Vier Jahre lang dauerte die Suche. Dann hatte Hannes Streif seinen biologischen Vater gefunden. «Es war eine Erleichterung. Ich wollte das Rätsel unbedingt lösen», sagt der 42-jährige Rechtsanwalt. Er hofft, dass es andere Spenderkinder dank seines Erfolgs nun einfacher haben werden bei der Vatersuche. «Ich wollte beweisen, dass man seinen Erzeuger finden kann. Nun kann ich anderen Tipps geben.»
Streif wurde 1980 am Inselspital Bern gezeugt – mithilfe einer anonymen Samenspende. Berner Studenten gaben damals ohne Angabe ihres Namens oder anderer Personalien Spermien ab. Auch behandelnde Ärzte der Samenbank spendeten. Sie hielten es für zulässig, ihren Patientinnen heimlich eigene Nachkommen unterzuschieben. Das deckte der «Beobachter» vor einigen Jahren auf.
Inselspital verwischte Spuren mit Spermiencocktails
Klinikarzt Ulrich Gigon mischte die Spendersamen zu Spermiencocktails, um die Urheberschaft zu verschleiern. Im Durchschnitt kamen jeden Tag neun Frauen, um gespendete Samen zu empfangen. Das Inselspital betrieb das zweitgrösste Samenbankzentrum der Schweiz. Gezahlt haben die Frauen bar. Dokumentiert wurde nichts. Das Vorgehen sei problemlos, «selbst wenn ein einzelner Spender zehn oder mehr Kinder zeugt», schrieb Klinikarzt Gigon 1980 in einem Aufsatz.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Wissen über Spendervater ist ein Menschenrecht
Heute wäre das illegal. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist mittlerweile als europäisches Menschenrecht anerkannt. Das Bundesgericht hat das in mehreren Urteilen bestätigt. Die Erforschung der eigenen Herkunft gehöre zum gewährleisteten Schutz der Identität (siehe Infobox Spendervater und Adoptivmutter: Das gilt juristisch).
Mit 18 Jahren haben Kinder ein Recht auf die Kenntnis der eigenen Abstammung. Dieses Recht ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert und deshalb auch in Schweizer Gesetzen festgehalten:
- Alle volljährigen Adoptivkinder können jederzeit verlangen, dass ihnen die Personalien und weitere Informationen zu ihren biologischen Eltern bekanntgegeben werden (Art. 268c Abs. 3 ZGB). Die Kantone führen dazu Auskunftsstellen.
- Volljährige Spenderkinder ab Jahrgang 2001 können auch gegen den Willen des Samenspenders Informationen über ihn einholen. Sie haben Anspruch auf Angaben zu Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnort, Heimatort oder Staatsangehörigkeit, Statur, Grösse, Haarfarbe, Augenfarbe, Hautfarbe, besondere Merkmale sowie Ergebnissen der medizinischen Untersuchung im Zeitpunkt der Spende (Art. 27 FMedG). Auskunft erteilt der Bund, der dazu ein Spenderdatenregister führt. Ein Recht auf persönliches Kennenlernen gibt es nicht.
- Die Rechte von älteren Spenderkindern, die vor dem 1. Januar 2001 geboren wurden, sind nicht gesetzlich geregelt. Das gilt auch für die Kinder privater Samenspenden («Becherspende»). Ihre Spenderväter sind nirgends registriert. Laut Bundesgericht gibt es aber «einen klagbaren Anspruch auf Kenntnis seiner Abstammung» (BGE 134 III 241). Der Anspruch gelte grundsätzlich selbst dann, wenn dem Samenspender seinerzeit Anonymität zugesichert worden sei, sagt die Luzerner Rechtsprofessorin Regina E. Aebi-Müller. Doch der Anspruch gelte nicht absolut.
Mit 18 Jahren haben Kinder ein Recht auf die Kenntnis der eigenen Abstammung. Dieses Recht ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert und deshalb auch in Schweizer Gesetzen festgehalten:
- Alle volljährigen Adoptivkinder können jederzeit verlangen, dass ihnen die Personalien und weitere Informationen zu ihren biologischen Eltern bekanntgegeben werden (Art. 268c Abs. 3 ZGB). Die Kantone führen dazu Auskunftsstellen.
- Volljährige Spenderkinder ab Jahrgang 2001 können auch gegen den Willen des Samenspenders Informationen über ihn einholen. Sie haben Anspruch auf Angaben zu Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnort, Heimatort oder Staatsangehörigkeit, Statur, Grösse, Haarfarbe, Augenfarbe, Hautfarbe, besondere Merkmale sowie Ergebnissen der medizinischen Untersuchung im Zeitpunkt der Spende (Art. 27 FMedG). Auskunft erteilt der Bund, der dazu ein Spenderdatenregister führt. Ein Recht auf persönliches Kennenlernen gibt es nicht.
- Die Rechte von älteren Spenderkindern, die vor dem 1. Januar 2001 geboren wurden, sind nicht gesetzlich geregelt. Das gilt auch für die Kinder privater Samenspenden («Becherspende»). Ihre Spenderväter sind nirgends registriert. Laut Bundesgericht gibt es aber «einen klagbaren Anspruch auf Kenntnis seiner Abstammung» (BGE 134 III 241). Der Anspruch gelte grundsätzlich selbst dann, wenn dem Samenspender seinerzeit Anonymität zugesichert worden sei, sagt die Luzerner Rechtsprofessorin Regina E. Aebi-Müller. Doch der Anspruch gelte nicht absolut.
Für Eltern und Fortpflanzungsmediziner bedeutet das: Wer Leben schafft, muss die Wurzeln dokumentieren. Für Samenspenden steht das seit 2001 so im Gesetz. Nur wer seine Identität im Spenderdatenregister hinterlegt, darf Biografien in Gang setzen.
Doch für Spendergeburten vor 2001 gilt das nicht. Damals empfahl Klinikarzt Gigon allen, zu schweigen. «Durch die Anonymität des Spenders werden Konfliktsituationen weitgehend unmöglich gemacht», schrieb er in der «Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift» 1974.
Und dem Schweizer Fernsehen sagte er 1980: «Die Ehepaare sollen das weiss Gott niemandem sagen. Selbst ihren Eltern, wenn möglich, nicht. Je mehr Leute das wissen, desto grösser ist die Gefahr, dass es das Kind erfährt.» Und: «Der Spender muss unbedingt anonym bleiben.» Äusserungen, die damals niemanden störten.
Günstige DNA-Tests torpedieren Anonymitätsversprechen
Die Gesellschaft hielt die monogame Eheordnung für ausgesprochen wichtig. Spenderkinder, Adoptivkinder oder uneheliche Kinder widersprachen dem Familienideal. Dazu kam die Scham: Ein Spenderkind galt als lebender Beweis für die Impotenz des Ehemannes. Das Schweigen sollte ihn schützen. Und den Spender in Sicherheit wiegen.
Mit dem Aufkommen günstiger Internet-DNA-Tests stürzen die Schweigemauern jedoch in sich zusammen. «Alle, die ihren Spendervater finden wollen, können das heute mit etwas Glück und Ausdauer schaffen», sagt Hannes Streif. Dazu müssten die Erkenntnisse aus DNA-Tests mit Ahnenforschung kombiniert werden. Es brauche zwar eine gewisse Frustrationstoleranz. «Aber für mich war die vierjährige Suche wie ein Hobby mit ungewissem Ausgang.»
Das Recht ist auf der Seite der Spenderkinder
Doch darf ein Spenderkind 40 Jahre nach der Geburt das Familienleben eines einst anonymen Spenders stören, um seine Wurzeln zu ergründen? «Natürlich», sagt Spenderkind Streif.
Und auch die Luzerner Rechtsprofessorin Regina Aebi-Müller sieht Spenderkinder im Recht. Allerdings müssten Gerichte immer eine Interessenabwägung vornehmen. Ein Samenspender, der anonym bleiben wollte, könnte etwa sein Recht auf Privatsphäre geltend machen.
«Ich gehe davon aus, dass die Interessen des Spenderkindes aber in aller Regel als bedeutsamer eingestuft werden als diejenigen des Samenspenders», sagt Regina Aebi-Müller.
Doch um das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung vor Gericht überhaupt einfordern zu können, brauchen Spenderkinder zuerst einen Verdächtigen. Und um den zu finden, braucht es Biss. «Ich war besessen von der Suche, was meine Frau und meine Kinder nicht nur toll gefunden haben», sagt Streif.
Eine Erfolgsgarantie gebe es keine, dafür aber viele falsche Fährten. Hannes Streif glaubte zuerst, sein Spendervater sei Medizinstudent in Bern gewesen. Er durchforstete deshalb die Abschlussregister der entsprechenden Jahre, studierte Lebensläufe und Gesichter.
Aufgrund einer Ähnlichkeit ging er davon aus, dass ein Arzt aus dem Kanton Luzern sein Vater sein müsse. Streif rief ihn an. Doch der pensionierte Arzt stritt alles ab. «Ich glaubte ihm», sagt Streif. «Ich musste merken: Ähnlichkeit hilft nichts. Darauf sollte man überhaupt nicht achten.»
Hannes Streif konzentrierte sich stattdessen auf die Spur seiner DNA. Er hatte dafür seinen Speichel zur Analyse in die USA geschickt und seine DNA danach in mehrere Datenbanken wie 23andme.com hochgeladen. Diese listeten ihm Dutzende DNA-Verwandte auf. Also Verwandte, die ebenfalls Speichel eingesendet hatten.
Chatten mit neuen Verwandten
Er schrieb die Treffer via Chatfunktion an und fragte nach ihren Vorfahren. Zu den Namen, die er so erhielt, recherchierte er exzessiv und liess sie durch Online-Suchmaschinen für Ahnensuche wie familysearch.org laufen. Diese haben Hunderttausende Kirchenbücher in ganz Europa eingescannt.
Die Ergebnisse hielt Streif auf einem Packpapier fest, das immer grösser und unübersichtlicher wurde. Nach und nach entstand aus seiner Online-Ahnenforschung ein Stammbaum – allerdings mit Lücken. «Ich ging damit zur Genealogin Yvonne Hausheer, die mit der eigentlichen Ahnenforschung startete und in die Archive stieg», sagt Streif. Es vergingen vier Jahre, aber am Schluss hatte er seinen Spendervater erfolgreich eingekreist. Als mögliche Spender standen nur noch zwei Brüder zur Auswahl. Beide waren bereits gestorben.
Hannes Streif schrieb den Nachkommen einen netten Brief. Das war vor rund einem Jahr. «Ich wusste, ich verändere mit meiner Recherche Biografien. Deshalb war ich vorsichtig. Ich hatte Glück, und meine Halbschwester schrieb zurück.»
Falls Streif an dieser Stelle nicht weitergekommen wäre, hätte er theoretisch auch vor Gericht gehen können. Mit intakten Chancen. «Wenn trotz einer bereits vorliegenden DNA-Untersuchung noch eine Unsicherheit über die genetische Vaterschaft eines Spenders besteht, sind die Chancen auf Durchsetzung des Kenntnisrechts gut», sagt Rechtsprofessorin Regina E. Aebi-Müller.
Doch: «Selbst bei festgestellter genetischer Abstammung besteht kein Anspruch darauf, mit dem genetischen Vater in eine persönliche Beziehung treten zu können.» Im Klartext: Auskunft: ja; persönliche Treffen: nein.
Als das Wissen über den Erzeuger plötzlich da ist
Streif erfuhr von den Nachkommen einiges über seinen verstorbenen Spendervater. Das Wissen über die eigene Abstammung war plötzlich da. Und dann?
«Verändert hat sich nicht viel», sagt Streif. «Mein sozialer Vater ist immer noch mein Vater. Doch weil ich nun einiges über meinen Spendervater weiss, kann ich gewisse Charakterzüge von mir besser einordnen.» Streif machte auch medizinische Tests, um zu prüfen, ob er an derselben Krankheit leidet wie sein Spendervater.
Zudem lernte er über die Online-DNA-Tests weitere Halbgeschwister kennen. «Inzwischen sind wir zehn.» Die acht Spenderkinder und die beiden offiziellen Kinder des Spendervaters treffen sich einmal pro Jahr gemeinsam mit ihren Familien. Hannes Streif erzählt seinen eigenen Kindern alles. «Transparenz ist mir wichtig.»