Schwere Angriffe auf Kiew – doch Bundesrat Jans muss Schutzstatus einschränken
Gibt es sichere Gebiete in der Ukraine?

Russland bombardiert die Ukraine so heftig wie seit Monaten nicht mehr. Währenddessen hat Beat Jans die heikle Aufgabe, angeblich sichere Gebiete in der Ukraine zu definieren.
Publiziert: 12:57 Uhr
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Aktualisiert: 14:12 Uhr
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In Kiew kam es diese Woche zu schweren russischen Angriffen.
Foto: AP

Darum gehts

  • Justizminister Beat Jans muss Schutzstatus S für Ukrainer einschränken
  • Währenddessen verübt Russland schwere Angriffe auf Kiew
  • In Norwegen gelten 14 von 24 Gebiete der Ukraine als sicher
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Céline ZahnoRedaktorin Politik

Ausgerechnet in diesen Tagen muss Justizminister Beat Jans (60) den Schutzstatus S für Ukrainer und Ukrainerinnen einschränken. Und das, obwohl zurzeit ein Machtkampf um einen möglichen Frieden in der Ukraine tobt. «Ich glaube, wir haben einen Deal mit Russland», sagte US-Präsident Donald Trump (78) in Washington. Nun müsse man sich auch noch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (47) einigen. 

Von einer Einigung kann aber kaum die Rede sein: Trump legt Selenski eher das Messer an den Hals. Man mache ihm ein finales Angebot für den Frieden. So soll es laut Medienberichten auf dem Friedensplan stehen, den die US-Amerikaner dem ukrainischen Repräsentanten in Paris vorlegten. Die Ukraine müsse Gebiete an die Russen abgeben, ansonsten ziehe sich die USA aus der Ukraine zurück.

Und während Trump den russischen Präsidenten Wladimir Putin (72) zum grossen Gewinner machen will, verübt Russland in der Ukraine die schwersten Angriffe seit Monaten. Vor zwei Wochen haben Raketen in der nordostukrainischen Stadt Sumy über 30 Menschen getötet. Und in der Nacht auf Donnerstag wurde Kiew von russischen Raketen und Drohnen beschossen. Mindestens zwölf Menschen sind ums Leben gekommen. 

Welche Regionen verdienen Schutz?

Warum das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement diese Entwicklungen beunruhigt verfolgen dürfte: Im vergangenen Dezember hat das Parlament eine Motion der St. Galler SVP-Ständerätin Esther Friedli (47) gutgeheissen, die den Schutzstatus S verschärfen will. Den Status soll es nur noch für Menschen aus Gebieten geben, «die ganz oder teilweise durch Russland besetzt sind oder in denen mehr oder weniger intensive Kampfhandlungen stattfinden». Jans kommt nun die undankbare Aufgabe zu, sichere Gebiete in der Ukraine zu definieren. 

Beim Staatssekretariat für Migration (SEM) laufen die Drähte heiss. «Das SEM ist derzeit dabei, die sicheren und unsicheren Regionen zu definieren, um anschliessend die Motion umsetzen zu können», so ein Sprecher. 

Das wird für Jans zur politischen Gratwanderung, wie ein Blick ins Ausland zeigt. Und gleichzeitig ist der innenpolitische Druck hoch, zu handeln – kaum wurde die Motion angenommen, haben die Kantone ihre Forderungen beim SEM deponiert.

Orientierungspunkt Norwegen

Das SEM orientiert sich bei der Umsetzung der Motion an der Praxis von Norwegen. Das Land ist ebenfalls kein Mitglied der EU und hat als erster und bisher einziger Staat sichere Gebiete in der Ukraine definiert. «Wir stehen deshalb auch mit Norwegen in Kontakt und haben dessen Praxis analysiert», so das SEM.

Allerdings zeigt sich in Norwegen gerade, wie schwierig es ist, sichere Gebiete zu definieren, ohne in Erklärungsnot zu geraten. Erst im Januar hat Norwegen zusätzliche Gebiete der Ukraine als sicher eingestuft. Kurz darauf kam es zu Angriffen in genau diesen Zonen. Im Gesamten werden in Norwegen 14 von 24 Gebieten als sicher gewertet. Darunter ist auch Kiew, wo diese Woche bei einem Angriff mindestens zwölf Menschen gestorben sind. 

Der Direktor des norwegischen Amts für Ausländerfragen sagte im Januar gegenüber norwegischen Medien, dass die Verwendung des Worts «sicher» schwierig sei – es wecke die Assoziation, dass das Gebiet auch tatsächlich sicher sei. Das Amt beobachte die Lage in der Ukraine, um allfällige Anpassungen vorzunehmen. Sprich: Ob die Angriffe heftig genug sind, dass eine Region von der Liste gestrichen wird. 

Koordination mit EU

Die volatile Sicherheitslage ist nicht der einzige Unsicherheitsfaktor für Bundesrat Beat Jans. Zusätzlich könnten während den Arbeiten zur Verschärfung der Aufnahmebestimmungen auch die Regeln in der EU angepasst werden. Gemäss Informationen von Blick soll der EU-Rat im Juni die Zukunft des EU-weiten Schutzstatus beraten. Entsprechende Informationen hat auch das europäische Medium «Euractiv». Laut einer EU-Quelle stehen dabei mehrere Optionen zur Diskussion – die Verlängerung des Schutzstatus ist lediglich eine davon.

«Die Schweiz wird eine Weiterführung als auch eine allfällige Aufhebung des Schutzstatus S mit der EU koordinieren», sagt ein Sprecher des SEM. Der Bund wird ein grosses Interesse haben, dass die Ausarbeitung des Schutzstatus mit den EU-Nachbarn koordiniert ist. Ansonsten besteht die Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten: etwa, falls die Mitgliedstaaten mehr Spielraum für eigene Lösungen erhalten und striktere Regeln aufstellen. 

Druck aus den Kantonen

Aussenpolitisch ist die Verschärfung des Schutzstatus also ein regelrechter Drahtseilakt. Dazu kommt: Im Hintergrund machen die Kantone Druck. Kurz nachdem die Räte die Verschärfung des Schutzstatus durchgewinkt haben, richteten sich einige Kantone in einem Schreiben an das SEM. Der Brief liegt Blick vor. Man sei ab sofort nicht mehr bereit, Personen aus nicht umkämpften oder unbesetzten Gebieten aufzunehmen, heisst es darin.

Jans versuchte zu beschwichtigen. Um die Kantone zu entlasten, behält der Bund Schutzsuchende aus der Ukraine, bei denen sich ein negativer Entscheid abzeichnet, länger in den Bundesasylzentren.

Trotzdem drängen einige Kantone weiterhin auf ein rascheres Vorgehen. So etwa der Thurgauer Sozialdirektor Urs Martin (46): «Die Motion Friedli muss umgehend umgesetzt werden.» Die Betreuung von Schutzsuchenden sei für den Kanton eine grosse Herausforderung.

Tatsächlich bleibt die Lage in den Kantonen angespannt. «Das SEM arbeitet an einer Verbesserung der Situation, und die sinkenden Asylgesuchszahlen tragen insgesamt zu einer Entspannung bei», sagt Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK). «In den Kantonen und Gemeinden ist diese Entspannung jedoch längst nicht überall spürbar», fügt sie an. Anders als der Bund nehmen sie die Personen langfristig auf. Gewisse Kantone und Gemeinden würden etwa kaum mehr adäquate Unterkünfte und Betreuungspersonal für neu ankommende Menschen finden. 

Solange dies so ist, bleibt auch der Druck auf Jans gross.

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