SVP-Glarner unter Druck
Der Provokateur kämpft um seine politische Zukunft

In der SVP Aargau tobt ein Machtkampf. Steht die Parteispitze noch hinter Präsident Andreas Glarner? Nächste Woche kommt es zum Showdown – für den Mann, der bisher jede Affäre überstanden hat.
Publiziert: 08.12.2024 um 11:15 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2024 um 10:35 Uhr
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Noch ist Andreas Glarner Präsident der SVP Aargau.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Andreas Glarner kämpft um SVP-Präsidentschaft
  • Parteiinterne Spannungen eskalieren
  • Zum Showdown kommt es nächsten Donnerstag
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Auf einmal sitzt Andreas Glarner (62) nachdenklich da, die Stirn gerunzelt, die rechte Hand am Kinn. Es ist Donnerstagabend, und in einer Turnhalle in Aarburg AG haben sich rund 100 SVP-Mitglieder versammelt. Blumengesteck schmückt die Tische, Kellner schenken Wein aus, ein lokaler Musikverein spielt im Hintergrund – die Sünneli-Partei feiert den Wahlsieg von Martina Bircher (40) zur Aargauer Regierungsrätin. Doch Glarner strahlt wenig Feststimmung aus.

Soeben hat er zu Ehren von Bircher eine Rede gehalten, ihr gratuliert, aber auch vor Intrigen gewarnt. «Nebst den vielen Menschen, die es gut meinen, wird es auch Fallensteller geben. Auch aus dem vermeintlich freundlich gesinnten Umfeld – glaube mir, ich kenne das», sagte er an Bircher gerichtet. Seine Worte wirkten wie eine Anspielung auf den Machtkampf, der aktuell in der Aargauer SVP-Teppichetage tobt.

Nächste Woche kommt es zum Showdown. Am Donnerstag trifft sich die Aargauer SVP-Parteispitze und Glarner befürchtet, die Geschäftsleitung könnte ihm das Vertrauen entziehen. Es wäre ein symbolischer, aber deutlicher Entscheid: Das Gremium will nicht, dass Glarner Präsident der SVP Aargau bleibt.

Sein Plan war, «in Ehren» abzutreten

Eigentlich war längst entschieden, dass Glarner als Präsident abtritt – Ende Oktober hatte man sich in der Geschäftsleitung darauf geeinigt. Wie Blick weiss, stand Glarner parteiintern unter Druck. Einige Mitglieder der Geschäftsleitung vertraten die Ansicht, Glarner schade der SVP mit seinen persönlichen Angriffen gegen politische Gegner. Zuletzt erhielt die Mitte-Politikerin Rita Brem-Ingold Morddrohungen, nachdem Glarner sie in einem Tweet an den Pranger gestellt hatte.

Doch Glarner wollte nicht, dass sein Rücktritt mit diesem Skandal in Verbindung gebracht wird. «Ich würde nie wegen Brem-Ingold zurücktreten», sagt er zu Blick. Sein Plan war, «in Ehren» abzutreten, nach dem historischen Wahlsieg im Aargau. Deshalb hatte man in der Geschäftsleitung vereinbart, dass Glarner erst am 12. Dezember den Vorstand über seinen Rücktritt informiert. Es sollte etwas Zeit verstreichen, bis der Fall Ingold in Vergessenheit geraten würde. Doch der Plan ging nicht auf.

Der vorgesehene Abgang sickerte an die Medien durch, was Glarner zu einer spektakulären Wende veranlasste. In einem Interview mit der «Aargauer Zeitung» erklärte er vergangene Woche kurzerhand, nun doch Präsident bleiben zu wollen. Und in einem Mail an die Geschäftsleitung forderte er den «Maulwurf» dazu auf, das Gremium zu verlassen.

«Auf mich kann man dreinschlagen»

Noch vor einer Woche wirkte Glarner gelassen. Blick besuchte ihn an seinem Wohnort Oberwil-Lieli AG – und Glarner sprach in einem Tempo, als wolle er die Schallmauer durchbrechen. Selbstbewusst sagte er Sätze wie «Widerstand macht stark» oder «Auf mich kann man dreinschlagen, ich lasse mich nicht unterkriegen.» In seinem Büro hängt denn auch ein Schild: «AUFGEBEN KANNST DU BEI DER POST!», steht da in schwarzen Grossbuchstaben geschrieben. Es ist wohl Glarners Leitspruch, sein tägliches Mantra, insbesondere jetzt, da er wieder einmal unter Druck steht.

Skandale hat er schon so einige durchgestanden. Menschen an den Pranger zu stellen, das gehört zu seinem Politikstil. 2018 veröffentlichte er in den sozialen Medien eine Klassenliste, weil die Namen der Schüler ausländisch klangen. 2019 publizierte er die Telefonnummer einer Lehrerin, weil sie muslimischen Kindern erlaubte, während des Fastenbrechens zu Hause zu bleiben. 2020 unterstellte er der Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan, sie sei keine echte Schweizerin.

Selbst seine Töchter sagen ihm manchmal: «Daddy, jetzt hast du wieder mal über die Stränge geschlagen», erzählt Glarner und meint, berechtigte Kritik sei sogar wichtig. «Aber wenn ich unfair attackiert werde, tut mir das weh.» Seine Stimme wird leiser, sein Blick wandert kurz zur Seite. Für einen Moment wirkt er verletzlich, fast nahbar. Doch bei der Frage, weshalb er andere öffentlich anprangert, kehrt der Politiker zurück: «Ich lasse mich nicht mundtot machen.» Er wolle nur «Fakten» publizieren, eine «Tatsachendarstellung» machen, die «Wahrheit ans Licht» bringen.

Die SVP-Schwergewichte haben Glarner stets getragen

Schon früh in seiner Politkarriere provozierte er. Sein erster persönlicher Angriff richtete sich gegen Rainer Huber (76), den einstigen Aargauer CVP-Bildungsdirektor. 2009 trat Huber zur Wiederwahl an, und Glarner platzierte in den Zeitungen ein Inserat: «Aargauer Kinder sind erschüttert: Rainer Huber kandidiert nochmals …» Auf den Bildern waren weinende Kinder zu sehen.

Das Tränen-Inserat sorgte für einen Aufschrei, sogar der Aargauer SVP-Präsident Thomas Lüpold forderte Glarner auf, als Fraktionschef im Grossen Rat zurückzutreten. «Ich spürte einen gewaltigen Druck», erinnert sich Glarner. Doch dann sei etwas Schönes passiert: Christoph Mörgeli habe ihn angerufen. «Er sagte: ‹Das ist ein inszenierter Sturm, lass dich nicht ins Bockshorn jagen.›» Dann hätten sich Ueli Maurer und Christoph Blocher gemeldet, und dasselbe wiederholt. Die politischen Schwergewichte, sie haben Glarner stets getragen.

Rainer Huber musste nach dem Inserat zusammenpacken, er verpasste die Wiederwahl. Und Glarner lernte etwas: «Mit den richtigen Worten erreicht man viel.» 2015, während der Flüchtlingskrise, sagte Glarner vor laufender Kamera, er würde eine verzweifelte Flüchtlingsfamilie nicht über die Grenzen lassen. «Das sind potenzielle Sozialhilfebetrüger, die werden uns immer auf der Tasche liegen.» Im selben Jahr schaffte er es in den Nationalrat.

2020 wählte die SVP Aargau ein neues Präsidium. Glarner hielt eine «Brandrede», in der er sagte: «Wenn wir es nicht klar ansprechen – und ja, auch einmal etwas überspitzt formulieren und ja, auch einmal etwas drastisch sagen – dann schweigen uns die Medien tot!» Die Delegierten wählten ihn zum Präsidenten.

Glarner hat seine politische Karriere auf Provokation aufgebaut, und er scheint bereit zu sein, auf derselben Linie zu scheitern. Ob er es nochmals wissen will als SVP-Präsident Aargau, zeigt sich am Kantonalvorstand am kommenden Donnerstag. Definitiv wiederwählen müsste ihn dann der Parteitag am 30. April 2025.

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