Eine Vergewaltigerin? Das gibt es nicht nach Schweizer Recht. Nur Männer können verurteilt werden, wenn sie eine Frau zu Sex zwingen. So steht es in Artikel 190 des Strafgesetzbuches. Der umgekehrte Fall, ebenso wie die Vergewaltigung von jemandem desselben Geschlechts, ist im Gesetz nicht vorgesehen.
Nun soll sich das ändern. Morgen diskutiert die Rechtskommission des Ständerats über eine Revision des Strafrechts. Es geht um viel. Nebst einer geschlechtsneutralen Definition von Vergewaltigung sollen künftig zum Beispiel auch Anal- und Oralverkehr unter den Straftatbestand fallen. Zudem schlägt der Bundesrat vor, die Mindeststrafe anzuheben. Vergewaltiger – und neu auch Vergewaltigerinnen – sollen nicht mehr nur mindestens ein, sondern zwei Jahre hinter Gitter. Dieser Punkt ist allerdings umstritten.
Sex nur mit Zustimmung
Aus Sicht von Rechtsexperten ist die Gleichbehandlung längst überfällig. Aber sie geht vielen nicht weit genug. Denn etwas soll gleich bleiben: Eine Vergewaltigung ist nur eine Vergewaltigung, wenn das Opfer mit physischer oder psychischer Gewalt zum Sex genötigt wird. Nein sagen reicht nicht. Und nicht Ja sagen schon gar nicht.
22 Strafrechtsprofessoren forderten vergangenen Sommer in einem offenen Brief Justizministerin Karin Keller-Sutter (56) auf, das Zustimmungsprinzip rechtlich zu verankern. Die Schweizer Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International startete ausserdem eine Petition, die 37'000 Einzelpersonen unterschrieben haben und inzwischen über 40 weitere Organisationen unterstützen. Sie wollen, dass jeder Sex ohne Einwilligung rechtlich als Vergewaltigung gilt. Die Zustimmung kann dabei entweder mit Worten erfolgen oder durch Verhalten, das eindeutig als Ja zu verstehen ist. Der eingängige Slogan der Kampagne, die Amnesty parallel dazu lanciert hat: «Erst Ja, dann ahh».
Vorbild Schweden
Vorbild für die Befürworter ist Schweden. Wie jetzt in der Schweiz waren es auch im nordischen Königreich Juristen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die zuvorderst für die Änderung kämpften. «Die Reform wurde heftig diskutiert – davor, aber auch danach», sagt Katarina Bergehed (53), Frauenrechts-Spezialistin von Amnesty Schweden, zu BLICK.
Inzwischen gebe es aber kaum noch kritische Stimmen – im Gegenteil. «Alle Staatsanwälte, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass sie zu Beginn skeptisch gewesen seien. Aber jetzt, wo sie mit dem neuen Gesetz arbeiten, sähen sie eindeutig die Vorteile», erzählt Bergehed. Es seien schon mehrere Fälle vor Gericht gekommen, die «unter keinen Umständen» unter der alten Gesetzgebung als Vergewaltigung gewertet worden wären.
So kam ein Mann in Schweden vor Gericht, der an seinem Polterabend eine Frau mit aufs Hotelzimmer genommen hatte. Der Heiratswillige hatte ihr mehrfach Avancen gemacht, doch sie brachte klar zum Ausdruck, dass sie nicht interessiert sei. Später hat er gegen ihren Willen trotzdem mit der Frau geschlafen – ohne dabei Gewalt anzuwenden. «Mit dem alten Gesetz wäre das vielleicht sexueller Missbrauch gewesen, sicher aber keine Vergewaltigung», so Menschenrechtsexpertin Bergehed. Nun wurde er wegen Vergewaltigung verurteilt.
Nicht nur mehr, sondern auch härtere Strafen
Wie stark die Zahl der Anzeigen und Verurteilungen aber tatsächlich steigt, lässt sich laut Bergehed noch nicht verlässlich sagen. Die schwedische Regierung habe eine Studie in Auftrag gegeben, die dieser Frage nachgehen soll. Die Ergebnisse sollen im Sommer vorliegen.
Das schwedische öffentlich-rechtliche Radio hat aber das Zwischenfazit gezogen, dass das neue Gesetz nicht nur zu mehr Verurteilungen, sondern auch zu härteren Strafen führe. 60 Urteile wegen Vergewaltigung sind im ersten Jahr nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes gefällt worden. Bei gut jedem zehnten sei das neue Gesetz entscheidend gewesen. In mindestens jedem sechsten Fall habe es zudem zu längeren Gefängnisstrafen geführt.
Noch nicht viel geändert hat sich jedoch in den Köpfen der Schwedinnen und Schweden. Bergehed zitiert eine Umfrage, laut der junge Frauen und Männer das neue Gesetz zwar kennen. Sie glauben aber nicht, dass es Einfluss hat auf ihr Verhalten. Für die Menschenrechtsexpertin ist darum klar: Auch in Schweden gibt es noch viel zu tun.