Wann ist Sex einvernehmlich und wann eine Vergewaltigung? Diese Frage beschäftigt die politische Schweiz seit vielen Monaten. Seitdem nämlich die Rechtskommission über einer Reform des Sexualstrafrechts brütet.
Grösster Streitpunkt: Die Frage, ob nur Ja wirklich Ja heisst – also ob alle Sexpartner ausdrücklich zustimmen müssen, damit der Sex als einvernehmlich gilt – und alles andere als Vergewaltigung. Insbesondere Frauen- und Opferverbände hatten gefordert, diese «Nur Ja heisst Ja»-Regelung einzuführen, wie das schon andere Staaten gemacht haben. In der Schweiz ist eine Vergewaltigung heute nur dann eine Vergewaltigung, wenn das Opfer mit physischer oder psychischer Gewalt zum Sex genötigt wird.
45 Prozent fordern «Nur Ja heisst Ja»
Die Ständerätinnen und Ständeräte der Rechtskommission wollen so weit nicht gehen. Ihr Vorschlag: Ein Partner soll Nein sagen, damit ein Sexualdelikt als solches anerkannt wird. Auf Volkslinie sind sie damit nicht, wie eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts GfS Bern im Auftrag von Amnesty International Schweiz nun zeigt.
Danach spricht sich eine relative Mehrheit von 45 Prozent der Befragten für die «Nur Ja heisst Ja»-Regelung aus. «Nur Nein heisst Nein», wie die Rechtspolitiker wollen, finden nur 27 Prozent gut.
Noch immer überholte Vorstellungen
Und doch zeigt sich in der Studie, dass bei einem Teil der Bevölkerung noch immer überholte Vorstellungen zum Thema Sex und Gewalt vorherrschen. Und zwar insbesondere bei Männern.
Auf die Frage «Welches Verhalten interpretieren Sie als Einwilligung des Gegenübers zum Geschlechtsverkehr?» stimmten Männer und Frauen folgenden Aussagen wie folgt zu:
- «Wenn die Person bereits zuvor zu einer anderen sexuellen Handlung eingewilligt hat»: 50 Prozent der Männer (Frauen 27 Prozent)
- «Wenn die Person aufreizend gekleidet ist und mit mir geflirtet hat»: 37 Prozent der Männer (Frauen 21 Prozent)
- «Wenn die Person nachgibt, nachdem ich sie überredet habe»: 34 Prozent der Männer (Frauen 12 Prozent)
- «Wenn sich die Person nicht aktiv gegen meine Handlungen wehrt»: 27 Prozent der Männer (Frauen 21 Prozent)
- «Wenn die Person früher einmal zugestimmt hat»: 26 Prozent der Männer (Frauen 13 Prozent)
- «Wenn die Person schläft und sonst immer zustimmt»: 15 Prozent der Männer (Frauen 4 Prozent)
Im Klartext: Wenn ein Sexpartner früher einmal einverstanden war, findet jeder vierte Mann, gilt das für immer. Und wenn seine Partnerin, sein Partner schläft und nicht Nein sagen kann, hat immer noch jeder sechste Mann das Gefühl, Sex sei einvernehmlich. Frauen, so zeigt die Umfrage, sehen das deutlich anders.
32 Prozent der Männer geben Pornos als Informationsquelle an
«Lange wurde gesellschaftlich toleriert, dass sich Männer sexuell holen, was sie wollen», sagt Markus Theunert vom Verein Männer.ch dazu. «Das wirkt bis heute nach.» Wohl ebenso wie die Quelle, von der Männer und Frauen ihr Wissen über Sex haben. Zwar herrscht bei allen Befragten das eigene Erleben, die eigenen Erfahrungen vor. Dennoch gibt jeder dritte Mann Pornos als Informationsquelle über Sex an, bei den Frauen sind es nur 12 Prozent.
Vielleicht lässt sich so erklären, dass 17 Prozent aller Befragten angeben, dass Frauen oft Ja meinen, obwohl sie Nein sagen und dass Frauen wollen, dass man hartnäckig ist und ihnen zeigt, wo es langgeht (12 Prozent Zustimmung). Denn in Pornos wird das häufig so dargestellt.
Je jünger, desto sensibilisierter
Worauf Theunert aber auch hinweist: Es gibt einen Wertewandel. Je jünger die Befragten, umso wichtiger finden sie, dass allen Beteiligten im Bett oder wo auch immer sie Sex haben, wohl sein muss. «Das wird auch für immer mehr Männer immer mehr zur Selbstverständlichkeit», so Theunert.
Dass es sich bei der Umfrage nicht um ein theoretisches Problem handelt, zeigte bereits eine GfS-Erhebung vor drei Jahren: Damals gab jede fünfte Frau ab 16 Jahren an, bereits ungewollte sexuelle Handlungen erlebt zu haben, und mehr als jede zehnte Frau erlitt Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen.
Über Sex reden, finden viele schwierig
Was ebenfalls auffällt: Vielen fällt es schwer, über Sex und sexuelle Bedürfnisse zu sprechen. 54 Prozent geben an, dass sie Mühe haben, über sexuelle Vorlieben, Bedürfnisse und Grenzen zu sprechen und 34 Prozent finden es schwierig einzuschätzen, was das Gegenüber will.
«Diese Zahlen zeigen Handlungsbedarf in der Aufklärungs- und Präventionsarbeit, aber auch auf Gesetzesebene», sagte Cyrielle Huguenot, Frauenrechtsverantwortliche bei Amnesty Schweiz. Für eine wirksame Präventionsarbeit wäre es daher schädlich, wenn das Gesetz signalisieren würde, dass in Sachen Sexualität alles erlaubt sei, bis ein «Nein» oder ein «Stopp» kommuniziert werde.
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«Wir rufen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf, ihre Verantwortung im Kampf gegen sexualisierte Gewalt wahrzunehmen», sagt Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz. Ein neues Sexualstrafrecht sollte sich an den Realitäten und Bedürfnissen der Menschen orientieren, die am stärksten von sexualisierter Gewalt betroffen sind und jetzt eine Verbesserung benötigen. «Die Schweiz wartet auf ein Konsens-basiertes Sexualstrafrecht.» (sf)