Bundespräsidentin und Verteidigungsministerin Viola Amherd (61) war Anfang Woche nach Estland und danach weiter nach Norwegen gereist. Beide Nato-Mitglieder hätten sich sehr besorgt gezeigt über die Situation in der Ukraine, sagte Amherd am letzten Tag ihrer Reise.
Estland sei aufgrund seiner Nähe zu Russland, aber auch aus historischen Gründen noch mehr betroffen. Das Land baue deshalb seine Verteidigungskapazitäten auch stärker aus. Im Januar hatten die drei baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen zudem angekündigt, eine gemeinsame Verteidigungslinie an der Grenze zu Russland und Belarus aufzuziehen.
Amherd glaubt, dass die Schweiz ihre Lektionen daraus lernen und ihre eigenen Fähigkeiten stärken müsse. Anfang Woche hatte sie bereits verlauten lassen, dass man heute evaluieren müsse, ob die Schweiz Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch so weitermachen könne: «Die Armee wurde 30 Jahre lang zerstört, und es ist klar, dass dies nicht innerhalb von fünf Jahren und ohne Erhöhung der Mittel korrigiert werden kann.»
Zusammenarbeit mit EU-Partner soll intensiviert werden
Auch der neue Staatssekretär für Sicherheitspolitik, Markus Mäder (52), der Amherd begleitete, ist der Ansicht, dass eine Stärkung der Verteidigungskapazitäten nötig ist. Die Schweiz müsse zudem ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber hybriden Bedrohungen erhöhen.
Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern intensiviert werden. Wichtig sei dabei der Informations- und Erfahrungsaustausch mit der Nato, aber auch bilateral mit mehreren europäischen Ländern.
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Bereits im Juni wird Armeechef Thomas Süssli (57) nach Estland reisen. Denn die Schweiz und Estland hätten beide ein Milizsystem und ein ähnliches Mobilisierungsmodell, so Mäder. Süssli werde sich auch über die Verteidigung gegen Cyberangriffe informieren. Estland verfüge in diesem Bereich über Erfahrung, wie Amherd nach ihrem Gespräch mit ihrem estnischen Amtskollegen betont hatte.
Eingefrorene Russen-Gelder für Ukraine ein Thema
Gemäss Mäder will die Schweiz zudem evaluieren, inwieweit sie an gemeinsamen Übungen teilnehmen könnte. Seit 2020 beteiligt sich der Bund an den Aktivitäten des Nato-Kompetenzzentrums für Cyberabwehr in Tallinn. Das Zentrum organisiert unter anderem die jährliche Verteidigungsübung Lock Shields, eine Simulation eines massiven Cyber-Angriffs.
In diesem Jahr sollen rund 20 Schweizerinnen und Schweizer von Andermatt UR aus an der Übung teilnehmen und zusammen mit den USA und Österreich ein Team bilden, wie Reto Senn, Verteidigungsattaché für Schweden, Finnland, Norwegen und Estland, beim Besuch der Schweizer Delegation im Zentrum sagte.
Die Bundespräsidentin sprach auch die Frage der eingefrorenen russischen Vermögenswerte an und die Möglichkeit, diese für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Eine solche Gesetzgebung sei in Estland auf dem Weg, sagte sie. Die Gesprächspartner seien sich jedoch einig gewesen, dass eine internationale und für alle Länder umsetzbare Lösung gefunden werden müsse.
Bisher 7,5 Milliarden Franken eingefroren
Auf die Frage, ob ein solches Gesetz mit der Schweizer Neutralität vereinbar wäre, antwortete die Ministerin, das hänge «vom Mechanismus ab». Vorerst werde Bern verfolgen, was auf internationaler Ebene geschehe.
In der Schweiz wurden im Rahmen der Sanktionen gemäss Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) bisher rund 7,5 Milliarden Franken an russischen Geldern eingefroren.
In der letzten Herbstsession nahm der Nationalrat fünf Motionen an, die verlangen, dass der Bundesrat Massnahmen ergreift, um auf internationaler Ebene die Grundlagen «für einen Reparationsmechanismus zugunsten eines völkerrechtswidrig angegriffenen Staates und zulasten des Staatsvermögens des kriegführenden Aggressors» zu erarbeiten.
Das Thema wird voraussichtlich in der Frühjahrssession im Ständerat diskutiert werden. (SDA)