Es war ein historischer Moment im Nationalratssaal: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) richtete sich in einer Videoschaltung an das Schweizer Parlament. In eindringlichen Worten erinnerte er an die Schrecken des Krieges, welche die Ukraine und ihre Bevölkerung seit dem russischen Überfall vom 24. Februar 2022 erleben müssen.
Einen Krieg, welchen sein Land nicht gewollt habe. «Die Quelle des Todes kommt aus Russland», machte er deutlich. Die Ukraine hingegen verteidige Leben, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit und Frieden. Selenski appellierte an den Zusammenhalt jener Länder, welche diese gemeinsamen Grundwerte verteidigen würden. «Wir verteidigen den Frieden für unsere Kinder!»
Dank für das «liebe Schweizer Volk»
Selenski dankte dem Parlament und dem «lieben Schweizer Volk» für seine bisherige Unterstützung und Solidarität – etwa durch die Übernahme der EU-Sanktionen. Und er dankte der Schweiz dafür, dass sie «angesichts des Leidens unseres Volkes nicht gleichgültig geblieben ist».
Er machte aber auch deutlich, wo die Schweiz noch weiterhelfen könnte. So sprach er etwa die Diskussion um indirekte Waffenlieferungen an, welche hierzulande derzeit geführt wird. Sein Appell: «Wir bitten um Waffenlieferungen, damit der ukrainische Boden wieder zum Territorium des Friedens werden kann.»
Schweiz soll globalen Friedensgipfel durchführen
Doch er sieht noch weitere Möglichkeiten, sich einzubringen. Selenski erinnerte an seine Friedensformel, wonach jedes Partnerland entsprechend seinen Stärken der Ukraine beistehen könne. Einige sorgten für Lebensmittelsicherheit, andere würden helfen, die Tausenden nach Russland verschleppten ukrainischen Kinder zu finden und zurückzubringen.
Für die Schweiz regt er an, dass sie einen globalen Friedensgipfel ausrichten könnte. Dort könne die Schweiz federführend ihre nationale Expertise am besten einsetzen.
«Vielen Dank, liebe Schweiz. Ehre der Ukraine!», sagt er zum Schluss. Er erntete für seine Rede viel Applaus und eine Standing Ovation der Nationalrätinnen und Ständeräte.
SVP boykottierte Rede
Allerdings waren nicht alle anwesend. Die SVP hatte den Anlass boykottiert, weil sie in Selenskis Auftritt die Neutralität verletzt sieht. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (44) hatte im Vorfeld gar versucht, per Ordnungsantrag Selenskis Auftritt zu verhindern – vergeblich. Nur zwei SVP-Vertreter, Ständerat Hannes Germann (66, SH) und Nationalrat Andreas Aebi (64, BE), sahen sich die Ansprache an.
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Begrüsst wurde der ukrainische Präsident zu Beginn des Auftritts von Nationalratspräsident Martin Candinas (42). «Die Schweiz ist ein neutrales Land. Neutralität bedeutet aber nicht, die Augen vor Unrecht zu verschliessen», sagte der Bündner. Und: «Wir dürfen in diesem Krieg nicht davor zurückschrecken, den Aggressor und das Opfer klar zu benennen.»
Wunsch nach «dauerhaftem und gerechtem Frieden»
Ständeratspräsidentin Brigitte Häberli (64, TG) erinnerte im Anschluss an die Selenski-Rede daran, dass es eine internationale Rechtsordnung brauche, um das friedliche Zusammenleben der Staaten zu sichern. «Die Schweiz steht auf der Seite des Völkerrechts», macht sie klar.
Auch als neutrales Land setze man sich für Völkerrechte und Menschenrechte ein. Schliesslich wendete sie sich direkt an Selenski: «Ich wünsche Ihnen und den Menschen in der Ukraine viel Mut und Kraft und vor allem einen dauerhaften und gerechten Frieden.»
Selenski sprach schon an Demo im März 2022
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass sich Selenski in einer Videoschaltung an das Schweizer Volk richtet. Im März 2022 demonstrierten Tausende auf dem Bundesplatz gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
«Ich wünschte mir von Herzen, dass die Ukrainer so leben können wie die Schweizer», sagte Selenski damals. «Und so, wie ich wollte, dass die Ukrainer wie die Schweizer leben, möchte ich jetzt auch, dass Sie wie die Ukrainer werden im Kampf gegen das Böse.»
Auch FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (62) nahm damals an der Kundgebung teil und liess es sich nicht nehmen, den «lieben Wolodimir» und «Freund» persönlich zu begrüssen.Ticker Selenski-Rede