Er hatte beste Chancen zu scheitern. Doch Dennis Lück (44) gab noch nie viel darauf, die Erwartungen an ihn zu erfüllen. Der volltätowierte Werber schrieb im Herbst 2020 in seinem Haus in Wohlen AG ein Dokument, das der SPD zum Sieg bei der deutschen Bundestagswahl verhelfen sollte. Damals waren er und sein Geschäftspartner wohl die Einzigen, die an den Erfolg glaubten. Die Umfragewerte der Partei waren miserabel.
Dennis Lück, der in einer Heavy-Metal-Band Gitarre spielt, hatte in dieser Zeit gerade seinen Job gekündigt als Kreativchef bei Jung von Matt Limmat, einer der besten Werbeagenturen der Schweiz. Zusammen mit seinem langjährigen Freund Raphael Brinkert (44) war er daran, sich selbständig zu machen.
Noch bevor sie ihre Werbeagentur BrinkertLück mit Sitz in der Schweiz und Hamburg offiziell gründeten, überzeugten sie die SPD-Spitze von ihrem Konzept. Während des Agenturwettbewerbs erarbeiteten die beiden die Leitidee in Hamburg, danach schrieb Lück das Dokument mit dem Grundgerüst zu Hause im Aargau. «Wir wollten auf keinen Fall eine politische Kampagne machen», sagt er, «sondern Werbung, die Menschen für gesellschaftlich relevante Themen begeistert.»
Sie wollten von Tag eins an gewinnen
Das Design ist simpel. Der Kandidat Olaf Scholz (63) in Schwarz-Weiss auf rotem Hintergrund. Der Slogan lautet «Scholz packt das an», dazu immer wieder dieselben Botschaften aus dem Parteiprogramm: 12 Euro Mindestlohn, stabile Renten, mehr Mietwohnungen.
Im November – die Partei dümpelte bei Umfragewerten von 15 Prozent herum – sagten sich die beiden Werber: Wir wollen gewinnen. «So sind Raphael und ich», sagt Lück.
Als die Kampagnen-Sujets der Öffentlichkeit präsentiert wurden, schrieb das Magazin «Der Spiegel»: «Die SPD hat keine Chance und die feste Absicht, sie zu nutzen.» Das war 53 Tage vor der Wahl. Vier Wochen später überholte die SPD in Umfragen erstmals alle anderen Parteien.
Geholfen haben die Missgeschicke der anderen Kandidaten, etwa das Lachen von Laschet (60) inmitten der Flutkatastrophe. Lück führt den Erfolg in erster Linie darauf zurück, dass sich die SPD früh auf Scholz als Kandidaten sowie auf klare Botschaften geeinigt habe. «Wir hatten eine klare Strategie und einen klaren Plan, dessen Eckpunkte schon feststanden, bevor die Konkurrenz ihre Kandidaten benannt hat.» Das gab ihnen einen Vorsprung.
Lacher in den sozialen Medien
Eines der Ziele: Weg mit dem Ruf der verstaubten Partei. Das gelang besonders auf Social Media. Als die Grünen ihr Wahlmotto «Bereit, weil ihr es seid» verkündeten, kaufte das Team von Lück die gleich lautende Internetadresse, die noch frei war, und schrieb, für 12 Euro würden sie die Domain den Grünen verkaufen. Das sorgte für Lacher im Internet.
Es sind Einfälle wie diese, die Lück zum Starwerber machten. In der Werbebranche begann er als Praktikant bei der Agentur Scholz & Friends in Hamburg, wo er Raphael Brinkert kennenlernte. Rasch hatten sie sich einen Ruf erarbeitet: jung, ehrgeizig und voller guter Ideen. 2010 schickte ihn das Unternehmen nach Zürich, um dort einen neuen Standort aufzubauen. Er zog mit seiner Frau Sandra, die inzwischen als Grafikerin in seiner Agentur arbeitet, erst nach Richterswil ZH, dann nach Wohlen AG.
Den endgültigen Durchbruch schaffte er 2011 mit der Weihnachtskarte von BMW, die ein Illustrator für den Werbespot bei voller Fahrt in einem BMW-Rennauto zeichnete. Das Gekritzel war hässlich, und in der Branche fragten sich alle: Wer hatte diesen brillanten Einfall?
Lücks beide wichtigsten Trophäen sind die des «Werbers des Jahres 2017» sowie ein Löwe aus Cannes, der Oscar der Werbebranche. Sie stehen versteckt hinter Lego-Figuren und Whisky-Flaschen auf einem Regal im Wohnzimmer, das er als «Schmuddelecke» bezeichnet.
Die Papi-Zeit ist heilig
Lück, der einmal pro Monat im Hamburger Sitz der Agentur ist, verfolgte den Wahlsonntag vom Sofa in Wohlen aus. Sein Sohn feierte den 11. Geburtstag. Der Werber steht oft um fünf Uhr morgens auf und arbeitet abends. Bei der Zeit für seine drei Kinder macht er keine Kompromisse. Drei Mal pro Tag hält er sich eine Stunde für sie frei. «Ich will mit ihnen aufstehen, mittagessen und sie abends ins Bett bringen», sagt er.
Viel Zeit daneben bleibt nicht übrig, aber er versucht, jeden Tag auf einer seiner 49 Gitarren zu spielen. Ein paar Mal pro Jahr spielt er Konzerte mit seiner Band. Geprobt wird nie. «Die Auftritte gehen immer schief», sagt er, «das ist Teil des Konzepts.»
Als abgeschlossen sieht er seinen Job für die SPD keinesfalls. Er hoffe auf eine langfristige Zusammenarbeit, sagt er. Deshalb könne er sich auch vorstellen, in der Schweiz für die SP tätig zu werden. An Aufträgen mangelt es ihm neun Monate nach Gründung seiner Agentur nicht. Die Swisscom, die Bündner Kantonalbank oder der HC Davos setzen auf ihn. Könnte er sich einen weiteren Kunden aussuchen, dann wäre das: Aargau Tourismus.