Die Nachricht, die Franziska Neziri (57) dem Paar im Spital überbringen musste, war die schlimmste, die man Eltern überbringen kann: Ihre Tochter (5) würde die Nacht nicht überleben. Neziri war von den Ärzten beigezogen worden, um die traurige Nachricht von Deutsch auf Albanisch zu übersetzen.
Die Zürcherin arbeitet als Dolmetscherin und Übersetzerin an Gerichten, für den Bund – oder eben auch in Spitälern und der Psychiatrie. Das Schicksal der Familie aus dem Kosovo, die ihr Kind verloren hat, beschäftigt sie. Die Eltern glaubten, erzählt Neziri, dass ihr Mädchen noch am Leben wäre, wenn sie und die Ärzteschaft sich besser miteinander hätten verständigen können.
«Wegen mangelnder Deutschkenntnisse konnten sie im Spital ihre Sorgen nicht ausdrücken und nicht genau beschreiben, wie sie ihr Kind mit seinem Leiden erleben», erinnert sich Neziri. Und so stellte sich erst beim dritten Besuch im Notfall heraus, dass das Mädchen schwer an Tuberkulose erkrankt ist.
Niemand will zahlen
Warum die Familie nicht früher einen Dolmetscher zur Seite gestellt bekam, bleibt unklar. Fest steht: Personen, die weder eine Landessprache noch Englisch sprechen, können im Spital nicht auf eine Übersetzung zählen. Der Grund dafür ist, dass die Finanzierung nicht einheitlich geregelt ist. Dolmetschende können ihre Leistungen nicht über die Krankenkassen abrechnen, weshalb Spitäler vielfach auf den Kosten sitzenbleiben.
Diese Lücke könnte nun geschlossen werden. Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller (39) will, dass der Bund die Sache in die Hand nimmt und eine schweizweit einheitliche Regelung erlässt. Dies würde nicht nur fremdsprachige, sondern auch gehörlose Personen betreffen. Der Ständerat hat dem Anliegen vergangenen September zugestimmt. Am Donnerstag entscheidet der Nationalrat. Stimmt auch dieser dem Vorstoss zu, muss der Bundesrat mit Spitälern und Krankenkassen eine Lösung finden.
«Wir brauchen den Lead des Bundesrats»
Dafür sei es höchste Zeit, findet Lena Emch-Fassnacht (48). Sie ist Geschäftsleiterin der Interessengemeinschaft Interpret, der Trägerschaft des eidgenössischen Fachausweises für Dolmetscherinnen und Dolmetscher, in deren Vorstand auch Dolmetscherin Neziri sitzt. Mehr als die Hälfte des Gesundheitspersonals sei oft mit sprachlichen Hürden konfrontiert, sagt Emch-Fassnacht. «Seit Jahren wird die Verantwortung zwischen den Tarifpartnern und dem Bund hin- und hergeschoben. Wir brauchen nun den Lead des Bundesrats.»
Dieser sträubt sich aber, das Heft in die Hand zu nehmen. Auch die Gesundheitskommission des Nationalrats empfiehlt ihrem Rat, die Forderung abzulehnen. Man fürchtet höhere Gesundheitskosten – und damit höhere Prämien.
Psychiater Matthis Schick (51) ist vom Gegenteil überzeugt. Wenn man sich nicht versteht, komme es zu Fehleinschätzungen und Fehlbehandlungen mit hohen Folgekosten. Psychische Krankheiten beispielsweise könnten chronisch werden und zur Folge haben, dass jemand langfristig auf staatliche Hilfe angewiesen ist. Schick ist leitender Arzt an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik des Unispitals Zürich. Dort subventioniert der Kanton die Dolmetschenden, die in psychiatrischen Ambulatorien zum Einsatz kommen – als Überbrückungslösung, bis es, so hofft der Kanton, eine nationale Regelung gibt.
Sprachbarriere ist auch für Ärzte ein Risiko
Andernorts helfen oftmals Verwandte beim Übersetzen, wenn sich Patient und Ärztin nicht verstehen. «Doch gerade in der Psychiatrie und Psychotherapie ist das problematisch. Ein Vater, der suizidgefährdet ist, wird in Anwesenheit seiner Tochter nicht erzählen, wie es ihm wirklich geht», gibt Schick zu bedenken.
Dolmetscherin Neziri führt zudem an, dass Dolmetschen einem Arzt oder einer Ärztin Rechtssicherheit gebe. «Er kann davon ausgehen, dass seine Anweisungen vom Patienten verstanden wurden und auch so befolgt werden.» Heute sei die Rechtssicherheit bedroht, was zur Folge habe, dass Ärzte Patienten «wie heisse Kartoffeln weiterreichen». Was für die Patienten unter Umständen schwerwiegende Folgen haben kann.