Es könnte jede treffen. Wohl auch deshalb ist die Empörung vieler Frauen nach dem Vergewaltigungsurteil eines Basler Gerichts gross. Die Richter hatten die Strafe für einen Vergewaltiger herabgesetzt und das unter anderem damit begründet, dass die Frau falsche Signale an Männer ausgesendet habe.
Morgen Sonntag wollen zahlreiche Frauen vor dem Gericht in Basel protestieren. Eine Bewilligung haben die Organisatorinnen bei der Polizei nicht eingeholt. Dennoch rufen auch die SP-Frauen um Co-Präsidentin Tamara Funiciello (31) zur Teilnahme auf. «Die Begründung des Gerichts ist derart haarsträubend, dass wir die Demonstration unterstützen», sagt sie.
Vergewaltigung im Hauseingang
Was war passiert? Im Februar 2020 begleiten zwei Männer eine 33-jährige Frau aus Basel nach dem Ausgang nach Hause. Als die Frau die Haustür aufschliesst, drängen die Männer sie in den Hauseingang und vergewaltigen sie. Nach der Tat fliehen die beiden Portugiesen – der eine ist zum Tatzeitpunkt minderjährig – nach Portugal. Die Frau informiert nach dem Übergriff umgehend die Polizei.
Der erwachsene Täter wird vom Basler Strafgericht später zu vier Jahren Haft verurteilt. Weil er dagegen Berufung einlegte, befasste sich jüngst das Basler Appellationsgericht mit dem Fall. Dieses stellte die Vergewaltigung zwar nicht in Frage, reduzierte das Strafmass aber deutlich von vier auf drei Jahre.
Das Gericht um Präsidentin Liselotte Henz (FDP) argumentierte damit, dass das Vergehen des Täters durch die Signale relativiert werde, «die das Opfer auf Männer aussendet». Laut der «BZ Basel» bezieht sich das Gericht bei dieser Aussage vor allem auf das Verhalten der Frau im Club, die dort in der Nacht des Übergriffs mit einem anderen Mann auf einer Toilette Sex gehabt haben soll. Das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor.
Funiciello ist schockiert
Die mündliche Begründung der Richter schockiert SP-Nationalrätin Tamara Funiciello: «Diese – und generell jede Frau – hat das Recht, Sex zu haben mit wem sie will. Und jede Frau hat das Recht, keinen Sex zu haben, wenn sie das nicht will.»
Das Gericht begründet die Strafmilderung für den Täter zudem damit, dass die Vergewaltigung relativ kurz gedauert und die Frau keine bleibenden körperlichen Verletzungen erlitten habe. «Auch das ist absurd», sagt Funiciello. «Bei einem Einbrecher mildert man ja auch nicht die Strafe, nur weil er das Haus besonders schnell durchsucht hat.»
Ehemalige Richterin verteidigt Urteil
Verständnis für das Urteil der Basler Richter zeigt hingegen die ehemalige Luzerner Kantonsrichterin Marianne Heer (65). Bei der Bemessung der Strafe spielten verschiedenste Faktoren eine Rolle, sagte sie gegenüber der SRF-«Tagesschau». So existiere beispielsweise der Strafmilderungsgrund, dass das Opfer den Täter ernsthaft in Versuchung geführt habe.
Ernsthaft in Versuchung geführt, weil sie mit einem anderen Mann geschlafen hat? Diese Argumentation sei unhaltbar, finden Opferberatungsstellen und Frauenverbände. Der «Feministische Streik Basel» fordert sogar den Rücktritt von Gerichtspräsidentin Liselotte Henz.
Sexualstrafrecht wird revidiert
Für SP-Frauenpräsidentin Funiciello hat diese Forderung nicht Priorität. Sie setzt vielmehr auf die laufende Revision des Sexualstrafrechts, mit der sich die Rechtskommission des Ständerats nächste Woche erneut befasst. «Wir müssen das Sexualstrafrecht dahingehend anpassen, dass solche Urteile nicht mehr möglich sind», sagt Funiciello.
Im Fokus der Revision steht die Frage, was als Vergewaltigung gelten soll. Heute muss ein Täter sein Opfer mit Gewalt oder Drohungen zum Geschlechtsverkehr nötigen, damit von einer Vergewaltigung gesprochen wird. Wer ein Nein übergeht, dem droht lediglich eine Verurteilung wegen sexueller Belästigung.
Tamara Funiciello und ihre Mitstreiterinnen wollen das ändern. Sie setzen sich dafür ein, dass die Schweiz das sogenannte schwedische Zustimmungsmodell übernimmt. Dieses folgt dem Motto «Nur Ja heisst Ja». Konkret müssen alle beteiligten Personen dem Sex zustimmen. Jede sexuelle Handlung ohne Zustimmung gilt als Vergewaltigung.