Vor drei Jahren überfiel Russland die Ukraine
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Am frühen Morgen:Vor drei Jahren überfiel Russland die Ukraine

Sie floh wegen Krieg – Ukrainerin Anna Pantia (48) über ihr neues Leben in der Schweiz
«Ich habe keine Familie, keine Hilfe mit den Kindern»

Anna Pantia ist im Mai 2022 mit ihren drei Kindern aus der Ukraine geflohen. Sie erzählt, wie ihr Leben in der Schweiz ist, mit welchen Herausforderungen sie kämpft. Und was sie sich für die Zukunft wünscht.
Publiziert: 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 07:31 Uhr
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Familie Pantia (v. l.): Mariia (15), Anna (48), Illiah (10) und Sofiia (15).
Foto: Philippe Rossier

Auf einen Blick

  • Familie flüchtete im Mai 2022 und wohnt seit zwei Jahren in Bremgarten AG
  • Ukrainische Familie integriert sich trotz Herausforderungen
  • Anna Pantia gründet Gruppe für Ukrainerinnen und organisiert Workshops
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Anna Pantia (48) lebt mit ihren drei Kindern in einem Mehrfamilienhaus in Bremgarten AG. Vor gut zwei Jahren sind sie dort eingezogen. «Diese Wohnung war eine Riesenchance für uns», sagt Anna beim Besuch von Blick. Zuvor wohnte die Familie in einer Nachbargemeinde, zusammen mit einer Handvoll anderen Familien. «Ich und meine Kinder wollten Deutsch lernen, Leute kennenlernen, ich wollte einen Job suchen. Die Kinder müssen Hausaufgaben machen», sagt Anna. Das sei in der anderen Wohnsituation jedoch sehr schwierig gewesen.

Die Familie Pantia ist nur eine von vielen Familien, die wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine in die Schweiz fliehen mussten. Auch wenn ihre Geschichte nicht stellvertretend für alle Flüchtlinge aus der Ukraine steht, so gibt es doch viele, die dieses Schicksal teilen.

Während Anna einen ukrainischen Kräutertee kocht, erzählt sie von ihrer Flucht im Mai 2022. Jede Nacht ging der Alarm los, und sie mussten sich stundenlang in Bunkern verstecken. Tagsüber habe sie immer häufiger Nachrichten von der Schule bekommen, dass die Kinder wegen des Alarms abgeholt werden müssten. «Die Situation war einfach nicht mehr auszuhalten. Ich musste entscheiden, was das Beste für meine Kinder ist, also sind wir gegangen.» 

Der Vater der Kinder konnte nicht mitkommen. Er lebt derzeit in Kiew. Auch Annas Schwester und die Nachbarn seien noch in der Ukraine, sagt sie. «Das sehe ich auch als Hauptproblem hier: Ich habe keine Familie, keine Hilfe mit den Kindern.»

Zwischen Fremdsprache, Jobsuche und Spezialbedürfnissen

Unser Gespräch findet im Wohnzimmer statt. Gleich daneben sitzen ihre beiden Töchter, die Zwillinge Mariia und Sofiia (15). Sie sind gerade von der Schule gekommen und machen Hausaufgaben. Auch ihr Sohn Illiah (10) kommt immer wieder neugierig ins Wohnzimmer gelaufen. Man merkt, dass Anna sehr auf ihre Kinder konzentriert ist. Besonders viel Aufmerksamkeit brauchen ihre Töchter. «Meine Töchter brauchen viel Unterstützung», sagt Anna. Sie waren Frühgeburten und brauchen besondere Förderung. «Zum Glück können sie im Aargau, in Lenzburg, eine Schule besuchen, die auf ihre Bedürfnisse eingehen kann.» 

Auch deshalb findet Anna es unglaublich schwierig, ihr Leben hier in der Schweiz unter einen Hut zu bringen. Sie weiss, dass sie so schnell wie möglich eine gute Arbeit finden will, um ihren Kindern mehr bieten zu können. Dafür arbeitet sie hart an ihren Deutschkenntnissen. Am liebsten würde Anna hier in der Schweiz – wie zuvor in der Ukraine – im Logistikmanagement oder als Numerologin arbeiten. Gleichzeitig möchte sie aber auch ihre Töchter so gut wie möglich unterstützen und für ihren Sohn im Schulalltag da sein.

Einleben mit Stolpersteinen

Die Hauskatze miaut laut und unterbricht kurz das Gespräch. Anna lacht. Dann wird sie gleich wieder ernst. «Weisst du, wir müssen versuchen, hier so gut wie möglich zu leben. Es gibt keine andere Möglichkeit. Das Wichtigste ist, dass ich einen guten Plan habe und das tue, was für die Kinder am besten ist.» Und dafür tut sie alles.

Sie hat mit anderen Ukrainerinnen eine Gruppe gegründet, die sich regelmässig in den Räumen der Kirche trifft. Letzten Frühling organisierte sie einen Workshop für die ganze Gemeinde, um Ostereier zu bemalen. Die Integration fällt Anna nicht schwer. 

Ihrem Sohn Illiah, der in Bremgarten zur Schule geht, fällt es ebenfalls leicht, Anschluss zu finden. Sorgen machen ihr vor allem Mariia und Sofiia. «In ihrer Schule ist das Problem, dass viele Kinder Schwierigkeiten mit der Kommunikation haben, weil sie zum Beispiel autistisch sind. Ansonsten ist das Problem oft, dass sie die Sprache noch nicht gut genug beherrschen.»

Doch Anna will nicht aufgeben. Sie sei von Natur aus ein sehr sozialer und hilfsbereiter Mensch, sagt sie. Sie geht gerne auf andere Menschen zu und hat eine sehr offene Art, deshalb ist sie überzeugt, dass sie ihre Pläne in der Schweiz verwirklichen kann. Emotional sei es aber oft sehr schwierig. Jeden Tag wartet eine neue Herausforderung auf sie. Umso wichtiger sei es für die ganze Familie, sich über jeden noch so kleinen Erfolg zu freuen. Um Probleme anzugehen, sei ihre Sozialarbeiterin Dreh- und Angelpunkt, verrät Anna. Zu ihr hat sie ein sehr gutes Verhältnis. Für sie ist es wichtig, zu wissen, dass man aktiv etwas gegen die Probleme tun kann und dass sie ernst genommen wird.

Ungewisse Zukunft

Die Zukunft hält für Anna viele Ungewissheiten bereit. Eine Rückkehr in die Ukraine schliesst Anna nicht völlig aus. Aber es sei schwierig, das jetzt zu beurteilen. In der Ukraine hat sie nichts: kein Haus, keine Arbeit, keine Sicherheit. Um aber den Kontakt zum Rest ihrer Familie nicht ganz zu verlieren, versuche sie einmal im Jahr in die Ukraine zu reisen. Das sei anstrengend und sehr teuer. Sie mache das vor allem wegen der Kinder. 

Für die nächsten zwei Jahre möchte Anna auf jeden Fall in der Schweiz bleiben. Sie will die Möglichkeiten für sich und ihre Kinder abwägen und das Beste daraus machen. Anna ist pragmatisch: «Ich muss verstehen, was realistisch ist, und darf mich nicht in Illusionen verlieren.» Alles brauche seine Zeit und müsse Schritt für Schritt geschehen.

Das wichtigste Ziel für Anna im Moment: «Deutsch lernen und einen guten Beruf in der Schweiz finden.» Aber natürlich wünscht sich Familie Pantia vor allem eines: dass der Krieg in der Ukraine endlich aufhört.

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