Auf einen Blick
- Bundesgericht entscheidet am Donnerstag über Beschwerden zur AHV-Abstimmung
- Frauenrentenalter, Flexibilisierung und Mehrwertsteuer-Erhöhung stehen zur Debatte
- AHV-Reform bringt jährlich 1,5 Milliarden Franken durch Mehrwertsteuer-Erhöhung
Der AHV-Showdown am Bundesgericht sorgt für Bibbern in Bundesbern. Am Donnerstag entscheidet ein fünfköpfiges Richtergremium, ob das Ergebnis der Abstimmung vom September 2022 über das höhere Frauenrentenalter sowie eine höhere Mehrwertsteuer aufgehoben wird.
Kommen die links-grünen Beschwerdeführerinnen durch, sind Chaos-Tage programmiert. Ein Horrorszenario für die Behörden. Schon nur ein Teilsieg brächte Bundesbern in die Bredouille, da die Reform teils bereits in Kraft ist.
Dabei gibt es allerlei Szenarien, für die sich der Bund wappnen muss. Entscheidend ist, ob das Gericht bei einer Gutheissung der Beschwerden klare Vorgaben macht oder dem Bundesrat Spielraum für eine Umsetzung lässt. Ebenso, ob eine Aufhebung rückwirkend gilt oder mit sofortiger Wirkung. Die Landesregierung könnte im Eiltempo schon an ihrer Sitzung vom 13. Dezember erste Entscheide fällen – allenfalls sogar per Notrecht.
Die Herausforderungen wären riesig. Blick erklärt, wo die Probleme liegen:
Frauenrentenalter und Rentenzuschlag
Die kleinste Sorge wäre für den Bundesrat das Frauenrentenalter. Die schrittweise Erhöhung ist erst ab 2025 geplant. Nächstes Jahr würde für Frauen mit Jahrgang 1961 ein um drei Monate höheres Rentenalter gelten, erst ab 2028 wäre es bei 65 für alle.
Kommt die Beschwerde durch, wäre das höhere Rentenalter hinfällig. Ebenso der abgestufte, lebenslange Rentenzuschlag als Kompensation. Dem Vernehmen nach liegen die Rundschreiben an die Ausgleichskassen mit entsprechenden Anordnungen schon bereit.
Das dürfte die Lebensplanung der betroffenen Frauen zwar nicht allzu gross durcheinanderwirbeln. Die Pensionierung wäre einfach drei Monate früher. Ein Problem müsste aber noch gelöst werden: In der Regel muss man sich bis zu sechs Monate im Voraus für die AHV anmelden. Eine Frist, die manche Frauen nicht mehr einhalten könnten, weshalb es da eine Übergangsregelung braucht. Etwas komplizierter würde es auch für Firmen, die rascher für Arbeitsersatz sorgen müssten.
Flexibilisierung und Teilrenten
Schon eine Stufe schwieriger wird es bei den dieses Jahr in Kraft getretenen Reformteilen. So kann die Altersrente seit Anfang Jahr zwischen 63 und 70 Jahren flexibel und schrittweise bezogen werden – sogar monatsweise. Mit entsprechender Kürzung oder Aufbesserung der Rente. Zudem sind Teilrenten zwischen 20 und 80 Prozent möglich. Das heisst: Man kann beispielsweise 50 Prozent weiterarbeiten und vorübergehend nur eine halbe Rente beziehen.
Diese Flexibilisierung für Neuinteressenten per sofort zu stoppen, wäre durchaus möglich. Eine Rückabwicklung bei bereits gesprochenen Renten wäre aber kaum praxistauglich. Müssten Betroffene ihre Teilrenten zurückzahlen oder die Pensenreduktion nachholen? Und wo würden Frühpensionierte wieder einen Job finden? Hinzu kommen mehrere kleinere Änderungen etwa beim AHV-Freibetrag oder bei der Hilfslosenentschädigung, die neu geordnet werden müssten.
Mehrwertsteuer-Erhöhung
Nicht nur im Innendepartement von SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60), sondern auch im Finanzdepartement von FDP-Magistratin Karin Keller-Sutter (60) ist die Nervosität riesig. Was, wenn Lausanne auch die Mehrwertsteuer-Erhöhung zugunsten der AHV kassiert?
Anfang Jahr stieg der Normalsatz um 0,4 auf 8,1 Prozent. Der reduzierte Satz – etwa für Lebensmittel oder Bücher – stieg um 0,1 auf 2,6 Prozent. Ebenso stark der Hotellerie-Sondersatz auf 3,8 Prozent. Pro Jahr fliessen damit rund 1,5 Milliarden Franken zusätzlich in die AHV-Kasse. Der AHV würde damit eine riesige Summe fehlen.
Eine sofortige Senkung wäre zwar, wenn auch mit riesigem Aufwand, vielleicht noch machbar. Was aber, wenn die zu viel erhobenen Steuern zurückerstattet werden müssen? Eine Rückzahlung an Unternehmen wäre allenfalls noch praktikabel. Für Konsumenten hingegen wäre die Hürde um einiges höher – oder wer hat schon alle Kassenzettel des vergangenen Jahres zur Hand?
Abstimmung wiederholen?
Mit einer Abstimmungsannullierung würde sich auch die Frage stellen, was mit der vom Parlament abgesegneten Vorlage passiert. Der Bundesrat könnte zwar einen neuen Abstimmungstermin ansetzen, um das Stimmvolk definitiv entscheiden zu lassen. Doch die Ausgangslage hat sich in den letzten Jahren deutlich geändert. Ab 2026 wird die 13. AHV-Rente ausbezahlt, was jährlich 4 bis 5 Milliarden Franken zusätzlich kostet. Diese kämen zu den Mehrkosten für das tiefere Frauenrentenalter und Mehrwertsteuerausfälle hinzu.
Ein eleganter Ausweg wäre, auf eine neue AHV-Reform zu setzen. Baume-Schneider muss bis 2026 sowieso eine neue Reform vorlegen, in der auch das höhere Frauenrentenalter berücksichtigt werden könnte. Zu mehr Geld könnte die AHV schneller kommen, weil die Finanzierungsfrage zur 13. AHV-Rente derzeit im Parlament hängig ist. Die Bundespolitiker könnten hier einfach eine Schippe draufsetzen.
Kein Wunder also, hofft der Bund darauf, dass das Horrorszenario nicht eintrifft, indem die Abstimmungsbeschwerden abgewiesen werden und es höchstens einen richterlichen Rüffel für die unkorrekten AHV-Zahlen absetzt. Wenn nicht, stehen den Bundesbehörden ungemütliche Weihnachtstage bevor.
Blick berichtet am Donnerstag live über die Verhandlung.