewechselt hatte.
Das Bundesamt für Justiz liess einen Bericht zum Thema verfassen. Dieser liegt nun vor. Darin kommt die Autorin Christiana Fountoulakis (46), Professorin für Privat- und Zivilrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg, zum Schluss, dass die Befürchtungen unbegründet sind. Missbrauchsfälle würden zwar im Einzelfall existieren, eine «verbreitete oder gar systematisch missbräuchliche Ausübung des Erklärungsrechts» könne allerdings ausgeschlossen werden.
Auch die in den Medien thematisierte Problematik, dass sich junge Männer angesichts des bevorstehenden Militärdiensts mittels Geschlechtsänderung als Frau eintragen lassen würden, um sich vor der Armee zu drücken, sei eher unwahrscheinlich.
Es droht Strafe bei Missbrauch
Von den über 700 erfassten Fällen seien nur 24 Betroffene kurz vor dem Militärdienst gestanden. «Gemäss Erhebung gab es keine Hinweise darauf, dass die Personen ihre Erklärung aus anderen Gründen abgegeben hätte als demjenigen, innerlich davon überzeugt zu sein, dem weiblichen Geschlecht anzugehören», heisst es im Bericht.
Man habe aber Kenntnis über den in der «SonntagsZeitung» geschilderten Fall, heisst es im Bericht. Dieser sei noch nicht abgeschlossen. Strafrechtlich kann ein solches Verhalten als Erschleichung einer falschen Beurkundung eingestuft werden. Dafür droht gemäss Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.
Scherzkekse wurden erkannt
Die bei der Befragung kontaktierten Zivilstandesämter gaben an, dass sie bei 88 von 786 Fällen eine potenziell missbräuchliche Änderung vermutet hätten. Darunter waren auch zwei als Scherz eingestufte Geschlechtsänderungen. Die Fälle seien den kantonalen Aufsichtsbehörden gemeldet werden.
Bei den Schweizer Zivilstandesämtern wurden gemäss Bundesamt für Statistik im vergangenen Jahr insgesamt 1171 Geschlechtsänderungen registriert. Die meisten Anträge stammten von 15- bis 24-Jährigen, sie machen 53 Prozent aus. 39 Personen, die ihr Geschlecht im Personenstandsregister ändern liessen, waren jünger als 15 Jahre.
Weiter kommt der Bericht zum Schluss, dass es einen Bedarf nach einem Personenstandsregister für non-binäre Menschen gibt, also für Menschen, die sich weder als männlich noch als weiblich fühlen. Bis heute kennt die Schweiz nur zwei Geschlechter. (sie)