Seit einer Woche führt die Zürcher Nationalrätin Mattea Meyer (32) zusammen mit dem Aargauer Cédric Wermuth (34) die SP. Schon seit Beginn der Corona-Krise macht sie sich für stärkere Unterstützungsmassnahmen stark. Die jüngste Entwicklung der Fallzahlen macht ihr Sorgen. Der Bund müsse nun rasch handeln, fordert sie im BLICK-Interview.
BLICK: Frau Meyer, die Corona-Fallzahlen steigen massiv. Braucht es nun einen Mini-Lockdown?
Mattea Meyer: Die Entwicklung ist besorgniserregend. Um das Virus einzudämmen, braucht es jetzt einschneidende gesundheitspolizeiliche Massnahmen. Wir wollen alle einen neuen Lockdown vermeiden, darum braucht es präventive Massnahmen und rasche Investitionen im Gesundheitswesen. Der Wirtschaft geht es dann am besten, wenn das Virus rasch eingedämmt werden kann.
Bundesrat Alain Berset schlägt in einer Konsultation nun einschneidende Massnahmen vor. Unterstützen Sie die härtere Gangart des Bundes und zahlreicher Kantone?
Grundsätzlich ja. Es braucht aber endlich ein koordiniertes Vorgehen von Bund und Kantonen. Sie müssen sich rasch auf gemeinsame Massnahmen einigen statt im Alleingang vor sich hin zu wursteln. Alles andere verunsichert die Leute. Das ist Gift im Kampf gegen das Virus. Raufen sich die Kantone nicht zusammen, muss der Bund wieder stärker eingreifen.
Befürworten Sie auch eine Maskenpflicht im Freien?
Auch hier gilt der Grundsatz: So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Wenn der Bundesrat zusammen mit den Experten und den Kantonen zum Schluss kommt, dass solche Massnahmen nötig sind, dann werden wir sie unterstützen. Entscheidend finde ich, dass es ein rasches und koordiniertes Vorgehen gibt.
Und soll der Bund auch Grossveranstaltungen schweizweit wieder verbieten oder Clubs schliessen?
Wenn der Bundesrat mit der Wissenschaft zum Schluss kommt, dass es nicht anders geht, dann ja. Für mich ist aber klar: Die neuen Einschränkungen haben Folgen für die Wirtschaft – und deshalb braucht es unbedingt wirtschaftliche Abfederungsmassnahmen.
Die haben wir doch zur Genüge: Kurzarbeit, Erwerbsausfallentschädigungen, Härtefallregelungen für Unternehmen – Milliarden werden dafür ausgegeben!
Trotzdem fallen Zehntausende durch die Maschen, weil die Unterstützungsmassnahmen bereits wieder abgebaut wurden. Temporär Beschäftigte haben kein Anrecht mehr auf Kurzarbeit. Und bei der Härtefallregelung mit möglichen À-fonds-perdu-Beiträgen müssen die Betroffenen bis im Frühjahr warten, bis sie Hilfe erhalten. Bis dahin sind unzählige Unternehmen in Konkurs.
Was ist zu tun?
Das Wirtschaftsdepartement unter SVP-Bundesrat Guy Parmelin hat aus purer Ideologie nicht gehandelt! Er muss jetzt rasch eine Verordnung vorlegen, und die Kantone müssen dann auf Regierungsebene eine dringende kantonale Anpassung beschliessen. Die Hilfe muss noch im November kommen!
Sie gehen mit Parmelin hart ins Gericht, dabei macht das Parlament selber keine gute Figur. Beim Mieterlass für Geschäfte fährt es einen Slalomkurs. Die zuständige Kommission will die Vorlage nun wieder kippen.
Das ärgert mich! Die bürgerlichen Wendehälse haben auf Zeit gespielt und die Immobilienlobby hat sich durchgesetzt. Dabei machen viele Immobilienfirmen in der Krise Profit, während unzählige Geschäfte massive Umsatzeinbrüche haben und vor dem Konkurs stehen. Ein Scheitern des Geschäftsmieten-Gesetzes wäre ein Desaster.
Ach was, zahlreiche Mieter und Vermieter haben sich bereits einvernehmlich geeinigt und mehrere Kantone haben eigene Lösungen. Das Geschäftsmieten-Gesetz ist unnötig.
Ganz und gar nicht. Eine nationale Lösung ist nicht nur nötig, sondern muss auch noch nachgebessert werden.
Nachgebessert?
Nicht nur bei einer Schliessung muss es einen Mieterlass geben, sondern auch, wenn faktisch keine oder weniger Umsätze möglich sind – weil sie wegen der Einschränkungen kaum mehr Kunden haben, zum Beispiel Clubs oder Restaurants. Es trifft jene, die viel Geld und Herzblut in ihr Geschäft gesteckt haben und nun unverschuldet vor dem Aus stehen. Ich hoffe, die Bürgerlichen kommen noch zur Vernunft.
Gibt es für Sie keine Grenze, wie viel Geld für die Corona-Krise aufgeworfen werden soll?
Nichtstun kommt uns immer teurer! Dann gehen Firmen in Konkurs, Arbeitsplätze verloren, die Armut steigt, Kultur und Sport stehen am Abgrund. Das kurzfristige Denken des Bundesrats ärgert mich und ist verantwortungslos, weil damit das Vertrauen in die Behörden schwindet. Ich kenne viele Leute, die aus purer Existenzangst damit beginnen, das Virus zu verharmlosen. Denn die Null am Ende des Monats auf dem Bankkonto sehen sie, das unsichtbare Virus nicht. Das macht mir ernsthaft Sorgen. Die Akzeptanz der Corona-Schutzmassnahmen steht und fällt mit den wirtschaftlichen Abfederungsmassnahmen. Die Menschen brauchen eine Perspektive, gerade weil die Krise wohl noch lange andauern wird.
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Ihre Vorschläge helfen kurzfristig. Nach der Pandemie geht es zurück zum Courant normal?
Nein, die Krise hat aufgezeigt, dass es neue Ansätze braucht. Zum Beispiel eine allgemeine Erwerbsausfallversicherung. Zu viele Personen haben keine wirtschaftliche Existenzsicherung, das hat die Krise gezeigt. Diese Versicherung würde alle Formen des Erwerbsausfalls abdecken und etwa auch die Arbeitslosen- oder Invalidenversicherung ersetzen.
Haben Sie noch weitere Vorschläge?
Klar! Es braucht mehr finanzielle Anerkennung für die Care-Arbeit – etwa Pflege oder Kinderbetreuung. Notwendig ist auch eine Investitionsoffensive in Klimaschutzmassnahmen wie Gebäudesanierungen. Damit stoppen wir die Klimakrise und kurbeln gleichzeitig die Wirtschaft an. Und es braucht ein Umschulungsprogramm von Flugpersonal für ÖV-Jobs. Schliesslich braucht es auch eine Krisengewinnsteuer, um diese Investitionskosten der Corona-Krise zu stemmen.
Ausgerechnet jene, die in der Krise gut gearbeitet haben, kommen nun an die Kasse?
Was Sie sagen, ist ein Affront gegenüber allen, die gut arbeiten und nun unverschuldet in die Bredouille geraten sind! Wir wollen nur, dass die Krisengewinner – etwa die Pharmabranche – ihren fairen Anteil zur Bewältigung der Krise leisten.
Es tönt eher so, als wollten Sie die Corona-Krise dazu nutzen, sämtliche SP-Wunschträume zu erfüllen.
Wir haben diese Krise sicher nicht gewollt! Im Gegenteil, denn sie verschärft die Ungleichheit auf der Welt massiv. In der Schweiz sind wir bis jetzt zwar vergleichsweise gut über die Runden gekommen. Das zeigt aber: Es braucht verlässliche staatliche Leistungen und Solidarität im Alltag.
Ein ganz anderes Thema: Sie sind seit gut einer Woche SP-Chefin. Ausgerechnet im Heimatkanton Ihres Co-Präsidenten Cédric Wermuth sind Sie mit einer Wahlschlappe gestartet. Ist das der Meyer/Wermuth-Effekt?
(Lacht) So schnell geht es dann doch nicht. Natürlich hätten wir im Aargau zulegen wollen – aber die SP hat vor vier Jahren vier Prozent dazugewonnen, nun wieder etwas verloren. Unter dem Strich hat das links-grüne Lager zugelegt. Im Jura hat die SP zudem einen Sitz dazugewonnen.
Als Nächstes steht der Schlagabtausch zum Rahmenabkommen mit der EU an. Ist das Abkommen noch zu retten?
Unser Ziel ist ein demokratisches und soziales Europa. Auf diesem Weg sind gute Beziehungen zur EU unerlässlich. Aber ein Rahmenabkommen, das den sozialen Fortschritt schwächt oder zunichtemacht, ist mit uns nicht zu haben. Wir werden das Abkommen nur unterstützen, wenn der Lohnschutz und der Service public garantiert sind. Ich hoffe diesbezüglich auf die neue Verhandlungsführerin.
Nach dem Rücktritt von Christian Levrat (50) übernimmt Mattea Meyer (32) zusammen mit Cédric Wermuth (34) den SP-Chefposten. Die beiden sind schon seit Juso-Zeiten ein eingespieltes Duo. 2015 wurde die Zürcherin in den Nationalrat gewählt und sitzt derzeit in der Sozial- und Gesundheitskommission. Politisch engagiert sie sich auch stark in Steuerfragen oder der Flüchtlingspolitik. Meyer studierte Geschichte, Geografie und Politikwissenschaften an der Universität Zürich und arbeitet als Präsidentin des SAH-Netzwerks, das sich für berufliche und soziale Integration von Geflüchteten und Erwerbslosen starkmacht. Mit ihrem Partner und ihrer Tochter lebt sie in Winterthur ZH.
Nach dem Rücktritt von Christian Levrat (50) übernimmt Mattea Meyer (32) zusammen mit Cédric Wermuth (34) den SP-Chefposten. Die beiden sind schon seit Juso-Zeiten ein eingespieltes Duo. 2015 wurde die Zürcherin in den Nationalrat gewählt und sitzt derzeit in der Sozial- und Gesundheitskommission. Politisch engagiert sie sich auch stark in Steuerfragen oder der Flüchtlingspolitik. Meyer studierte Geschichte, Geografie und Politikwissenschaften an der Universität Zürich und arbeitet als Präsidentin des SAH-Netzwerks, das sich für berufliche und soziale Integration von Geflüchteten und Erwerbslosen starkmacht. Mit ihrem Partner und ihrer Tochter lebt sie in Winterthur ZH.