Steueramt schaut weg
Pharma zahlt Ärzten horrende Spesen – aber wofür eigentlich?

Die Pharmaindustrie vergütet einigen Ärzten mehrere Zehntausend Franken Spesen. Das könnte auch das Steueramt interessieren – doch niemand handelt.
Publiziert: 05.10.2024 um 16:56 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2024 um 17:07 Uhr
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Die Pharmaindustrie vergütet einigen Ärzten mehrere Zehntausend Franken Spesen. Das könnte zu Interessenkonflikten führen.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Otto Hostettler
Beobachter

Die Pharmaindustrie verspricht, Zahlungen an Ärztinnen, Spitäler und andere Akteure der Gesundheitsbranche offenzulegen – der sogenannte Pharma-Kooperations-Kodex soll hier Transparenz schaffen. Dennoch finden Pharmakonzerne immer wieder Mittel, Ärztinnen und Professoren auf verschlungenen Wegen Gelder zu überweisen. Und niemand weiss, wofür eigentlich.

Ein Beispiel sind Reise- und Übernachtungsspesen. Oft sind das wenige Hundert Franken. Doch nicht so, wenn renommierte Professorinnen und Kaderärzte für Pharmakonzerne beratend tätig sind oder Vorträge halten. Hier tragen Spesen den Titel «related expenses», also weitere Auslagen – und nehmen ganz andere Dimensionen an. Gemäss der EFPIA, dem europäischen Verband der Pharmaunternehmen, zählen dazu etwa Reise- und Übernachtungskosten.

33’229 Franken Spesen

Doch werden unter dieser Rubrik wirklich nur solche Auslagen abgegolten? Marva Safa, die in Neuenburg eine Schönheitsklinik betreibt, liess sich letztes Jahr vom Pharmakonzern AbbVie Spesen in Höhe von 46’774 Franken vergüten. Das entspricht etwa der Hälfte dessen, was sie von AbbVie gleichzeitig für Beratungsdienstleistungen erhielt (92’660 Franken).

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Zusätzlich zahlt AbbVie der Schönheitsärztin auch noch 2390 Franken Kongressgebühren – und für den Besuch dieser Tagungen nochmals 10’454 Franken Spesen.

AbbVie-Sprecher Peter Züst betont, Marva Safa gehöre zu den «führenden Expertinnen auf dem Gebiet der medizinischen Ästhetik». Die Höhe der Vergütungen richte sich nach «dem Grad der Spezialisierung, der Erfahrung, der Dauer der erbrachten Dienstleistungen und anderen Faktoren». Über die Verhältnismässigkeit der Spesen sagt AbbVie-Sprecher Züst nichts. Marva Safa liess Anfragen des Beobachters unbeantwortet.

Noch fragwürdiger ist das Verhältnis zwischen Spesen und erbrachten Dienstleistungen beim Osteoporose-Spezialisten Jean-Yves Reginster. Die Beratungshonorare, die er letztes Jahr von BGP Products Operations GmbH erhielt, beliefen sich auf 37’341 Franken. Gleichzeitig kassierte er von BGP, einem Unternehmen der Viatris-Gruppe, Spesen in der Höhe von 33’229 Franken.

Geldsegen für «Key Opinion Leader»

Reginster ist unter anderem ausserordentlicher Professor an der Universität Lüttich in Belgien und Direktor des WHO-Kollaborationszentrums für Public-Health-Aspekte der muskuloskelettalen Gesundheit und des Alterns. Er ist auch Präsident der Europäischen Gesellschaft für Osteoporose und Osteoarthritis sowie Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Internationalen Osteoporose-Stiftung. Viatris bezeichnet ihn als «Key Opinion Leader» und «weltweit renommierten Experten».

In der Schweiz ist Reginster allerdings weder im Verzeichnis der Standesorganisation FMH verzeichnet, noch verfügt er gemäss Medizinalberufe-Register über eine Berufsausübungsbewilligung. Reginster, der am Genfersee in einem luxuriösen Anwesen wohnt, reagierte auf Anfragen des Beobachters nicht.

«Wir beurteilen keine Einzelfälle»

Auf die Frage, ob Spesen in dieser Grössenordnung verhältnismässig und angemessen sind, will niemand eine Antwort geben. Bei der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), die schon seit 20 Jahren vor Abhängigkeiten und Interessenkonflikten warnt, sagt Sprecher Stefan Althaus: «Ob in den erwähnten Einzelfällen ein angemessenes Verhältnis zwischen den Leistungen besteht, können wir nicht beurteilen. Die SAMW hat keine Ressourcen, um sich mit Einzelfällen zu befassen.»

Und die Standesorganisation FMH hält fest: «Wir beurteilen keine Einzelfälle.» Allfällige Verstösse gegen die Standesordnung durch Mitglieder würden «auf Anzeige hin» von den Standeskommissionen der kantonalen Ärztegesellschaften «geprüft». Der Branchenverband der Pharmaindustrie setzt auf das Vertrauensprinzip.

Und was tut das Bundesamt für Gesundheit (BAG), das für den Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen für Integrität und Transparenz im Heilmittelbereich zuständig ist? In den letzten vier Jahren eröffnete das BAG zu dieser Thematik gerade mal ein einziges Strafverfahren – das bis heute nicht abgeschlossen ist.

Interessieren sollten sich dafür auch die kantonalen Steuerverwaltungen. «Ein Arbeitgeber kann nicht einfach mehrere Tausend Franken als Spesen auszahlen, ohne dass dieser Betrag dann als Einkommen versteuert wird», sagt Martin Müller vom Beobachter-Beratungszentrum. Spesen müssten entweder konkret belegbar sein. Oder dann brauche es ein Spesenreglement, das vom Steueramt am Sitz der Firma genehmigt ist. Darin sind auch Pauschalspesen zulässig, solange sie verhältnismässig und erklärbar sind. Zum Beispiel 300 Franken monatlich als Kleinspesen für ein Mitglied des unteren Kaders. Finanzberater Martin Müller: «Alles darüber hinaus ist steuerbarer Lohn, das sind keine Spesen.»

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