«Wir wollen 42 Stunden»
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Protestsong von Ärztenachwuchs:«Wir wollen 42 Stunden»

Zürcher Assistenzärztinnen und -ärzte laufen am Limit
«Wir wollen 42 Stunden!»

Zürcher Assistenzärztinnen und -ärzte kämpfen mit einem Musikvideo für kürzere Arbeitszeiten. Die aktuellen Arbeitsbedingungen seien unfair und nicht mehr zeitgemäss.
Publiziert: 12.02.2024 um 21:26 Uhr
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Dutzende junge Ärztinnen und Ärzte in weissen Kitteln tanzen vor dem Hauptgebäude der ETH Zürich – und protestieren gegen die hohen Arbeitszeiten.
Foto: Screenshot

38-Stunden-Woche für alle? Nur noch an vier statt fünf Tagen arbeiten? Was bei ersten Firmen in der Schweiz Realität wird, ist in Spitälern undenkbar. Gemäss Erhebungen arbeiten Assistenzärztinnen und -ärzte bei einem 100-Prozent-Pensum im Schnitt 56 Stunden pro Woche – viel mehr, als erlaubt wäre. 

Im Kanton Zürich wollen junge Medizinerinnen und Mediziner dies nicht länger hinnehmen. Auf Ende vergangenes Jahr hin kündete der Verband der Assistenzärztinnen und -ärzte VSAO Zürich deshalb auch aus Protest den Gesamtarbeitsvertrag mit den kantonalen Kliniken. Dieser sah eine Wochenarbeitszeit von 50 Stunden vor. Der Zürcher Ärztenachwuchs will auf 42 Stunden herunter. Plus vier Stunden, die für die obligatorische Weiterbildung reserviert sein sollen.

Nun machen die Assistenzärztinnen und -ärzte mit einem Protestsong auf ihr Anliegen aufmerksam – und erhöhen so den Druck auf die Spitäler. «Ich bin Arzt geworden, um Patienten zu behandeln, in Tat und Wahrheit tu ich den ganzen Tag vor dem Computer gammeln», heisst es im Songtext unter anderem. Dazu sieht man Dutzende junge Ärztinnen und Ärzte in weissen Kitteln und mit Protestbannern vor dem Hauptgebäude der ETH Zürich tanzen.

«Wollen ein Zeichen setzen»

Mit der Aktion wolle man – ulkige Szenen hin oder her – zeigen, dass man es ernst meine, sagt ein teilnehmender Assistenzarzt, der nicht namentlich genannt werden möchte. «Wir wollen ein Zeichen setzen.» Die aktuellen Arbeitsbedingungen seien weder fair noch zeitgemäss und führten dazu, dass viele Berufseinsteiger den Job wieder an den Nagel hängen würden. Zudem bestehe häufig ein Abhängigkeitsverhältnis, welches die korrekte Erfassung der Arbeitszeit aus Angst vor karrieretechnischen Benachteiligungen verhindere.

Insbesondere wird im Song die überbordende Bürokratie kritisiert. «Es gibt sehr viele sinnlose Arbeit, die eine reine Beschäftigungstherapie darstellt. Streicht man diese, könnte man locker eine Stunde Arbeit pro Tag sparen», ist der junge Arzt überzeugt.

Die Ärztinnen und Ärzte kämpfen nicht nur aus Eigeninteresse – Stichwort «Work-Life-Balance» – für weniger Arbeit. Sie sind auch um die Patientensicherheit besorgt, wenn sie übermüdet Entscheide fällen müssen.

Angst vor Burnout gross

Wie prekär die Umstände tatsächlich sind, zeigte auch eine Umfrage der «Neuen Zürcher Zeitung» bei 4500 Betroffenen: So werde in der Praxis die Sollarbeitszeit nicht immer eingehalten, monierten die Assistenzärztinnen und -ärzte. 39 Prozent gaben an, pro Tag elf oder mehr Stunden zu arbeiten und kaum mehr Zeit für ein Leben neben dem Beruf zu haben. 56 Prozent der Befragten haben Angst vor einem Burnout, und mehr als zwei Drittel der Jungärztinnen haben sich schon einen Ausstieg aus dem Beruf überlegt.

Bereits im vergangenen Frühjahr forderte darum der damalige Zürcher GLP-Stadtrat und heutige Nationalrat Patrick Hässig (45) gemeinsam mit SP-Gemeinderat Reis Luzhnica (34) mittels Motion eine Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden für Assistenzärzte in städtischen Gesundheitsorganisationen.

Dass dieses Modell gut ankommt, zeigt ein Pilotprojekt des Universitätsspitals Zürich (USZ) aus dem Jahr 2022. Das dortige Institut für Intensivmedizin hat die Arbeitszeit seiner Assistenzärztinnen und -ärzten auf 42+4 Stunden heruntergeschraubt – mit positiven Folgen. So hat das Institut trotz wenig verfügbaren Fachkräften keine Nachwuchsprobleme mehr. Mit ein Grund, warum das Arbeitszeit-Modell im vergangenen Jahr dauerhaft eingeführt wurde.

Kürzere Arbeitszeiten auch an anderen Spitälern

«Das Pilotprojekt hat gezeigt, dass es möglich ist – sogar auf einer Abteilung wie der Intensivstation. Es spricht überhaupt nichts dagegen, die kürzeren Arbeitszeiten flächendeckend umzusetzen», sagt der Assistenzarzt. Ob das Modell tatsächlich flächendeckend eingeführt wird, ist derzeit noch unklar.

Das USZ sei sich bewusst, dass sich die Erwartungen der Assistenzärztinnen und -ärzte an die Arbeitsbedingungen aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahren verändert hätten. «Dem wollen wir Rechnung tragen. Der Pilot diente dazu, erste Erfahrungen zu sammeln», heisst es beim USZ.

Und doch dürfte das Modell schweizweit vermehrt Schule machen: Zwei Spitäler haben die Arbeitsstunden ihrer Assistenzärztinnen und -ärzte per Anfang Jahr verringert. In der Integrierten Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland (IPW) wurde die wöchentliche Arbeitszeit von 50 auf 46 Stunden reduziert. Und das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) hat die Arbeitszeit von 48 auf 46 Stunden gesenkt.

Bereits im Mai vergangenes Jahr wurde am Zentrum für Innere Medizin der Hirslanden Klinik Aarau eine Wochenarbeitszeit für Assistenzärzte von 42 Stunden eingeführt.

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