Das Urteil zum Vergewaltigungsprozess in Basel warf hohe Wellen. Der Täter João P.* (32) wurde zuerst vor dem Basler Strafgericht zu vier Jahren und drei Monaten Knast verurteilt. Das Appellationsgericht reduzierte die Strafe auf drei Jahre.
Einige Sätze aus der Urteilsbegründung sorgten landesweit für Schlagzeilen: Das Opfer (33) habe unter anderem auf die Männer «Signale ausgesendet», weil sie zuvor mit einem anderen Mann auf der Club-Toilette verschwand. Das würde das Vergehen «relativieren». «Man muss feststellen, dass sie mit dem Feuer spielt», zitiert die «BZ Basel» die Gerichtspräsidentin Liselotte Henz.
Die Begründung stiess beim Opfer auf Unverständnis. Die Frau wandte sich mit einer Nachricht an Opferberaterin Agota Lavoyer, die wiederum die Zeilen in den sozialen Medien veröffentlichte. «Ich habe mich nach dem Urteil gefragt, ob ich jetzt wirklich mitschuldig an der Vergewaltigung bin», lauteten die Worte des Opfers. Sie sei richtig enttäuscht über das Urteil – «hoffe aber trotzdem, dass sich andere Frauen, denen auch so etwas zugestossen ist, sich getrauen, eine Anzeige zu machen!»
Es ging darum, das «Verschulden zu bemessen»
Nun meldet sich das Appellationsgericht Basel-Stadt selber zu Wort, da in der Öffentlichkeit «Missverständnisse» entstanden seien. In einer Mitteilung hält es zunächst fest, dass nicht Liselotte Henz allein die Strafe reduziert hatte: «Das Urteil wurde von einem Dreiergericht und nicht von der (...) Appellationsgerichtspräsidentin allein gefällt.»
Bei der Strafe würden stets «die Schwere der Verletzung, die Verwerflichkeit des Handelns, die Beweggründe und Ziele des Täters» berücksichtigt. Auch stehen die «Auswirkungen der Strafe» auf das Leben des Täters im Diskussionsraum.
Der zentrale Punkt der Empörung – also welche «Signale» das Opfer ausgesandt haben soll – begründet das Gericht in der Medienmitteilung so: Wenn geprüft werde, «wie der Beschuldigte die Situation interpretiert hat», gehe es darum, das Verschulden zu bemessen und nicht darum «das Opfer zu disqualifizieren», heisst es in der Medienmitteilung.
Strafrechts-Fachanwalt ordnet für Blick ein
Strafrechts-Fachanwalt André Kuhn (47) ordnet für Blick die Medienmitteilung des Gerichts ein und erklärt: «Wenn das Gericht eine Strafe festlegt, muss es eine Gesamtbeurteilung der verschiedenen Strafzumessungskriterien vornehmen. Massgebend für die Strafe ist immer das Verschulden des Täters.»
Das Gericht versuche immer, sich zu überlegen, wie es zu einer Tat gekommen ist, sagt der Aargauer. «Wie brutal das Delikt ausgeführt wurde, aus welchem Anlass das Delikt ausgeführt wurde und welche Auswirkungen es auf das Opfer hatte. Und es beurteilt, ob der Täter nach der Tat einsichtig und reuig ist.»
Relevant seien für das Gericht sowohl die Tat wie auch der Täter, erklärt Kuhn. «Auf Seite der Tat werden die objektiven und subjektiven Komponenten gewürdigt.» Eine objektive Komponente sei zum Beispiel die Auswirkungen der Tat auf das Opfer, subjektive Komponenten etwa die Beweggründe des Täters. «Auf Seite des Täters werden dessen Vorleben, also z.B. ob er Wiederholungstäter ist, seine persönlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat und im Verfahren beleuchtet.»
Der Strafverteidiger sagt, dass die Dauer und die Brutalität der Vergewaltigung sich in der Bemessung der Strafe niederschlagen. «Das Gericht muss eine Gesamtbeurteilung aller Kriterien vornehmen. Es gibt keine mathematische Formel zur Bestimmung einer Strafe. Und so wie nicht jeder Dieb die gleiche Strafe erhält, wird auch bei Vergewaltigungen jeweils nicht die gleiche Strafe ausgesprochen».
«In Gedankenwelt des Täters hineinversetzen»
Das Verhalten des Opfers habe bei Sexualdelikten keinen ausschlaggebenden Einfluss auf die Höhe der Strafe. Und: «Kein Verhalten eines Opfers stellt eine Rechtfertigung dar für eine strafbare Handlung, und das Opfer ist jeweils nicht mitschuldig an der Tat.»
Der Aargauer erklärt: «Wenn das Gericht die angemessene Strafe für den Täter bestimmt, muss es sich gewissermassen in die Gedankenwelt des Täters vor und während der Tat hineinversetzen und dabei auch die Auswirkungen auf das Opfer berücksichtigen.» Das Appellationsgericht Basel habe nicht einfach von sich aus mitberücksichtigt, wie der Täter die Situation interpretiert hat. «Dies hat der Gesetzgeber den Gerichten so vorgeschrieben.»
Vergewaltigung dauert elf Minuten lang
In wenigen Tagen kommt der Täter frei. Dies ist damit zu begründen, weil er seit 18 Monaten in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft sitzt. Diese ist an eine unbedingte Freiheitsstrafe anzurechnen.
Die Vergewaltigung spielte sich im Februar 2020 ab. João P.* und ein weiterer, damals 17-jähriger Portugiese begleiten die Frau am frühen Morgen auf dem Heimweg vom Ausgang. Unmittelbar vor dem Zuhause der Frau passiert es dann: Die beiden Begleiter werden übergriffig, vergehen sich im Windschutz des Hauseingangs an ihrem Opfer. Elf Minuten lang, wie die Anklageschrift später enthüllen sollte. Die Täter tauchen zuerst unter. Letzten Sommer folgt dann das Verdikt für João P.* – das Strafgericht verurteilt ihn wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung.
Diese Strafe wurde vom Appellationsgericht bestätigt – es reduzierte seine Strafe jedoch auf 3 Jahre. Das Gericht hält nun fest: Bei Freiheitsstrafen über 2 bis zu 3 Jahren sei zwingend der teilbedingte Vollzug zu gewähren, sofern nicht aufgrund einschlägiger Vorstrafen oder sonstiger konkreter Umstände eine schlechte Rückfallprognose gestellt werden muss.
Es schreibt: «Der unbedingte Anteil darf von Gesetzes wegen nicht länger sein als der bedingte (auf Bewährung) verhängte Anteil. Der im konkreten Fall ausgefällte unbedingte Strafanteil von 18 Monaten entspricht somit dem gesetzlich möglichen Maximum.»
Der Landesverweis ist von acht auf sechs Jahre verkürzt worden und der Genugtuungsbetrag an das Opfer wurde um 3000 Franken reduziert. Weil der zweite mutmassliche Täter beim Vorfall noch minderjährig war, muss dieser sich demnächst vor dem Jugendgericht verantworten.
Die Staatsanwaltschaft und das Opfer wollen das schriftliche Urteil abwarten und dann entscheiden, ob sie den Fall vors Bundesgericht weiterziehen möchten.