In der TV-Elefantenrunde versucht Armin Laschet am Sonntagabend nach der Wahl alles zu sein, nur kein guter Verlierer. Er hat die Union als Kanzlerkandidat in eine historische Niederlage geführt. Seine Partei verlor fast neun Prozent. Noch schlimmer: Sie landete hinter der SPD.
Angela Merkels Erbe ist verzockt. Die stolze und mächtige CDU/CSU, der früher nichts gefährlich werden konnte – nicht einmal geheime Schwarzgeldkonten in der Schweiz – bricht auseinander. Volkspartei ... sogar dieser scheinbar ewige Status geht vielleicht bald verloren.
Der Kaiser ist nackt.
Den Anspruch gibts noch
Aber er ist noch da. Und statt zurückzutreten, erhebt er noch immer Anspruch auf den Thron. Das tönte am Sonntagabend im Fernsehen so: «Wir haben doch nicht mal alle Ergebnisse.» Oder, auch nicht gerade hoch souverän: «Lassen wir uns doch mal ans Gelingen denken und nicht ans Nichtgelingen.»
Vom fröhlichen Gemüt des Rheinländers ist allerdings nicht mehr viel geblieben. An guten Tagen war Laschet eine Ähnlichkeit mit der «Asterix»-Figur Feistus Raclettus, dem ewig angeheiterten römischen Statthalter in Helvetien, nicht abzusprechen. Nun ist das Lächeln weg: Der Mann wird gerade gedemütigt. Von Freund, Feind und Parteifreund, wie der CDU-Übervater Konrad Adenauer (1876–1967) gesagt hätte.
Anfang Woche wandte sich auch Wolfgang Schäuble von Laschet ab. Der mächtige CDU-Strippenzieher, Merkels Schattenmann, aktueller Bundestagspräsident und einstiger Laschet-Förderer gestand dem «Spiegel», er habe sich am Wahlsonntag «im falschen Film» gefühlt. Schäuble meinte den Moment, als der Wahlverlierer allen Ernstes behauptete, die Wähler hätten ihm den Auftrag erteilt zu regieren.
In der CDU wird jetzt gnadenlos abgerechnet. Allianzen, Bündnisse, Freundschaften sind passé, es gilt: jeder gegen jeden. Als «Erdbeben» beschreibt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer die Lage.
Auch andere Fachleute kommen nun zu Wort. Journalistenfrage von Redaktionsnetzwerk Deutschland: «Leidet Armin Laschet unter Realitätsverlust?» Antwort eines Psychologen: «Sein Verhalten ist absolut rational. Wenn er Zeit hätte, würden die Selbstzweifel kommen. Er hat aber keine Zeit.»
Aber was auch immer kolportiert wird: Niemand jagt den Gescheiterten vom Hof. Noch nicht. Seinen parteiinternen Gegenspielern sind die Hände gebunden, denn Laschet hat noch einen Trumpf im Ärmel. Und der heisst «Jamaika».
Was damit zu tun hat, dass in Berlin künftig drei statt zwei Parteien regieren. Entweder Rot-Gelb-Grün in einer «Ampelkoalition», also Sozialdemokraten, Liberale und Grüne. Oder das Bündnis kommt im Jamaika-Look daher: im Schwarz der Union, dem Gelb der FDP und eben in Grün.
So oder so, glücklich ist mit solchen Farbfantasien niemand. Alle fremdeln. Und so lange darf Laschet hoffen. So lange befindet sich die CDU in seiner Geiselhaft.
Der Königsmörder
Die Parteibasis träumte schon länger von Markus Söder als Heilsbringer, dem bayerischen Ministerpräsidenten und Chef der CSU. Nun darf sie hoffen. Am Wahlabend sass Söder mit den anderen Parteiführern in der Elefantenrunde, gleich neben Laschet. Söder, der sich wohl schon immer für den besseren Kanzler hielt, lobte Laschet wiederholt, aber immer irgendwie fies.
Auf die Kandidatenfrage angesprochen, sagte der Mann aus München gönnerhaft, das sei «Schnee von gestern». Er habe «grossen Respekt» vor Laschet – und lächelte maliziös in die Kameras.
Laschets Mimik wirkte arg verrutscht, als er in diesem Augenblick zu seinem Sitznachbarn schaute.
Tage später folgte dann doch noch die «Watschn» aus München. «Die besten Chancen, Kanzler zu werden, hat derzeit Olaf Scholz, eindeutig», verkündete Söder überraschend. Jeder müsse jetzt überlegen, welche Verantwortung er für das Wahlergebnis trage. Treffer! «Schmutzeln» nennt man solche Bemerkungen in Bayern: ein bisschen mit Dreck werfen.
Vielleicht erlebt Söder gerade die schönste Phase seiner Karriere. Er, der Mann, der wüsste, was das Land jetzt braucht. Oder besser: wen das Land jetzt braucht – nämlich ihn.
Kommt die «Ampel» doch nicht, müsste Laschet die Route nach Jamaika finden. Und wäre auf Gedeih und Verderb vom bayerischen Landesvater und dessen Getreuen im Kabinett abhängig. Zwar sagt Söder das nicht laut. Aber man kann es hören.
Die deutsche Bundestagswahl
Die Königsmacher
Ein Selfie vom Tag nach der Wahl sagt alles über die neuen Machtverhältnisse oben im grossen Kanton. Die Königsmacher sind darauf abgebildet: FDP-Generalsekretär Volker Wissing und Parteichef Christian Lindner zusammen mit den Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Die Kleinen sind die Bosse, ohne sie gibt es weder Ampel noch Jamaika. Souverän blicken sie denn auch bei ihrem ersten Vorgespräch zur Regierungsbildung drein. Ihre Botschaft: Wir küren den Kanzler.
«Wenn man eine Schraube schräg einsetzt, dann wird sie nie wieder gerade. Und diese Schraube ist jedenfalls in den ersten Tagen sehr gerade eingesetzt worden», sagte Robert Habeck am Freitag vor den Medien.
Nur: Welche Mutter passt nun zur Schraube, SPD oder CDU?
Er habe da eher an eine Spax-Schraube gedacht, wich Habeck den Journalistenfragen aus, die brauche keine Mutter.
Irgendwie sehr deutsch, nach Heimwerkerart über Macht und Politik zu reden. Aber die Nachricht kommt an: Grüne und FDP brauchen keine grossen Parteien, um ins Geschäft zu kommen.
Der stille Herrscher
Und der Wahlsieger? Tut einfach nichts. Olaf Scholz jubelt nicht mal dann, wenn schon die Glückwunschtelegramme eingehen. Er hat seine SPD aus der Senke an die Spitze geführt. Könnten die Deutschen ihren Kanzler direkt wählen, er käme nach einer Umfrage vom 28. bis 30. September auf 76, Laschet auf 13 Prozent.
Natürlich freut einen so was. Aber der SPD-Kandidat lächelt bestenfalls bescheiden und gibt seine zur Perfektion eingeübte hanseatische Nüchternheit zum Besten. Es war diese Woche erstaunlich still um Scholz. Obwohl er gewonnen hat, wurden die ersten Gespräche ohne ihn geführt.
Aus der Ferne schickte er seinen potenziellen Koalitionspartnern (denen auf dem Selfie) dann aber eine kleine, hoffnungsfrohe Botschaft. «Echte Zuneigung entsteht, wenn man sich ernsthaft aufeinander einlässt», so Scholz im «Spiegel».
An diesem stillen Herrscher kommt am deutschen Hof niemand vorbei.