Die Corona-Krise kostet die Arbeitnehmenden jeden Tag 115 Millionen an Einkommen! Das zeigt eine Analyse des Unternehmensberaters WPuls.
Die Ausfälle wären noch höher ohne Kurzarbeitsentschädigungen. Im Lockdown im April waren 1,9 Millionen Arbeitnehmende für Kurzarbeit angemeldet, jetzt im Oktober sind es immer noch 460'000 – Tendenz steigend. Rund 20 Milliarden Franken hat der Bund finanziell bereitgestellt, bis Ende Oktober wurden schon 8 Milliarden Franken ausbezahlt.
Wer in Kurzarbeit muss, erhält vom Staat immerhin 80 Prozent des Lohns ersetzt. Trotzdem wird die 20-prozentige Lohnkürzung besonders im Niedriglohnsektor für viele ein Problem. In der Gastro-, Detailhandels- oder Reinigungsbranche beispielsweise. Dort, wo sich die Löhne kaum über 4000 Franken pro Monat bewegen. Noch immer sind weit über 200'000 Geringverdiener in Kurzarbeit – gut die Hälfte in der Gastrobranche.
Netto bleiben 2700 Franken
Eine von ihnen ist Undine Schulze (63). 2007 kam sie der Arbeit wegen in die Schweiz. Ihr drei erwachsenen Kinder leben in Deutschland, sie im bernischen Iffwil. Derzeit ist die Alleinstehende im Restaurant Grauholz an der gleichnamigen Autobahnraststätte angestellt. Zu 100 Prozent. Ihr Bruttolohn beträgt rund 4000 Franken.
Doch seit März ist sie – mit einem kurzen Unterbruch im Herbst – in Kurzarbeit. Da das Restaurant derzeit nur wenige Stunden täglich öffnet, kommt sie nicht zum Einsatz. Damit geht auch das Trinkgeld flöten. Netto bleiben ihr damit nur 2700 Franken monatlich.
«Unter dem Strich muss ich mit 1500 Franken weniger auskommen», sagt sie zu BLICK. Ihr ist wichtig, laufende Rechnungen für Miete, Strom oder Krankenkasse zu bezahlen. Für alltägliche Dinge wie Lebensmittel, Hygieneartikel oder Kleidung bleiben ihr noch 300 bis 500 Franken.
«Man fühlt sich hilflos»
«Ich muss mich stark einschränken, damit es zum Leben reicht», erzählt sie. Im Kühlschrank ist nur das Nötigste. Ein Kaffee in der Beiz, ein Kinobesuch, ein Bowling-Abend, Reisen oder ein Shoppingtrip in die Stadt liegen derzeit nicht drin. «Ich bleibe meist zu Hause oder gehe mal spazieren.»
Sorgen macht sie sich, was grössere Ausgaben betrifft. «Eigentlich müsste ich mein Auto in den Service geben, das schiebe ich hinaus», sagt sie. «Ich habe auch keine Ahnung, wie ich meine Steuerrechnung bezahlen soll.»
Die Situation belastet die Frau. «Man fühlt sich hilflos und wird von Existenzängsten geplagt. Man fragt sich, wie es weitergeht.»
«Als ob man am Abgrund steht»
Ähnlich ergeht es Beatriz L.*. Die Brasilianerin arbeitet in einem Zürcher Luxusrestaurant. Für 19 Franken Stundenlohn. Schon in normalen Zeiten verdient sie in guten Monaten nur rund 3000 Franken. Doch seit März ist sie in Kurzarbeit und erhält meist weniger als 2400 Franken.
«Man muss auf vieles verzichten und überlegt sich ständig, ob Ende Monat noch etwas übrig bleibt», erzählt die 28-Jährige. «Es ist ein Gefühl, als würde man ständig am Abgrund stehen. Man hat keine Sicherheit.» Mit ihrem Partner lebt sie in einer kleinen Wohnung in Zürich. Früher haben sie sich die Miete geteilt. «Das geht jetzt nicht mehr, ich zahle nur noch einen Drittel – diese Abhängigkeit stört mich.» Umso mehr hofft sie darauf, dass die Kurzarbeitsentschädigung für Geringverdiener bald einmal zu 100 Prozent ausgeglichen wird.
Parmelin soll handeln
Im Parlament sind verschiedene Vorstösse hängig, die einen Ausgleich für tiefe Löhne verlangen. Für die Betroffenen dauert der Prozess aber zu lange. Deshalb machen Gewerkschaften sowie die Arbeitgeberverbände Gastrosuisse und Hotelleriesuisse gemeinsam Druck, um rasche Verbesserungen bei der Kurzarbeit zu erreichen. «Die Kurzarbeitsentschädigung soll den Lohnausfall zu 100 Prozent ausgleichen», fordern sie in einer Mitteilung.
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Am Freitag kommt die Forderung zudem beim Wirtschaftsgipfel von SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (61) auf den Tisch. «Die Krise trifft Menschen mit tieferen Einkommen besonders stark, die zweite Welle hat das Problem nochmals verschärft», sagt Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart (52) zu BLICK.
Die Betroffenen könnten sich den Zahnarzt, die Autoreparatur oder das ÖV-Abo nicht mehr leisten. «Ohne entsprechende Gegenmassnahmen drohen kurz- und mittelfristig grosse soziale Probleme.» Über mögliche Modelle wolle man mit Parmelin diskutieren, so Lampart: «Je tiefer die Löhne, umso dringender ist der Handlungsbedarf – da braucht es den vollen Lohnersatz.»
Gastrosuisse unterstützt Forderung
Unterstützt wird die Stossrichtung von den Gastroverbänden. «Wir sehen die Wichtigkeit einer solchen Lösung insbesondere für die tieferen Einkommen. Damit aber keine neuen Ungerechtigkeiten entstehen, braucht es eine Abstufung je nach Höhe des Bruttolohns», sagt Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer (58).
Der Bund müsse zudem auch Lohnbeiträge wie Sozialbeiträge oder Ferienentschädigungen übernehmen, die die Arbeitgeber derzeit weiterhin berappen müssen. «Vielen Betrieben steht das Wasser schon über dem Hals», so Platzer. «Übernimmt der Bund diese Beiträge nicht, können sich diese Kurzarbeit gar nicht leisten und müssen Angestellte entlassen. Das muss aus unserer Sicht mit allen Mitteln verhindert werden.»
Für Undine Schulze wäre ein voller Lohnausgleich wie ein Sechser im Lotto: «Ich würde Luftsprünge machen! Mir würde die ganze Last von den Schultern fallen, die mich nach unten drückt und mutlos macht.»
* Name der Redaktion bekannt