Das lässt sich der Bund nicht gefallen: Sechs Kantone wollen ihre Restaurantterrassen offen lassen. In Nidwalden, Obwalden, Uri, Glarus, Schwyz und dem Tessin können sich Skifahrerinnen und Snöber am Pistenrand auf der Sonnenterrasse verköstigen. Tische und Stühle stehen bereit, obwohl es der Bundesrat verboten hat.
Eingelenkt im Terrassenstreit haben die Bündner – jedenfalls die Kantonsregierung. Nachdem der Bundesrat klargemacht hatte, dass vor dem 22. März keine Terrassen geöffnet werden, gab die Regierung nach. Die Bergbahnen und Beizen wehren sich gegen die Kehrtwende.
«Ich bedaure, dass die Bündner eingeknickt sind»
In der Innerschweiz bleiben derweil auch die Regierungen stur. Zwar haben die Stimmbürger mit der Annahme des Epidemiengesetzes entschieden, dass in einer Pandemie der Bundesrat das Sagen hat. Doch was die Schweizer Bürger wollen, schert die Innerschweiz offenbar nicht. «Ich bedaure, dass die Bündner eingeknickt sind», sagt die Nidwaldner Regierungsrätin Michèle Blöchliger (53, SVP) gar.
Es klingt wenig glaubwürdig, wenn die Gesundheitsdirektorin sagt: «Wir wollen keinen Streit, sondern eine Lösung.» Dafür suche man nun das Gespräch mit Gesundheitsminister Alain Berset (48, SP). Danach wollen die Innerschweizer einen definitiven Beschluss fassen.
Bundesrat hat kein Verständnis
Doch die Landesregierung bleibt hart. «Es ist klar, dass mit dem heutigen Entscheid Terrassen geschlossen sein müssen», sagte Berset am Mittwoch.
Auch Bundesratssprecher André Simonazzi lässt durchblicken, was der Bundesrat von den Rebellen hält. «Es ist eine Kernaufgabe von Regierungen, in einem Rechtsstaat die gesetzliche Ordnung durchzusetzen», teilt er mit. Der Bund sei überzeugt, «dass die kantonalen Regierungen ihre institutionellen Aufgaben wahrnehmen». Im Klartext: Für den Bund steht fest, dass die Kantone einlenken müssen.
Von «Anarchie» ist die Rede
Für das Verhalten der Rebellen hat man in Bern nur Kopfschütteln übrig. Von «Anarchie» ist die Rede. Die Kantone würden mit ihrem Benehmen die Grundsätze der Demokratie nicht mehr akzeptieren.
Die Landesregierung unter der Führung von Bundespräsident Guy Parmelin (61, SVP) ist nicht gewillt, das hinzunehmen. Der Gesamtbundesrat möchte den Streit zwar friedlich lösen. Doch unter der Bundeshauskuppel sind so harsche Töne wie selten zu vernehmen. Die Streichung von Corona-Hilfsgeldern werde mit Sicherheit zum Thema werden, um auf den Gesetzesverstoss in der Innerschweiz zu reagieren, sagen Insider.
Bundesratssprecher Simonazzi sagt dazu: «Die Kürzung von Hilfsgeldern war nie ein Thema in der Regierung.» Allerdings dürfte es rasch eines werden. Die anderen Kantone werden schliesslich kaum akzeptieren, dass andere das Gesetz nach ihrem Gusto auslegen können, ohne dass das Konsequenzen hätte.
Beizer und Gäste freuen sich
Hinter vorgehaltener Hand heisst es, die Taktik der Kantone sei, eine Klärung des Streits möglichst lange hinauszuzögern. Am besten bis am 22. März, wenn die Terrassen sowieso wieder aufgehen dürften.
Den Bergbahnen in den betroffenen Regionen käme dies natürlich gelegen. Sie wollen die Beizen entlang der Piste gewinnbringend betreiben. Da sagen sie nicht Nein zum Gesetzesbruch der Regierung.
«Am Anfang durften wir gar nichts auf der Terrasse aufstellen. Dann wurden Stühle erlaubt, und mittlerweile seit drei Wochen dürfen wir die Terrasse unter Einhaltung von strengen Schutzmassnahmen normal geöffnet haben», sagt Thomas Küng (39), Geschäftsführer der Brunni-Bahnen Engelberg AG. Bei dem traumhaften Wetter, das herrschte, war die Terrasse des Bergrestaurants Ristis gestern gut besetzt.
«Man fragt sich schon, ob es sinnvoll ist»
Aus seiner Sicht ist das kein Problem, im Gegenteil. «Je mehr Sitzgelegenheiten aufgestellt werden, desto besser verteilen sich die Personen und halten die Abstände geordnet ein», meint er.
Auch Ausflügler Hans Mosimann (54) aus Schmerikon SG fände es «schade, wenn man nicht draussen sitzen dürfte bei diesem Wetter». Zara Murer (33) aus Rümlang ZH stösst ins gleiche Horn: «Der Abstand wird auf der Terrasse gut eingehalten, und alle tragen Maske.»
Ein wenig skeptischer ist der Zürcher Luca Brunner (32): «Wenn man ehrlich ist, ist das Vitamin-D-Tanken hier zwar toll – aber man fragt sich schon, ob es wirklich sinnvoll ist.»
Vor gut 200 Jahren kämpften radikal-liberale und konservative Kräfte um die Vorherrschaft in der Schweiz. Die politischen Auseinandersetzungen zwischen den liberal und den konservativ regierten Kantonen etwa um die Klösteraufhebung führten teils zu blutigen Feindseligkeiten (Freischarenzüge) und mündeten 1845 in einem Separatbündnis der katholisch-konservativen Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Luzern sowie Freiburg und Wallis. Die sieben Kantone verstanden den Bund als «Schutzvereinigung, vor allem zur Wahrung der katholischen Religion und der Kantonssouveränität», wie es im «Historischen Lexikon der Schweiz» heisst. Die Liberalen hingegen sahen darin «nichts anderes als einen Sonderbund». Denn der von den Konservativen eingesetzte «Kriegsrat», der auch Truppen aufbieten konnte, verstiess gegen den Bundesvertrag. Als die liberal dominierte Tagsatzung 1847 die – notfalls gewaltsame – Auflösung des Sonderbunds beschloss, wehrten sich die betroffenen Kantone dagegen. Der Konflikt schaukelte sich zum Sonderbundskrieg von 1847 hoch. Die Konservativen mussten sich innert eines Monats – unter anderem den Solothurnern und St. Gallern – geschlagen geben. Ob die Zentralschweizer Rebellen auch diesmal den Kürzeren ziehen? Ruedi Studer
Vor gut 200 Jahren kämpften radikal-liberale und konservative Kräfte um die Vorherrschaft in der Schweiz. Die politischen Auseinandersetzungen zwischen den liberal und den konservativ regierten Kantonen etwa um die Klösteraufhebung führten teils zu blutigen Feindseligkeiten (Freischarenzüge) und mündeten 1845 in einem Separatbündnis der katholisch-konservativen Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Luzern sowie Freiburg und Wallis. Die sieben Kantone verstanden den Bund als «Schutzvereinigung, vor allem zur Wahrung der katholischen Religion und der Kantonssouveränität», wie es im «Historischen Lexikon der Schweiz» heisst. Die Liberalen hingegen sahen darin «nichts anderes als einen Sonderbund». Denn der von den Konservativen eingesetzte «Kriegsrat», der auch Truppen aufbieten konnte, verstiess gegen den Bundesvertrag. Als die liberal dominierte Tagsatzung 1847 die – notfalls gewaltsame – Auflösung des Sonderbunds beschloss, wehrten sich die betroffenen Kantone dagegen. Der Konflikt schaukelte sich zum Sonderbundskrieg von 1847 hoch. Die Konservativen mussten sich innert eines Monats – unter anderem den Solothurnern und St. Gallern – geschlagen geben. Ob die Zentralschweizer Rebellen auch diesmal den Kürzeren ziehen? Ruedi Studer