Schweiz hat ihm nichts zu bieten
Selenski-Videoansprache macht Bundesbern nervös

Der Nationalrat verweigert ihm ein Fünf-Milliarden-Hilfspaket, bei Waffenlieferungen herrscht Stillstand. Und wenn der Präsident der Ukraine am Donnerstag zu ihnen spricht, werden nicht alle Parlamentarier dabei sein.
Publiziert: 12.06.2023 um 09:07 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2023 um 14:43 Uhr
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Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski spricht am Donnerstag per Videocall zu den Parlamentarierinnen und Parlamentariern im Bundeshaus.
Foto: keystone-sda.ch
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Peter AeschlimannRedaktor

Wie heisst es so schön? Der Gast ist König. Der ukrainische Präsident jedoch wird in Bundesbern zum Bettler.

Für Wolodimir Selenski (45), der am Donnerstag per Videocall eine Ansprache im Bundeshaus halten soll, wird es vom Schweizer Parlament keine Geschenke geben. Indirekte Waffenhilfe: Nicht so schnell! Grosszügige Finanzhilfe: Nicht mit SVP, FDP und Mitte! Erst letzte Woche lehnte der Nationalrat zur Empörung der Linken ein Fünf-Milliarden-Hilfsprogramm ab.

Der virtuelle Besuch Selenskis sorgt unter der Bundeshauskuppel für Unsicherheit. Die SVP-Fraktion hat zwar klargemacht, dass sie seiner Rede fernbleiben wird, zumal diese – für die Vertreter der Volkspartei ideal – in der Mittagspause angesetzt wurde. Aber kann es Abweichler geben?

Der Berner Nationalrat Andreas Aebi (64) soll zumindest überlegt haben, Selenski zuzuhören. Aebi ist Mitglied der Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Er sei hin- und hergerissen, liess er SonntagsBlick vergangene Woche in der Wandelhalle wissen: «Vermutlich werde ich aber nicht teilnehmen.»

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«Wer kommt denn als Nächster? Vielleicht US-Präsident Biden?»
Andreas Aebi, SVP-Nationalrat
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«Wir fallen dem Bundesrat in den Rücken»

Wie die meisten seiner Parteikolleginnen und -kollegen stört ihn, dass ein ausländischer Regierungsvertreter im altehrwürdigen Nationalratssaal reden soll. Solche Treffen müssten auf Regierungsebene stattfinden, so der Landwirt aus Burgdorf. «Wer kommt als Nächstes? EU-Präsidentin Ursula von der Leyen? Oder gar US-Präsident Joe Biden?»

Selenskis Rede ebenfalls fernbleiben wird der Präsident der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, Franz Grüter (59). In seiner Agenda sei für diesen Tag schon länger eine andere Mittagsveranstaltung eingetragen, sagt der Luzerner Nationalrat.

Auch er führt grundsätzliche Vorbehalte ins Feld: «Wenn wir anfangen, Staatschefs eine Bühne zu geben, schiessen wir dem Bundesrat in den Rücken.» Auftritte fremder Regierungsvertreter hätten im Bundeshaus keine Tradition, sagt Grüter.

Sogar der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill habe für seine historische Rede im September 1946, ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, mit der Aula der Universität Zürich vorliebnehmen müssen. Es stehe aber jedem SVP-Mitglied frei, Selenski zuzuhören, so Grüter. «Es gibt keine Stallorder.»

Vorbereitungen laufen auf Hochtouren

Worüber Selenski reden wird, ist unbekannt. Übernächste Woche findet in London eine Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine statt. Gut möglich, dass der Präsident aus Kiew darauf eingehen wird. Die ukrainische Botschaft in Bern indes hüllt sich in Schweigen: «Es wäre falsch, schon jetzt darüber zu sprechen. Die Situation in der Ukraine verändert sich sehr schnell», heisst es bloss.

Die Parlamentsdienste arbeiten derweil intensiv an den Vorbereitungen für den grossen Tag. Zusätzlich zu den fest installierten Bildschirmen müssen im Nationalratssaal zwei weitere Monitore aufgestellt werden. In Bezug auf Sicherheits- und Kontrollmassnahmen denke man in mehreren Szenarien, sagt Mark Stucki von den Parlamentsdiensten. «Dazu können wir jedoch keine weiteren Angaben machen.»

Da die Zuschauertribüne wie üblich an Sessionstagen über Mittag geschlossen bleibt, wird es zumindest dort keine Protestkundgebungen geben.

Anders sieht es im virtuellen Raum aus. Wer in den vergangenen Tagen die Website des Parlaments aufrufen wollte, bekam eine Fehlermeldung. Auf die Frage nach den Gründen gab es von den Parlamentsdiensten lediglich eine Standardantwort: «Über Einzelheiten zum Angriff oder den ergriffenen Abwehrmassnahmen geben wir aus Sicherheitsgründen keine Auskunft.»

Klar ist: Es handelt sich um eine sogenannte Distributed-Denial-of-Service-Attacke (DDoS), die schon seit Mittwoch läuft – eine absichtlich herbeigeführte Überlastung von Servern. Interne Systeme und Daten seien nicht betroffen, die Webseite sei nicht gehackt worden, bekräftigt eine Sprecherin gegenüber Sonntagsblick. «Die Spezialistinnen und Spezialisten haben geeignete Abwehrmassnahmen ergriffen.»

Angriffe auf Server gibt es immer wieder

Dass der Angriff just in diesen Tagen erfolgt, könnte mit Selenskis Videoauftritt zu tun haben. Andere Parlamente, die den ukrainischen Präsidenten in jüngster Zeit eingeladen hatten, wurden ebenfalls Opfer von DDoS-Attacken. Stets war von russischen Banden als Hauptverdächtigen die Rede.

«Ein politischer Hintergrund ist enorm naheliegend», erklärt Reto Vogt, Chefredaktor des Fachmagazins Inside IT, gegenüber SonntagsBlick. Solche Angriffe seien für die Betroffenen mühsam, aber eigentlich harmlos, da es sich bloss um eine Serverüberlastung handle. «Das kann man mit mehr Serverkapazität abwehren – und mit etwas Geduld.»

Im «Tages-Anzeiger» bestätigte die Bundesanwaltschaft unterdessen, wegen der Online-Angriffe ein Strafverfahren eröffnet zu haben. Diesbezügliche Ermittlungen seien eingeleitet.

Selenski besucht die überschwemmten Gebiete
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Aufnahmen vom Donnerstag:Hier besucht Selenski das Überschwemmungsgebiet
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