Fast eine Woche nach den Bundestagswahlen in Deutschland steht immer noch kein Kanzler fest. Obwohl Olaf Scholz (63, SPD) die Mehrheit der Wähler auf seiner Seite hat, bemüht sich auch CDU-Kandidat Armin Laschet (60) um eine Regierungsbildung.
Es ist seine letzte Möglichkeit, aus einer verkorksten Wahl doch noch als Kanzler hervorzugehen: Seine Partei braucht eine sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und den Grünen, um weiterhin an der Macht bleiben zu können.
Nicht alle in der Partei haben Verständnis für Laschet, plädieren für eine Neuausrichtung innerhalb der Union. Doch warum will Laschet selber nicht zurücktreten? Und wie kann er sich an der Spitze der CDU halten? Wie der «Spiegel» berichtet, gibt es dafür verschiedene Gründe.
Euphorie nach vermeintlicher Aufholjagd
Am Wahlabend hatten die von der ARD veröffentlichten Zahlen zunächst den Eindruck erweckt, dass Laschet mit Scholz fast gleich aufliegt – ein Sieg schien plötzlich möglich. Seine Verbündeten sprachen von einer Wende. Nach einer derart beachtlichen Aufholjagd sah der Verlust dann auch nicht so schlimm aus.
Und Laschet selber kündigte an, auf den Fraktionssitz zu verzichten. Entweder werde er Kanzler oder gar nichts. Und dies schien in Laschets Augen kein Ding der Unmöglichkeit zu sein. «Wir als Union haben von unseren Wählerinnen und Wählern einen klaren Auftrag erhalten: Eine Stimme für die Union ist eine Stimme gegen eine linksgeführte Bundesregierung», sagte er am Sonntagabend. «Und deshalb werden wir alles daransetzen, eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden.» Eine Niederlage rückte für die CDU in weite Ferne. Ganz nach dem Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Söder hält sich zurück
Auch die Schwesterpartei CSU hält sich derzeit mit Rücktrittsforderungen zurück. Laschets Gegner um den Posten als Kanzlerkandidat, Markus Söder (54), stichelte zwar am Tag nach der Wahl: «Die besten Chancen, Kanzler zu werden, hat derzeit Olaf Scholz, eindeutig.» Jeder müsse jetzt überlegen, welche Verantwortung er für das Wahlergebnis trage, sagt Söder.
Dabei blieb es. Denn Söder will nicht zu hart gegen Laschet schiessen. Er denkt auch an die eigene Zukunft. Wie der «Spiegel» schreibt, wolle er der starke Mann der Union werden und dürfe es sich darum mit der CDU nicht verbauen.
Wahl zum Fraktionschef
Nicht zuletzt hat die Wahl zum Fraktionschef eine Rolle gespielt. Noch bevor Ralph Brinkhaus (53) bestimmt wurde, standen auch die Namen Norbert Röttgen (56) und Jens Spahn (41) zur Diskussion.
Laschet selber schlug zunächst vor, Brinkhaus nur vorübergehend im Amt zu lassen und auf eine Wahl erst mal zu verzichten. Dessen Kontrahenten, die den Platz ja selber gerne einnehmen wollten, sahen diese Ansage darum als Chance und stellten sich hinter den CDU-Chef.
FDP und Grüne entscheiden
Und so lange die Jamaika-Option nicht endgültig aus der Welt ist, will keiner vorpreschen. Das Selfie der Grünen-Chefs Annalena Baerbock (40) und Robert Habeck (52) zusammen mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner (42) und seinem Generalsekretär Volker Wissing (51) bestärkt diesen Eindruck. Das Quartett macht damit klar, dass es über die neue Regierung entscheidet. Eine Chance für Laschet besteht aus der Sicht der CDU also noch und für den Politiker demnach kein Grund, das Handtuch zu werfen.
Die FDP ist für so eine Lösung grundsätzlich offen. Umfragen haben gezeigt, dass eine Mehrheit ihrer Wähler eine Zusammenarbeit mit Laschet und der CDU bevorzugen würden. Für den kommenden Samstag habe man darum einen Gesprächstermin angeboten.
Beratung am Sonntag über Ampel-Regierung
Die Aufstellung für die Sondierungsgespräche wird immer klarer. Zunächst wollen Grüne und FDP an diesem Freitag bei einem erneuten Gespräch erste inhaltliche Fragen vertiefen, wie es aus der FDP hiess.
Am Sonntagnachmittag will die SPD mit der FDP über eine Ampel-Regierung beraten. Danach sind von 18.30 Uhr an Gespräche zwischen Union und FDP geplant. Am Abend sind Gespräche zwischen SPD und Grünen geplant. Und am Dienstagvormittag will die Union mit den Grünen die Chancen für ein Jamaika-Bündnis ausloten. Es bleibt also spannend im Macht-Poker rund um die neue Regierung in Deutschland. (man)
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