Es war der Beginn eines raschen Aufstiegs. Im Mai 2015 setzten die Zürcher Sozialdemokraten die Kantonsrätin Mattea Meyer (33) überraschend auf den vierten Listenplatz für die Nationalratswahlen – noch vor den beiden amtierenden Nationalräten Martin Naef (50) und Chantal Galladé (48).
Mattea Meyer, damals 27 Jahre alt, galt fortan als «neues Supertalent» der Linken und wurde dank des guten Listenplatzes prompt ins Parlament gewählt. Heute führt sie als Co-Präsidentin die SP Schweiz.
Kompetitive Auswahl
Meyer profitierte vom wettbewerbsorientierten Auswahlverfahren der Zürcher SP. Während die Basis der SVP, der FDP oder der Mitte vor den Wahlen in der Regel eine von der Parteileitung vorgeschlagene Liste abnickt, gleichen die Nominationsversammlungen der Genossen einem sportlichen Wettkampf.
Die 17 aussichtsreichsten Kandidatinnen und Kandidaten halten jeweils vor vollem Saal eine kurze Rede. Dann legen alle SP-Delegierten ihre persönliche Rangliste der Plätze eins bis 17 fest. Wer, wie Mattea Meyer, gut vernetzt ist, sich in der Partei einbringt und mit Vorteil am linken Rand politisiert, hat gute Chancen, einen der vorderen Listenplätze zu ergattern. Und das ist zentral, wenn man gewählt werden will.
Die Angst vor der Abwahl
Wer die Basis hingegen nicht zu überzeugen vermag, landet hinten. Das stresse vor allem amtierende Nationalräte, erzählen mehrere aktive SP-Mitglieder. Manche von ihnen hätten bereits jetzt Angst, auf der Liste nach hinten gereicht und deshalb bei den Wahlen 2023 abgewählt zu werden.
Die Zürcher Freisinnigen bereiten sich ebenfalls bereits auf die Wahlen 2023 vor. Im Herbst entschied sich die Parteibasis knapp dagegen, die Listenplätze künftig demokratischer zu verteilen. Konkret lag eine Idee vor, die sich am Modell der liberalen «Neos» in Österreich orientierte. Dort bestimmen die Mitglieder in einer Wahl die Listenplätze der Kandidatinnen und Kandidaten.
Hans-Jakob Boesch, Präsident der FDP Kanton Zürich, sagt: «Das Ziel des neuen Modells wäre es gemäss den Initianten gewesen, die Parteibasis stärker miteinzubeziehen und den internen Wahlkampf zu fördern.» Nach dem Nein der Delegierten, bleibt nun alles beim Alten. Die Findungskommission wird im Hinblick auf die Wahlen eine Liste zusammenstellen, die nach der Prüfung durch den Parteivorstand von den Delegierten nur noch als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden kann. (til)
Die Zürcher Freisinnigen bereiten sich ebenfalls bereits auf die Wahlen 2023 vor. Im Herbst entschied sich die Parteibasis knapp dagegen, die Listenplätze künftig demokratischer zu verteilen. Konkret lag eine Idee vor, die sich am Modell der liberalen «Neos» in Österreich orientierte. Dort bestimmen die Mitglieder in einer Wahl die Listenplätze der Kandidatinnen und Kandidaten.
Hans-Jakob Boesch, Präsident der FDP Kanton Zürich, sagt: «Das Ziel des neuen Modells wäre es gemäss den Initianten gewesen, die Parteibasis stärker miteinzubeziehen und den internen Wahlkampf zu fördern.» Nach dem Nein der Delegierten, bleibt nun alles beim Alten. Die Findungskommission wird im Hinblick auf die Wahlen eine Liste zusammenstellen, die nach der Prüfung durch den Parteivorstand von den Delegierten nur noch als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden kann. (til)
Ein aktives Mitglied sagt: «Das offene Verfahren führt zu einem Fight zwischen den Bisherigen. Sie müssen viel telefonieren, weibeln, um möglichst viele Unterstützer hinter sich zu scharen.» Im Hinterkopf immer die Angst vor einer Abwahl.
Sicherer Block für Bisherige
Doch diese könnte bald verfliegen. Denn die Parteispitze eilt den amtierenden Parlamentariern nun zu Hilfe. Sie schlägt vor, dass die Nationalrätinnen und Nationalräte künftig in einem separaten Block an der Spitze der Liste nominiert werden.
Das würde bedeuten, dass die SP-Delegierten die sieben Bisherigen Jacqueline Badran (59), Angelo Barrile (45), Min Li Marti (47), Mattea Meyer (33), Fabian Molina (31), Priska Seiler Graf (53) und Céline Widmer (43) vor den nächsten Wahlen auf die Listenplätze eins bis sieben verteilen müssten. Vor interner Konkurrenz wären sie dadurch deutlich besser geschützt.
Angst vor «Zweiklassen-SP»
In anderen Kantonalparteien, auch innerhalb der SP, ist längst üblich, dass die besten Listenplätze für die Bisherigen reserviert sind. Doch bei den Zürcher Genossen, die so leidenschaftlich streiten wie kaum jemand, stösst der Plan auf Kritik.
Auch Parlamentarier müssten sich dem demokratischen Wettbewerb stellen, heisst es. Es gebe keinen Grund, sie zu bevorzugen und ein «radikal demokratisches System» zu ändern. Manche schimpfen hinter vorgehaltener Hand gar über eine drohende «Zweiklassen-SP», in der die Parlamentarier aus Bundesbern verhätschelt würden.
Juso für Basisdemokratie
Die Parteileitung hat den internen Widerstand unterschätzt. Eigentlich wollte sie das neue System bereits bei der letzten Versammlung im Oktober von den Delegierten verabschieden lassen. Doch der Diskussionsbedarf erwies sich als derart gross, dass das Geschäft auf die nächste Delegiertenversammlung verschoben wurde.
Juso-Co-Präsidentin Lilli Wiesmann (22), die sich für die Verschiebung starkgemacht hatte, ist froh, dass nun eine breite Diskussion möglich ist. Das neue System lehnt aber auch sie ab: «Wir Jusos wollen ein möglichst basisdemokratisches Verfahren. Alle Kandidierenden sollen sich vor der Basis rechtfertigen müssen – auch Bisherige.»
Seiler Graf verteidigt Nationalratsgspänli
Priska Seiler Graf (53), Nationalrätin und Co-Präsidentin der Partei, sagt, sie könne verstehen, dass die Delegierten am liebsten gar keine Kompetenz abgeben möchten. Trotzdem habe sie Verständnis für ihre Nationalratsgspänli. «Ein Nationalratsamt prägt das Leben stark. Wenn man als Nationalrätin oder Nationalrat keinen Spitzenplatz erhält, entsteht das Gefühl, die eigene Arbeit werde nicht wertgeschätzt.»
Den Vorwurf einer «Zweiklassen-SP» will Seiler Graf, die bei der Entwicklung des Vorschlags in den Ausstand getreten war, nicht stehen lassen. «Dieser Vorwurf ist unhaltbar», sagt sie. Die Delegierten hätten nach wie vor das letzte Wort. So könnten sie zum einen die Reihenfolge der bisherigen Parlamentarier an der Spitze festlegen. Zum anderen bliebe ihnen die Möglichkeit, per Antrag eine vielversprechende Kandidatur zwischen den Bisherigen zu platzieren. Das sei transparenter als im bisherigen System.
Offener Ausgang
Die SP-Delegierten werden am 13. Januar 2022 entscheiden, ob sich die Parlamentarier zurücklehnen können oder ob parteiintern ein harter Wettkampf auf sie wartet. Der Ausgang ist offen. Die Debatte im Zürcher Volkshaus dürfte einmal mehr entscheidend sein.