Die ganze SVP blieb der Rede von Präsident Wolodimir Selenski (45) fern. Die ganze SVP? Nein! Wie die Bewohner eines kleinen gallischen Dorfs gegen die Römer leistete ein Duo unbeugsamer SVPler Widerstand gegen die eigene Fraktion: der Berner Nationalrat Andreas Aebi (64) und der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann (66).
Aebi sagt dazu, er sei ja Präsident der parlamentarischen Delegation der OSZE. «Als im vergangenen Frühling bei einem Treffen der OSZE fast alle Abgeordneten den Saal aus Protest gegen eine Wortmeldung des russischen Vertreters verliessen, blieb ich da. Also verliess ich auch heute den Saal nicht.»
«Ich gehöre hier hin!»
Auf die Frage, weshalb er dabei war, sagte Germann: «Ich gehöre hier hin!» Er betrachte das als Akt des Anstands und des Respekts gegenüber einem Staatsoberhaupt, dessen Land sich momentan im Krieg befindet, dessen Leute sterben und der mit einer humanitären Katastrophe konfrontiert ist.
Er könne nicht ganz nachvollziehen, weshalb es nicht mit unserer Neutralität vereinbar sein soll, jemandem zuzuhören. «Aber ich respektiere es bei jedem Anderen, wenn er hier eine andere Haltung hat», so der Ständerat.
Wermuth hatte Tränen in den Augen
Die Mitte-Aussenpolitikerin und Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (59) zeigte sich von Wolodimir Selenskis Rede beeindruckt. Sie findet es «richtig, dass man ihm diese Plattform gegeben hat».
Und SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (37) wer ebenfalls bewegt. Wenn der Präsident von den verschleppten Kindern berichte, treibe das einem die Tränen in die Augen.
«Selenski hat offensichtlich grossen Respekt vor der Schweiz und ihrer Tradition» und das habe er bei seiner rund viertelstündigen Rede auf Ukrainisch vor den National- und Ständeräten auch zum Ausdruck gebracht.
Das gesamte Parlament erhob sich am Schluss zum Applaus. Derweil war neben den beiden Aufrechten Aebi und Germann im Bundeshaus kaum ein SVP-Politiker zu sehen. Haben die anderen Fraktionsmitglieder nichts mitbekommen von Selenski? «Doch, doch, verriet ein SVP-Parlamentarier. Ich habe die Rede auf Blick geschaut.» – Interessiert waren sie eben doch.