«Geringverdienenden droht eine traurige Weihnachtszeit»
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Wegen Kurzarbeit:Gewerkschaft fordert Lohnausgleich für Geringverdiener

Staatssekretariat für Wirtschaft in der Kritik
Seco bremst bei Lohnausgleich für Geringverdiener

Das Staatssekretariat für Wirtschaft steht in der Corona-Krise immer wieder auf die Bremse. Das Seco und der für die Kurzarbeit zuständige Direktionschef Boris Zürcher stehen in der Kritik. Doch jetzt kommt der abgeblockte Lohnausgleich für Tieflöhner wieder aufs Tapet.
Publiziert: 14.12.2020 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 28.03.2021 um 14:54 Uhr
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«Mit diesen Massnahmen beuteln wir einmal mehr die Erwerbstätigen mit tiefen Einkommen in Gastronomie und Detailhandel, die Kurzarbeit haben», sagt SVP-Finanzminister Ueli Maurer. «Menschen mit tiefen Einkommen, die während längerer Zeit mit 80 Prozent auskommen müssen, geht es schon unter die Haut.»
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer und Gianna Blum

Die zweite Corona-Welle trifft die Wirtschaft stark. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Kurzarbeit nimmt wieder deutlich zu, eine Pleitewelle droht. Kein Wunder also, greift der Bundesrat nochmals tief ins Portemonnaie: Er stockt den Härtefallfonds um weitere 1,5 Milliarden Franken auf, um den betroffenen Firmen unter die Arme zu greifen.

Doch der Lichtblick täuscht nicht darüber hinweg, dass nicht nur Firmen, sondern auch Zehntausende Arbeitnehmende auf dem Abstellgleis in Kurzarbeit stehen. Da verschärft sich die soziale Krise von Tag zu Tag mehr: Geringverdiener kommen mit einem 80-Prozent-Lohn kaum mehr über die Runden. Und die finden sich besonders in jenen Branchen, die mit der 19-Uhr-Sperrstunde noch stärker in den Abwärtsstrudel geraten.

Maurer: «Das geht unter die Haut»

«Mit diesen Massnahmen beuteln wir einmal mehr die Erwerbstätigen mit tiefen Einkommen in Gastronomie und Detailhandel, die Kurzarbeit haben» sagte SVP-Finanzminister Ueli Maurer (70) am Freitag. «Menschen mit tiefen Einkommen, die während längerer Zeit mit 80 Prozent auskommen müssen, geht es schon unter die Haut.»

Ihn reue zwar jeder Franken, aber man müsse in dieser Situation auch schauen, «dass die Schwächsten nicht durch die Maschen fallen». Man solle das Anliegen noch einmal prüfen, befand er. Allerdings spielte Maurer den Ball dem Parlament zu, das in der letzten Sessionswoche im Covid-19-Gesetz nochmals am Drücker ist und auf das Thema zurückkommen solle.

Wirtschaftsdepartement blockt ab

Lösungen liegen eigentlich längst auf dem Tisch. Ein voller Lohnausgleich für Einkommen bis 4000 Franken etwa. Das Parlament hat bisher Nein dazu gesagt. Das hat auch mit dem Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin (61) zu tun – allen voran das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Dieses drückte von Anfang an auf die Bremse und hat sämtliche Vorschläge vom Tisch gewischt.

Eine solche Lösung sei zu aufwendig und kompliziert und komme der Einführung eines Mindestlohns gleich, heisst es in der Antwort auf einen Vorstoss von SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (34). Obwohl nur mit Zusatzkosten von «rund vier Prozent» gerechnet wird.

Zu einem anderen Vorstoss schreibt das Wirtschaftsdepartement zynisch, die Betroffenen könnten ihr Einkommen ja über Zwischenbeschäftigungen «markant» erhöhen.

Bremser im Seco

Es ist nicht das erste Mal, dass das Seco für Kopfschütteln sorgt. Und dort besonders die Direktion für Arbeit. Deren Leiter Boris Zürcher (56) ist das ökonomische Pendant zum gesundheitspolitischen «Mr. Corona» im Bundesamt für Gesundheit. Denn er hat mit der Arbeitslosenkasse den wohl wichtigsten Stützpfeiler in der Krise unter sich – und damit die Kurzarbeitsentschädigungen als wichtiges Stabilisierungselement. Allein bis Ende Oktober wurden rund acht Milliarden Franken an Corona-Betroffene ausbezahlt, weitere Milliarden hat der Bundesrat bereits gesprochen.

Doch der frühere Chefökonom des liberalen Thinktanks Avenir Suisse verfolgt auch in der Krise eine ordoliberale Linie. Sein Credo: Gut ist, wenn der Staat möglichst wenig eingreift.

Das zeigte sich schon ganz zu Beginn der Krise, die das Wirtschaftsdepartement massiv unterschätzte und für sie nur ein paar Millionen aufwerfen wollte. Erst auf massiven Druck von Gewerkschaften und Arbeitgebern gemeinsam wurde das notwendige Milliardenpaket geschnürt. Gegen den Widerstand aus dem Seco. Dem Vernehmen nach musste Parmelin ein Machtwort sprechen, damit Zürcher spurte. «Die ersten zwei Wochen waren eine Katastrophe», sagt eine involvierte Person. «Dann wurde endlich die Schleuse geöffnet.»

Zürcher informierte teils falsch

Jetzt, wo die zweite Welle noch viel mehr Flurschaden anzurichten droht, gerät auch Zürcher wieder stärker unter Beschuss. Nicht nur, weil er auf die Bremse drückte, sondern auch, weil er teils mit falschen Informationen hausierte. Als ein Vorschlag zur Diskussion stand, dass über die Kurzarbeit sämtliche Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber finanziert werden sollten, behauptete Zürcher im Herbst keck, das sei bereits der Fall.

Einen entsprechenden Prüfungsauftrag würgte er aber schon im Frühjahr in der Seco-Corona-Taskforce ab. Der Auftrag könne abgeschrieben werden, denn die Arbeitgeber-Beiträge «werden schon heute beglichen», heisst es in den Protokollen, die BLICK vorliegen. Bloss stimmte das so nicht ganz: Via Kurzarbeit werden die Beiträge für AHV, IV, Erwerbsersatz oder ALV übernommen, aber nicht für die berufliche Vorsorge oder Unfallversicherung.

Ähnliches erlebte SP-Co-Chefin Mattea Meyer (33), als es darum ging, ob Stellensuchende während des Lockdowns weiterhin Bewerbungen schreiben müssten – was Zürcher in einer Kommission fälschlicherweise verneinte, weshalb Meyer auf einen entsprechenden Antrag verzichtete. Als sich Betroffene bei ihr meldeten, die wegen zu wenig Bewerbungen dann doch abgestraft wurden, wurde Meyer in der Fragestunde des Nationalrats vorstellig. «Als Parlamentarier müssen wir darauf vertrauen können, dass die Bundesverwaltung korrekte Informationen liefert – das habe ich beim Seco nun mehrmals anders erlebt», so Meyer.

Ebenfalls ins Frühjahr fällt ein kleinkarierter Streit um die Entschädigung für direkt und indirekt betroffene Selbständige. Von der Systematik her hätte das Seco gut mit Kurzarbeitsentschädigungen einspringen können, am Schluss musste das Bundesamt für Sozialversicherungen mit Erwerbsersatz aushelfen. Das sorgte ebenfalls für böses Blut – und Zürchers Gegner nennen ihn hinter den Kulissen spöttisch «Direktor für Trägheit».

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«Traurige Weihnachtszeit droht»

Bei den Gewerkschaften ist der Ärger über die Blockadehaltung gross. In der Diskussion um die Geringverdiener lupft es SGB-Chefökonom Daniel Lampart (52) erst recht den Hut: «Weil sich das Seco nicht bewegen will, droht Zehntausenden Geringverdienenden eine traurige Weihnachtszeit.» Auch er ist sich bewusst, dass eine Anpassung einen gewissen Mehraufwand bedeutet.

«Hier geht es für viele Menschen aber um ein würdiges Leben», so Lampart. Zudem seien ja auch einfachere Lösungen denkbar: «Ein fixer Zuschlag von beispielsweise 10 bis 20 Prozent in besonders betroffenen Branchen würde bereits helfen.»

Gastrosuisse ärgert sich über stetiges «Bittibätti»

Doch auch von Arbeitgeberseite – nämlich Gastrosuisse und Hotelleriesuisse – kommt Unterstützung für einen Lohnausgleich. «Wir sehen die Wichtigkeit einer solchen Lösung insbesondere bei den tieferen Einkommen. Damit aber keine neuen Ungerechtigkeiten entstehen, braucht es eine Abstufung je nach Höhe des Bruttolohns», sagt Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer (58).

Was das Seco und Zürcher betrifft, sitzt auch bei ihm der Unmut tief: «Zürcher spricht lieber vom Missbrauchsrisiko anstatt pragmatischen und schnellen Lösungen Hand zu bieten, die es in der jetzigen Krise einfach braucht.» Es gehe doch um befristete Massnahmen – «und trotzdem müssen wir jedes Mal Bittibätti machen.»

Wermuth schlägt Kompromiss vor

Klar ist: Der Kampf um den Tieflohn-Ausgleich geht in eine neue Runde. Wie Bundesrat Maurer anregte, ist nun das Parlament nochmals am Drücker. Schon am Montag reicht SP-Mann Wermuth in der nationalrätlichen Wirtschaftskommission neue Anträge ein, die er ins dringliche Covid-19-Gesetz packen will.

So schlägt Wermuth nun einen Kompromiss vor: Der Lohn soll bis und mit 4000 Franken voll ausbezahlt werden – und alles, was darüber liegt, dann zu 80 Prozent. Die Arbeitgeberbeiträge sollen vollständig von der Arbeitslosenversicherung übernommen werden. «So stützen wir die Unternehmen und sichern gleichzeitig die Einkommen der Angestellten», so Wermuth. «Es geht darum, den Menschen, die von prekären Arbeitsbedingungen betroffen sind, jetzt zu helfen.»

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