Die Ergebnisse der Umfrage der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schweiz rütteln auf. Und der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung ist kein Zufall. Heute diskutiert der Bundesrat über die Änderung des Sexualstrafrechts, bei der es unter anderem um eine Neudefinition der Vergewaltigung geht.
Erwartet wird, dass sich auch Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) für die «Nein heisst Nein»-Lösung ausspricht. Diese besagt, dass Sex gegen den Willen einer Person künftig als Vergewaltigung gilt. Und nicht mehr wie heute die Anwendung oder Androhung von Gewalt Voraussetzung ist.
«Es gibt noch viel zu tun»
Linken Kreisen reicht das nicht. Sie fordern die Einführung des «Ja heisst Ja»-Prinzips. Nach diesem soll eine Vergewaltigung nicht bloss das Eindringen in einen anderen Körper sein, das gegen den Willen dieser Person stattfindet. Sondern als Vergewaltigung soll bereits gelten, wenn das Eindringen ohne Einwilligung vollzogen wird. Die Zustimmung kann mit Worten erfolgen oder durch ein Verhalten, das eindeutig als Ja zu verstehen ist.
Für dieses Zustimmungsprinzip kämpft SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (32). Die Ergebnisse der Umfrage bestärken sie darin. «Sie zeigen: Es gibt noch viel zu tun», sagt Funiciello. «Unter Männern ist nach wie vor die Haltung verbreitet, dass sie ein Recht auf Sex haben. Sie werden dazu erzogen. Genau das muss man ändern.»
Die Bernerin findet: «Es braucht eine Emanzipation der Männer! Sie müssen sich endlich mit dem Männerbild auseinandersetzen, das ihnen vorgelebt wird.» Ein wichtiges Puzzleteil sei die Einführung der «Ja heisst Ja»-Lösung.
Unterschied sei gar nicht so gross
Dieser Meinung ist auch Helena Trachsel (63), die Leiterin der Gleichstellungs-Fachstelle im Kanton Zürich. «Es gibt nur etwas, das Klarheit schafft: Nur Ja heisst Ja. Das zeigen die Alltagserfahrungen und unsere Beratungen», sagte sie auf Blick TV. Man berate «unglaublich viele» Betroffene, die versucht hätten, sich zu wehren, und sich Vorwürfe machen würden, das nicht stärker getan zu haben.
Der Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea Caroni (41) hingegen ist skeptisch. Er spricht sich gegen die Zustimmungslösung aus. Vor allem aber findet er, dass die Diskussion um Ja- oder Neinsagen nicht die entscheidende sei. «Der wichtige Punkt ist, dass das Sexualstrafrecht verschärft wird. Erstens bestrafen wir neu sexuelle Übergriffe härter, zweitens weiten wir den Vergewaltigungsbegriff aus, sodass nicht mehr zwingend eine Nötigung vorliegen muss», sagt er. Und er gibt zu bedenken: «‹Ja heisst Ja› und ‹Nein heisst Nein› sind rechtlich bereits sehr nahe beieinander und auch ähnlich schwierig zu beweisen.»
Im Juni fällt der erste Entscheid
Der Ständerat wird im Juni entscheiden, anschliessend ist der Nationalrat am Zug. Die Rechtskommission des Ständerats hat sich nach einer Vernehmlassung entschieden, die «Nein heisst Nein»-Lösung vorzuschlagen. Die weitergehende Zustimmungslösung wurde mit 9 zu 4 Stimmen klar abgelehnt.
«Der Ständerat politisiert völlig am Volk vorbei», wirft Gleichstellungs-Expertin Trachsel dem Rat vor. Doch die Befürworter der «Ja heisst Ja»-Lösung geben nicht auf. Vor der Debatte im Stöckli wollen sie eine Kampagne lancieren, kündigt SP-Nationalrätin Funiciello an. Denn: «‹Nein heisst Nein› reicht nicht!»